Insel im Farbenrausch – Djerba zelebriert seine Straßenkunst

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015

„Drei Tage kommt er, drei Tage weht er, drei Tage geht er.“ Vor dem Wüstenwind aus der Tiefe der Sahara gibt es, so sagt man, kein Entrinnen. Denn in seinem Gefolge führt er einen Schleier aus feinstem Sand mit sich. Fast unsichtbar und gerade deshalb geeignet, selbst durch die Tür- und Fensterritzen hindurch unaufhaltsam in die Innenräume vorzudringen. Offensichtlich lässt er sich bei seinen Attacken nicht einmal durch knirschende Zähne abschrecken.

Im südlichen Tunesien nimmt er noch einmal richtig Fahrt auf, bevor er ansetzt zum Sprung auf die kleine Ferieninsel Djerba. Auch wenn er inzwischen schon den größten Teil seiner ursprünglichen Kraft eingebüßt hat, zeigt er hier noch einmal, was in ihm steckt. Pfeifend wirbelt er die Blätter der Palmenkronen wie schwerelos durcheinander. Gleichzeitig treibt er das Meer mit weißen Schaumkronen vor sich her, bis sich die Brandungswellen krachend am weißen Sandstrand brechen. Sicherlich nicht die ideale Empfangsmusik für unbeschwerte Urlaubstage.
 
Afrikanischer Orient

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015Und doch genau der richtige Zeitpunkt, um sich bis zum sehnlich erhofften Wetterumschwung auf alternative Vorzüge einzulassen, die der afrikanische Orient zur Wiedererweckung müder Lebensgeister zu bieten hat. Dabei habe sich, so behauptet Hafed, die traditionelle orientalische Massagepraxis bestens bewährt. Und der muss es schließlich wissen. Denn als Chef des Robinson Spa ist er der ungekrönte König in seinem komfortablen Wellness-Reich. Um sich herum stets eine Schar dienstbarer Geister wie Omaima, Navel und Fathia, die mit feinfühligen Fingern augenblicklich Wohlbefinden hervorzuzaubern wissen.

Schon wabern warme Wasserdämpfe durch die Räume des orientalischen Hamams, die den Körper auf Temperatur bringen. Und zugleich vorbereiten auf eine dicke Seifenschicht, mit der dieser schon wenig  später komplett umgeben ist. Bis schließlich raue Massagehandschuhe selbst auf entlegenste Körperteile nieder prasseln und dabei alles entfernen, was nicht dorthin gehört. „Zart wie ein Baby“, kommentiert Hafed schließlich das ansehnliche Ergebnis und kann sich dabei ein kurzes Lächeln nicht verkneifen.

Mediterrane Traumwelt

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015Schon am nächsten Morgen befinden sich die Ausläufer des Wüstenwindes wider Erwarten auf dem Rückzug. Und auch den vom Wind zerzausten Palmenkronen ist kaum noch etwas vom gestrigen Ausnahmezustand anzumerken. So präsentiert sich die großzügig gestaltete Poollandschaft der Anlage einladend wie eine mediterrane Traumwelt in leuchtendem Türkis. Nur das nach wie vor aufgewühlte Meer tut sich schwer mit der Spurenbeseitigung der Sturmattacke.

Grund genug, um sich einem Tagesziel im Zentrum der Insel zuzuwenden. Vor kurzem nur ein kleines und unbedeutendes Dorf, das niemand kannte. Das aber binnen Jahresfrist durch ein Großprojekt der Straßenkunst sogar Kunstgeschichte schrieb. Dadurch, dass sich hier 150 renommierte Straßenkünstler aus 30 Ländern zu dem Projekt „Djerbahood“ zusammen fanden. Und dabei Hauswände sowie Gartenmauern  mit 300 Motiven der unterschiedlichsten Art bemalten. „Ein absoluter Höhepunkt in der Geschichte der Street Art“, wie der tunesische Künstler Zied Lasram erklärt, der selbst mit einem Kunstwerk an dieser einmaligen Zusammenstellung beteiligt ist.

