Vermeidungstaktik – „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ nostalgisch aufbereitet an der Schaubühne

Patrick Wengenroth, Jule Böwe, Lea Draeger und Ulrich Hoppe in einer Szene des Stücks „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, das derzeit an der Berliner Schaubühne gespielt wird.

Was die Auseinandersetzung mit dem Bestseller angeht, den Kai Hermann und Horst Rieck 1978 nach dem Bericht von Christiane Felscherinow angefertigt haben, so zeugt sie von freundlicher Gelassenheit. Coolness ist angesagt bei der Betrachtung der Ereignisse aus den fernen Siebzigern des letzten Jahrhunderts.

Aktualitätsbezüge hat Wengenroth vermieden, wie bei dieser Produktion alles vermieden ist, was  aufrütteln oder zum Nachdenken anregen könnte.

Mascha Mazurs Bühne ist leer bis auf einen Glaskasten auf einem Sockel, in dem Patrick Wengenroth im ersten Teil des Stücks anscheinend schlafend auf dem Rücken liegt. Später windet er sich durch eine Luke im Boden des Glaskastens heraus und ist zeitweilig Christiane F. wie alle anderen Mitwirkenden.

Alle sprechen Auszüge aus dem in der Ichform geschriebenen Bericht. Zuerst erscheint Rolf Hoppe, der mit den Worten von Christiane F. ein Bild dieses Mädchens erschafft, das gegen die Bedrohlichkeit und Enge seiner häuslichen Verhältnisse rebelliert.

Als dann Jule Böwe und Lea Draeger, abwechselnd rezitierend, weitere Bilder von Christiane F. wie auch von ihrer Clique entstehen lassen, wird deutlich, dass Christiane F. nicht als identifizierbare Persönlichkeit in Erscheinung treten soll. Christiane F. ist ein Produkt, das erfolgreich vermarktet wurde.

Die exzellent gestalteten Präsentationen der Textpassagen durch Jule Böwe, Lea Draeger und Rolf Hoppe offenbaren die literarischen Schwächen des Buchs, das sich zu kunstvoller Rezitation nicht eignet. Passender ist es, wenn Patrick Wengenroth das Buch vom Tisch des Musikers Matze Kloppe nimmt und lässig nuschelnd ein paar Zeilen daraus vorliest, auch wenn das nicht zu längerem Zuhören verlockt.

Jule Böwe gelingt es, die Beschreibung der Drogenwirkung erschreckend anschaulich zu machen. Es gibt einige aussagekräftige Momente in diesem Stück, aber alle werden wieder aufgehoben durch komische Verfremdungseffekte, verlieren sich in den Songs von David Bowie und Udo Lindenberg oder versinken im Disco-Nebel.

Während Rolf Hoppe erklärt, weshalb der Drogenentzug Turkey genannt wird, erscheint Patrick Wengenroth als Minnie Maus ganz in Rosa. Später platziert sich Wengenroth als David Bowie vor dem Mikrofon, fängt dann jedoch nicht an zu singen, sondern verwandelt sich in Sandra Maischberger, in deren Talkshow Christiane Felscherinow gefragt wurde, weshalb denn ausgerechnet sie überlebt habe.

Wengenroths Realisation legt eher die Frage nahe, weshalb die Biografie von Christiane F. überlebt hat, und bietet die Vermutung an, dass nicht das Buch bis heute lebendig geblieben ist, sondern die Erinnerung an einen Bestseller, geboren aus dem Lebensgefühl der 1970er Jahre.

Es ist erstaunlich, dass Patrick Wengenroth Texte, in denen es um jugendliche Drogentote und Kinderprostitution geht, in ein durchweg vergnügliches, unterhaltsames Event einbinden konnte.

Kostümbildnerin Katharina Jockwer hat das Ensemble im Stil der Disco-Mode in den 70ern ausgestattet, dezent im Unterschied zum schrillen Outfit von Patrick Wengenroth, der gelegentlich auch halbnackt über die Bühne schlurft.

Das hoch professionell agierende Schauspielensemble, darunter auch Franz Hartwig als Christianes Freund Detlef, bildet eine solide Grundlage für die amüsante Soloshow von Patrick Wengenroth.

Das Stück ist erfreulich kurz, dauert kaum mehr als 70 Minuten, in denen keine Langeweile aufkommt.

„Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, Bühnenfassung von Patrick Wengenroth nach dem gleichnamigen Buch von Kai Hermann und Horst Rieck hatte am 14.02. Premiere im Studio der Schaubühne Berlin. Weitere Vorstellungen: 14. und 30.03.2011.

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