Lohengrin! Zwischen Traum und Trauma: die Elsa der Elza van den Heever in Jens-Daniel Herzogs Inszenierung – Premiere von Wagners „Lohengrin“ an der Oper Frankfurt unter dem Dirigat von Bertrand de Billy

Elza van den Heever (Elsa von Brabant).

Und wenn wir dann erleben, wie das geschockte Volk von Brabant weiterhetzt und König Heinrich das Gottesurteil bemüht, weil Elsa von ihrem Traum der ritterlichen Hilfe erzählt, da sind wir schon längst mit in den Kopf von Elsa geschlüpft und erleben die reale Welt als eine Abfolge von Bösartigkeiten, die ihr – der unschuldigen Heldin – ans Leder will. Die typische Situation für Menschen, die durch schwere Erlebnisse traumatisiert sind, was nach dem Tod der Mutter, dem Tod des Vaters nun der Verlust des Bruders für die alleingebliebene Elsa bedeutet. Sogartig entwickelt sich vor diesem Hintergrund, aus dieser Sicht, die doch eigentlich bekannte Operhandlung zu einer Darstellung einer Lebensprüfung für eine junge Frau, die so drängend und auch im Detail so exzellent inszeniert ist, daß man die drei Akte und dreieinhalb Stunden Wagner gespannt wie in einem Psychothriller als Zeit nicht spürt, nur deren Intensität. Das sei nicht erlaubt, meinten wohl einige, den Regisseur Herzog ausbuhende Zuschauer am Schluß. Die Mehrheit allerdings war begeistert. Über die künstlerische Qualität der in allen Partien hochrangigen Sängerleistungen, des phänomenalen Chors und des kristallin spielenden Orchesters unter Bertrand de Billy jubelte dann wieder das ganze Haus.

Um das Thema ’Werktreue’ gleich abzuhaken, meinen wir, daß jede Oper in jeglicher Manier inszeniert werden darf, wenn sie als Einheit stimmig bleibt. Der Lohengrin, angesiedelt in der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts, darf also zwischen 1930 und 1940 spielen – das ist unsere Interpretation aufgrund der Kostüme und der Architektur -, wenn das so durchgängig und so überzeugend geschieht wie hier. Der Darmstädter Lohengrin dagegen, der die Schlachtbänke des auseinandergebrochenen Jugoslawiens thematisierte und alle in moderne Metzger- und Soldatenkleidung steckte, ließ als einzige Figur den König im mittelalterlichen Gewande auftreten. Das war absurd, denn der König trägt ja die politische Verantwortung für dieses Gemetzel. Das eigentlich Neue an dieser Frankfurter Inszenierung von Jens-Daniel Herzog ist die Zentrierung auf Elsa, auf ihr Erleben des Geschehens, das sie uns als zur Oper gewordene Erzählung fast hilfsuchend anvertraut, weswegen wir den sonstigen geschichtlichen Verlauf der Oper hier vergessen.

Nach den sehnsuchtsvollen Tönen des Vorspiels, das die Flöten beginnen und die Geigen fortsetzen und von dem man nie weiß, ob man es als traurige Süße oder süße Traurigkeit bezeichnen sollte, weiß man, daß die Musik hier Seelenzustände ausdrückt und einen inneren Monolog mit Hilfe von Tönen produziert, was sich durchgängig in der Inszenierung fortsetzt. Wir blicken in einen Saal, der dem unseren gleicht (Bühnenbild und Kostüme Mathis Neidhardt). Das sind diese Räume, die durch den Vorhang noch als Kirche scheinen und wo später dann die Hochzeit gefeiert wird, aber sehen auch aus wie ein Volksbildungsheim, das als Versammlungsraum dient, als Tanzlokal oder zur Theateraufführung, wobei der Rang hier feinsinnig genau den Schwung erhält wie das Frankfurter Opernhaus selber, der aber drei Ränge hat und als Produkt der Fünfziger Jahre aus Spannbeton keine Holzträger mehr nötig hat, die den Bühnenraum so schön strukturieren. Ein Einheitsraum, der sich tatsächlich jeder Szene anpaßt und den Eindruck verstärkt, daß wir uns in Elsas Gedankengeflecht aufhalten.