Motive und Stilrichtungen

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015Entsprechend hoch geht der Puls, als er die Führung durch die Straßen des Dorfes Erriadh übernimmt. Ein Rundgang, der schnell ausartet zu einem Kunstslalom durch Gärten und Gässchen, über Innenhöfe und Dorfplätze. Die Fülle der Motive und Stilrichtungen in diesem Eldorado der Straßenkunst ist überwältigend. Und doch, so betont Zied, wissen sich alle Künstler verbunden in dem Anliegen, jegliche Aggression in ihren Darstellungen zu vermeiden. Und zugleich abwertenden religiösen oder gar politischen Motiven den Zutritt zum Dorf grundsätzlich zu verwehren.

Was nicht immer völlig gelingt. Denn schwingt da nicht die Freude des politischen Frühlings mit, wenn eine Gruppe lang gestreckter und nur schwer zu identifizierender Lebewesen, ängstlichen Kaninchen gleich, die angedeuteten Trommelschläge offenbar als Zeichen des politischen Aufbruchs wertet? Oder wenn das neue Selbstbewusstsein der emanzipierten Frau gegenüber einer konservativen Gesellschaftsordnung gleich in mehreren völlig unterschiedlichen Motiven ihren Ausdruck findet?

Schmelzwasser der Erdteile

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015Neben richtungsweisenden Motiven dieser Art kommt allerdings auch die Katastrophenstimmung nicht zu kurz. Wenn zum Beispiel der Erdball wie eine bunte Eiskugel abschmilzt und dabei das Schmelzwasser der Erdteile ungebremst in freiem Fall zu Boden tropft. Oder wenn sich, gleichsam als ein Zitat der berühmten „Woge“ des japanischen Künstlers Hokusai, eine riesige Tsunamiwelle über einer schön anzusehenden Siedlung aus ineinander verschachtelten Häusern unheilvoll zusammen braut.

Wind und Wetter fordern, wie einst an der Berliner East Side Gallery, natürlich ihren Tribut. Wenige Monate haben bei der salzhaltigen Luft bereits ausgereicht, um unverkennbare Spuren zu hinterlassen. Schäden, die geradezu danach schreien, sich „Djerbahood“ noch schnell anzuschauen, bevor es zu spät ist. Ob vielleicht nicht doch noch irgendjemand ein realistisches Konzept zu seiner Erhaltung vorlegt? Einige Bewohner von Erriadh jedenfalls, so hat Zied beobachtet, revanchieren sich bereits jetzt für die warme Dusche des plötzlichen Ruhms mit gut gemeinten Erhaltungsmaßnahmen.

Aufbruchsstimmung

© Foto: Dr. Bernd Kregel, 2015Ob die allerdings auf Dauer ausreichen, weiß heute noch niemand zu sagen. Sicher ist nur, dass die „Djerbahood“- Kunstwerke zu originell  sind, um sie dem Zahn der Zeit in Gestalt des unbarmherzigen Wüstenwinds zu überlassen. Denn der hat sich längst als Kunstbanause erwiesen und pfeift auf jegliche Straßenkunst. Schade, legt diese doch beredtes Zeugnis ab von einer Aufbruchsstimmung, die zumindest in ihrem Ursprungsland Tunesien auf fruchtbaren Boden fiel.

Reiseinformationen “Djerba”:

Anreise: Direktflüge nach Djerba mit Tunis Air, www.tunisair.com; Nouvelair, www.nouvelair.com; Condor, www.condor.com; Air Berlin, www.airberlin.com

Einreise/Ausreise: Bei Pauschalreise reicht der Personalausweis, bei Individualreise der Reisepass; Einreiseformalitäten am Flughafen. Bei der Rückreise ist ein Betrag im Wert von Euro 13 zu entrichten

Reisezeit: Ganzjährig; der Sommer ist bekannt wegen seiner hohen Temperaturen. Angenehmer sind die Übergangstemperaturen.

Reisebuchungen: Alle Reisebüros vermitteln Reisen nach Djerba, z.B. Reisebüro an der Oper in Bonn, www.rautenberg-reisen.de; Tel. 0228-9262698-0

Unterkunft: Midoun: Robinson Club Djerba Bahiya, Tel 00216-75745500, djerbabahiya@robinson.de, www.robinson.com; Erriadh: Dar Dhiafa, Charme Hotel: Tel. 00216-75671166, dar.dhiafa@gnet.tn, www.hoteldhardiafa.com

Auskunft: Tunesisches Fremdenverkehrsamt, Bockenheimer Anlage 2, 60322 Frankfurt, Tel. 069-133835, info@tunesien.info; www.tunesien.info

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