Das Knutsch-Zimmer in einer Villa in Berlin-Zehlendorf ist das Werk von Nezaket Ekici. „Emotion in Motion“ ist bis zum 16. August diesen Jahres im „Haus am Waldsee“ zu sehen, neben vielen weiteren Installationen, Videos und gelegentlichen Live-Auftritten der deutsch-türkischen Performance-Künstlerin.
Mit ihren Küssen will die Mittvierzigerin völlig banalen, leblosen Dingen eine eigene Emotionalität zuweisen. Zwar sind es ihre eigenen Gegenstände, doch erst so bekommen sie eine persönliche Note, werden ein Teil von ihr.
Doch wie ist es umgekehrt? Alles was man besitzt, besitzt auch uns, findet sie. Genauso lautet auch der Titel der Ausstellung. Da ist der Fernseher, dem man Lebenszeit schenkt, sobald man ihn einschaltet. Da ist das Auto, das unerwartet repariert werden muss, was neben Geld auch Nerven kosten kann.
Jeder Raum wird bespielt, auch das ehemalige Bad im ersten Stock. Entsprechend flimmern hier Baderituale verschiedener Kulturen auf einem Monitor. Der ist in einer alten Wanne angebracht. „Living Room“ lautet der etwas irreführende Name der Installation.
Unten, im einstigen Herrenzimmer, steigt angenehmer Kaffeeduft in die Nase. An einer braunen Wand prangt eine weiße Schrift. Die Sätze erinnern an ein unfreiwilliges Rendezvous, als Nezaket Ekici noch in der Türkei lebte. Da kommt ein Junge, er will dich heiraten, hatte der Vater seiner minderjährigen Tochter eröffnet. So ist es auf dem Land bei uns immer noch Sitte, sagt die Künstlerin. Die Familien trinken dann während des Sondierens und Verhandelns starken türkischen Mokka. Zum Glück respektierte der Vater ihr Desinteresse an dem Möchtegern-Bräutigam. Ihre Erinnerungen an den Besuch hat Nezaket Ekici mit ihrem Werk „Lifting a Secret“ verarbeitet. Mit Vaseline schrieb sie die Buchstaben, dann schüttete sie die braune Flüssigkeit darüber. Keinen Mokka, sondern gewöhnlichen deutschen Filterkaffee. Zehn Packungen.
Sie will Rituale und Traditionen kritisch beleuchten, ob aus der islamischen oder christlichen Kultur. Beide Welten kennt die Muslima mit deutschem Pass zur Genüge, ihre Familie war mit ihr nach Duisburg gezogen, als sie zehn war. Die Eltern waren konservativ, zuhause ging es streng zu. Freiheit fand sie in der Disco, wo sie ausgelassen tanzte. Und bei ihrem deutschen Freund, heute ihr Ehemann. Ein Foto aus den frühen 80ern – auch unzählige Familienbilder sind Teil der Ausstellung – zeigt beide mit einer blonden New-Wave-Mähne.
Ihre Familie kehrte in die Türkei zurück, die Tochter blieb in Deutschland. Sie studierte Kunstpädagogik und Kunstgeschichte in München, widmete sich dort anschließend der Bildhauerei, und ließ sich danach in Braunschweig von der Performance-Päpstin Marina Abramovic ausbilden. Die prägte ihren anfänglichen Stil, mit dem Körper als Thema, entblößt und verletzlich. Die Opferrolle hat sich erledigt, nun inszeniert sie sich als Königin, als Kämpferin. Stark, selbstbewusst, humorvoll. Aber immer auch radikal. Als politische Künstlerin sieht sie sich nicht, sie möchte keine Weltanschauung oder Religion anprangern. Nicht einmal die zunehmende Islamisierung der Türkei seitens der Regierung Erdogan, auch nicht die anhaltenden Ressentiments deutscher „Wutbürger“ gegen Zuwanderer aus anderen Kulturen.
Zwar war sie auf einer Koranschule, dennoch sei sie nicht strenggläubig. „Sonst könnte ich diese Kunst nicht machen“, sagt sie. In fast jedem Werk steckt Knochenarbeit, in „Emotion in Motion“ zudem noch reichlich Lippenstift.
15 Stück hat sie verbraucht. Fünf Tage, jeweils gut fünf Stunden Küssen, Küssen, Küssen. Sie lag auf dem Boden, kletterte auf Leitern, quetschte das Gesicht in die kaum erreichbaren Zimmerecken. Das Kinn war wund, die Lippen geschwollen, die Nase schmerzte auch. Bekannte wollten ihr helfen. Sie lehnte ab: „Nein, ich küsse selbst“. Ihre besondere Lippenform sei der Beweis, so Nezaket Ekici. Der Grund dafür: Ein leicht abstehender Vorderzahn.
Info: www.hausamwaldsee.de