Daran hat auch die suggestive Wirkung des Singens und der Darstellung von Elza van den Heever ihren Anteil. Sie singt so rein, wie sich ihre Seele fühlt und sie spielt so traumverloren wie ein Kind, das im Irgendwo ruht, und manchmal sieht sie auch wie ein Kind aus, obwohl sie doch auch ein Vamp ist mit der blonden Lockenmähne im Stil der Hollywoodsirenen. So sind alle Figuren in diesem Spiel mehr Typen als Individuen. Das ist bei König Heinrich der Rolle schon eingeschrieben, aber auch Lohengrin (Michael König) ist alles in einem: Erlöser, Penner, Hippie und dann bürgerlich gewordener Lebemann. Ein Glücksgriff auch das Paar Telramund und Ortrud (Jeanne-Michèle Charbonnet), darstellerisch, sängerisch und in der Kostümierung. ’Szenen einer Ehe’ geben sie und schenken sich gegenseitig nichts. Er im biederen Anzug, eben ein Biedermeier, mit den Ärmelschonern in Form von Lederflecken am Ellenbogen, unauffällig, aber hochgefährlich, erst recht mit dieser Ehefrau, die ihn antreibt und kontrolliert. Und diese Ortrud ist eine Melange mit roter Gisela-May-Frisur, die den russischen Avantgardedamen nachempfunden ist, auf der Leinwand zuletzt vertreten durch Cate Blanchett im letzten ’Indiana Jones’, und einer Domina, oder auch einer selbstbewussten Gräfin Geschwitz, mit androgynem Anteil auf jeden Fall, die hinreißend Katz- und Maus spielt, sei es mit dem Ehemann oder mit Elsa, notfalls auch gegen sich selbst.

Überhaupt ist die ganze Aufführung getragen von einem luziden Zusammenspiel von Inhalt, Musik und Körpersprache, wozu dann noch das stimmliche Äquivalent aller Beteiligten kommt. Das ist so durchgehend, daß man die vielen Szenen gar nicht aufführen kann – wie zum Beispiel den himmlischen Einfall, das Gottesurteil durch höllisches Russisches Roulette vollstrecken zu lassen -, genauso wenig wie die vielen kleinen, schon genial zu nennenden Regieeinfälle, die eines gemeinsam haben: zur Personenführung wird der gesamte Bühnenraum genutzt. Spielt gerade eine Szene vorne, wird von oben, von der Empore her, beobachtet und gestört. Bleibt das Geschehen auf der linken Seite, passiert etwas Unvorhergesehenes rechts. Alles ist zumindest doppelbödig an diesem Abend und der doch verschwundene kleine Bruder Gottfried erscheint der gestreßten Elsa gleich achtmal. Immer als kleiner Blonder mit Knickerbocker in den Stiefeln, einem blauen Pullunder auf weißem Hemd, das Sinnbild eines braven Buben.

Auch die Idee das Hochzeitslager aus den abgeworfenen Jacken des Hofstaates zu bilden, hat was, denn nun beginnen auch dort die ’Szenen einer Ehe’, die ansonsten der Mittelpunkt jeder Lohengrinaufführung sind: Das Gebot, nie sollst Du mich befragen und deren Übertretung durch Elsa. Was aber ansonsten hochdramatisch unter der Prämisse „Blondes und naives Dummchen“ Fragen evoziert wie: „Kann man einen Gott nach seinem Namen fragen“ oder „Versprochen ist versprochen“ oder „Liebe braucht Vertrauen“ und von daher immer aus der Position des Lohengrin her definiert wird, das wird in dieser Aufführung – Achtung, wir befinden uns noch immer, ja immer stärker im Kopf der Elsa! – ganz eindeutig zu einem Sakrileg des Halbgottes Lohengrin selber. Wie kann man einem geliebten Menschen seine Herkunft verschweigen? Und was heißt Vertrauen, wo doch der erste Gottesbeweis der Zweifel ist, wie die Kirchengeschichte lehrt.

So erleiden wir mit Elsa das endgültige Trauma, wenn nun auch diese geliebte Person Lohengrin, der doch als Elsas Beschützer auf die Welt kam, das Weite sucht, moralisch sich im Recht glaubend. Da nutzt auch nichts, daß der verschwundene Bruder zurückkehrt. Elsa lebt mit ihren Gespenstern im Kopf weiter. Aber nun ohne uns. Denn die Oper ist aus. Und wir werden sie sicherlich noch einmal anschauen, denn in der Aufführung sind so viele Regieeinfälle, daß man mit einem Mal Gucken das gar nicht alles begreifen kann, von den hinreißenden Sängern und dem famosen Opernorchester ganz abgesehen. Da capo also.

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