Das neue Bild vom Weltall wird immer löchriger – Serie: Über das Buch „Faszination Kosmos – Planeten, Sterne, schwarze Löcher“ (Teil 1/2)

Buchcover

Aber auch das individuelle Bild des Universums, sowohl des Wissenschaftlers, wie des interessierten Laien, droht löchriger zu werden, wenn man sich nicht darum bemüht, sein diesbezügliches Wissen regelmäßig aufzufrischen. Diesem Zweck dient der Sammelband „Faszination Kosmos – Planeten, Sterne, schwarze Löcher“ , herausgegeben im Rahmen der „Zeit Wissen Edition“ von Andreas Sentker und Frank Wigger, erschienen im „Spektrum – Akademischer Verlag“.

Im ersten Beitrag dieses Buch befasst sich der britische Physiker irakischer Herkunft Jim Al-Khalili mit dem Wesen des Phänomens Zeit. Wenn man nicht weiter darüber nachdenkt, vermeint jeder zu wissen was Zeit ist, aber um so tiefer man darüber nachdenkt und wenn man sie dann vielleicht auch noch begrifflich definieren soll, wird es problematisch. So etwa sagte es bereits der Kirchenvater Augustinus. Die Physik des Issac Newton kennt nur eine absolute und absolut gleichförmig verlaufende Zeit, die, zusammen mit dem dreidimensionalen Raume, sozusagen das Gefäß für die sich bewegende Materie abgibt. Albert Einstein hat jedoch nachgewiesen, dass auch dem Verlauf der Zeit eine gewisse Relativität anhaftet, nicht unabhängig von der sich bewegenden Materie ist. Bei Geschwindigkeiten, die sich der Lichtgeschwindigkeit annähern, sowie im Einflussbereich gigantischer Gravitationsfelder, bzw. gigantischer Raumkrümmung, was nach der Allgemeinen Relativitätstheorie schließlich dasselbe, vergeht die Zeit langsamer, wird gedehnt, bis hin zu ihrem Stillstand als Limes bei Erreichung von Lichtgeschwindigkeit bzw. unendlicher Gravitation.

Aber gibt es die Zeit eigentlich wirklich? Der Philosoph Immanuel Kant hielt sie lediglich für eine Kategorie des menschlichen Verstandes, um die Sinneseindrücke sinnvoll zu ordnen. In der Gegenwart sind es vor Allem die Quantenphysiker, die an der objektiv-realen Existenz der Zeit zweifeln, da alle Reaktionen in der Quantenwelt zeitreversibel ablaufen. Es lässt sich in der Quantenwelt kein Zeitpfeil ausmachen. Und besteht letztlich nicht das ganze Universum aus Quantenobjekten? Aber das Universum ist mehr als die Summe seiner Teile oder mit anderen Worten, stellt gegenüber der Quantenwelt einen dialektischen Qualitätssprung dar. Das ist wie mit der Ernährungsphysiologie oder Biochemie der menschlichen Ernährung und der menschlichen Gesellschaft: Ohne erstere könnte es letztere zwar nicht geben, aber was sich in menschlichen Gesellschaften abspielt, können wir nicht mit der Biochemie beschreiben, sondern bedürfen hierfür der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, der Ökonomie und der Politikwissenschaften. Al-khalili verteidigt richtiger weise die objektiv-reale Existenz der Zeit, wobei die Entropiezunahme als Zeitpfeil des Universums dient: Die Zeit des Universums vergeht von Zuständen niedrigerer Entropie zu solchen höherer.

