Parallelwelten und Avatare – „Amphitryon und sein Doppelgänger“ begeistert beim Theatertreffen in Berlin

Das beginnt schon beim Bühnenbild von Henrike Engel, das dem Anschein nach einen Innenhof darstellt, umschlossen von Mauern aus grauen Steinen.  Anstelle von Blumenkübeln oder Mülleimern befinden sich dort aber ein ausladender Clubsessel aus hellem Leder und daneben eine Stehlampe. Das scheinbare Draußen ist also ein Drinnen, in dem es einige Augenblicke still und friedlich ist.

Dann wird die Tür auf der rechten Seite aufgerissen und vom Sturm hereingeweht stolpern und fallen nacheinander fünf Personen in den Raum in hellen Anzügen mit Trenchcoats und Hüten, alle mit dem Eingangstext des Sosias, und zunächst verstecken sich alle voreinander. Bei vier von den Ankömmlingen handelt es sich um Merkur, der dem armen, vereinzelten Sosias, auch handgreiflich, klar macht, dass er unmöglich Sosias sein kann, weil Sosias ja bereits vierfach vorhanden ist.

Carolin Konrad als Sosias mit blutig geschlagener Nase macht das Grauen spürbar, das den Diener bei seinem Identitätsverlust befällt. Die vier angeblichen Sosiasse haben nicht nur seinen Namen übernommen, sie kennen auch seine geheimsten Gedanken. Als ein Nichts, ein lebender Toter, muss er die Szene verlassen.

Das Grauen schwingt, trotz aller Komik, immer mit in dieser Inszenierung, auch wenn es durch das rasante Tempo zurückgedrängt wird.

Fritz Fenne und Michael Neuenschwander als Amphitryon und Jupiter in Gestalt des Amphitryon erscheinen in schnellem Wechsel im strahlend blauen Hemd, um Alkmene zu betören oder wegen ihrer Untreue zu beschimpfen.

In der Hausfassade öffnet sich ein oberes Stockwerk, auf dem die gleiche Szene, die unten stattfindet, zu sehen und zu hören ist, manchmal synchron, manchmal auch versetzt. Doppelgänger wiederholen Texte immer und immer wieder, als seien sie in einer Zeitschleife gefangen.

Kostümbildner Klaus Bruns hat die AkteurInnen mit typgerechten Kostümen ausgestattet. Als Charis im schwarzen Kleid mit weißen Tupfen erscheint auch Michael Neuenschwander, trotz Bart ganz selbstverständlich, während Lena Schwarz als Alkmene lange Zeit einzigartig ist, bis sie dann doch mit Carolin Konrad, ebenfalls im orangefarbenen Kleid, eine Doppelgängerin bekommt.

Sosias und Charis werden mal männlich, mal weiblich verkörpert. Bei Alkmene und Amphitryon/Zeus dagegen bleibt die Geschlechterpolarität erhalten. Die schwüle Erotik des Kleistschen Textes bleibt bei den rasanten PartnerInnenwechseln glücklicherweise auf der Strecke.

Zu Beginn liest Michael Neuenschwander kopfschüttelnd und stockend einige Sätze des Sosias aus einem gewichtigen, in Leder gebundenen, Buch als kleinen Hinweis darauf, wie kunstvoll gedrechselt und schwer zu artikulieren die Sprache des Dichters ist, die den SchauspielerInnen so leicht und präzise über die Lippen geht.

Nicht alles, was sich nach Kleist anhört, ist auch von Kleist, wie der wundervolle, komödiantische Monolog, in dem Marie Rosa Tietjen gegen Ende des Stücks als Sosias den Wirrwarr zu klären versucht und sich dabei so verheddert, dass sie aus ihrer Rolle heraustritt und sich selbst mit dem Namen ihrer Kollegin Carolin Konrad vorstellt.

Schließlich gibt es dann doch eine Auflösung. Weil jedoch, bei der Zuordnung der Rollen, kein Merkur ausgemacht werden kann, wird, als Zusatzgag zum Theatertreffen, Wolfram Koch samt Bratwurst und Kraut aus der Kantine herbeigeschafft und, weil einer allein nicht genügt, durch einen weiteren Überraschungsgast ergänzt.

Der gehörnte Amphitryon versöhnt sich mit seinem göttlichen Rivalen, und Jupiter, dem von Alkmene kein spezielles Lob für seine sexuellen Bemühungen zuteil wurde, überwindet mannhaft den Schmerz über seine gekränkte Eitelkeit. Die Ankündigung des von Jupiter mit Alkmene gezeugten Herakles ist in Karin Henkels Inszenierung gestrichen.

Während auf der rechten Seite der Bühne schon die Premierenparty beginnt, irrt Lena Schwarz als Alkmene auf der linken Seite wie eine Wahnsinnige umher. In der Parallelwelt des oberen Stockwerks springt sie mehrfach aus dem Fenster, um dann unten wieder zu erscheinen, unentwegt die vermeintlichen Beweise dafür wiederholend, dass sie mit keinem Anderen als Amphitryon die umstrittene Liebesnacht verbracht habe.

In dem „Ach“ mit dem Lena Schwarz das Stück beendet, sind der Protest und die Verzweiflung des Opfers eines launigen Spiels zu hören.

Das Publikum im Deutschen Theater spendete großen Applaus für Karin Henkels geistreiche, phantasievolle Interpretation der klassischen Komödie und für die grandiosen Leistungen der SchauspielerInnen.

„Amphitryon und sein Doppelgänger“  nach Heinrich von Kleist, eine Produktion des Schauspielhauses Zürich, war, als eine der zehn ausgewählten Inszenierungen für das Theatertreffen, am 3. und 4. Mai im Deutschen Theater zu erleben.

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