Aber was ist Entropie? Für den Nicht-Naturwissenschaftler ist diese Kategorie natürlich noch unwirklicher und schwerer begreiflich als die Zeit. Gerne versucht man es mit dem Kinderzimmer zu erklären: In den Zustand unaufgeräumter Unordnung, hoher Entropie, gelangt es regelmäßig wie von selbst. Um es hinwiederum in einen Zustand aufgeräumter Ordnung, niedrigerer Entropie, zu versetzen, ist das Aufbringen von Arbeit notwendig. Aber nehmen wir ein Beispiel aus dem jetzigen Europa-Wahlkampf: „Heiße Luft würde Linke wählen“ plakatiert die SPD. Das ist natürlich herabsetzend gedacht. Aber als Physiko-Chemiker weiß man, dass heiße Luft Arbeit verrichten kann, vorausgesetzt dass sie hinreichend heißer ist als die Umgebungstemperatur, also auch Motoren treiben, vorwärts bringen. Hoffen wir also, dass diese Partei hinreichend heißer ist, als die Umgebungsparteien, dann wird sie uns voranbringen. Aber zurück zur Physik: Zustände geringer Entropie sind in der Lage große physikalische Arbeit zu verrichten; in Zuständen hoher Entropie haben sich alle Potentiale weitgehend angeglichen, man spricht auch von kleinen Gradienten, das System hat nur eine geringe physikalische Arbeitsfähigkeit.

Das Universum beginnt mit einem Zustand maximaler Entropie. Leben wir in einem offenen Universum, welches ewig expandiert, nimmt auch die Entropie des Universums ständig zu, bis hin zu einem Zustand, in welchem infolge eben jener hohen Entropie keine qualitativen Entwicklungen mehr möglich sind; das Universum stirbt den Entropie- oder Wärmetod. Leben wir jedoch in einem geschlossenen Universum, welches in einem Endknall, sozusagen einem schwarzen Loch, endet, endet dort auch der Zeitpfeil und die Entropie nimmt dort wieder ihren Maximalwert an.

Max Rauner, der Autor des folgenden Beitrages „Tausend Körnchen Gegenwart“ untersucht das Ende des Zeitbegriffs in anderer Hinsicht, nämlich bzgl. der kleinsten Zeieinheiten, die heute messbar sind und bzgl. der Frage, ob die Teilbarkeit der Zeit unendlich sei. Die kleinsten Zeiteinheiten, die heute messbar sind, liegen im Bereich der Atto-Sekunden. Eine Atto-Sekunde ist eine trillionstel Sekunde. Nach den Vorstellungen der Heisenbergschen Unschärferelation sollte jedoch auch die Zeit nicht unendlich teilbar sein, sondern am unteren Skalenende sozusagen körnig sein. Es sollte so etwas wie unteilbare Zeitatome geben. Diese, nach dem Physiker Max Planck benannte, sogenannte Planck-Zeit, sollte gemäß der Unschärferelation eine Dauer von 0, 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 05 Sekunden haben, oder anders ausgedrückt 0,5*10^43s.

Endet die gegenwärtige Finanz- und Systemkrise des Kapitalismus mit einer gewaltigen vielleicht weltweiten Inflation infolge der Unsummen ungedeckter Geldbeträge, die die Regierungen in die bedrohten Banken und Volkswirtschaften pumpen? Viele Leute, die überhaupt noch über Vermögen verfügen, beginnen Sachwerte, wie Gold, dem Geld oder irgendwelchen unsoliden Finanzprodukten vorzuziehen. Was das mit dem Universum zu tun hat? Auch Mondgestein könnte eine gute Geldanlage sein! Der Beitrag von Klaus Kamolz beschäftigt sich mit dem Schicksal jener 382 Kilogramm Mondgestein, welche die Apollo-Missionen der NASA zur Erde schafften. Eigentlich dürfte allerdings gar kein Mondmaterial auf dem Markt sein, denn trotz allen Privatisierungswahns der letzten Jahrzehnte gilt das gesamte Mondgestein der NASA-Missionen als nationaler Schatz der USA. Aber es hat schon und einige Diebstähle gegeben. Auch hatte das Mondgestein eine gewisse diplomatische Rolle gespielt: In Zeiten in denen das US-Image infolge Vietnam-Krieg und Watergate-Affaire sehr gelitten hatte, wurden zu dessen Aufbesserung Proben von Mondmaterial an ausländische Staatsoberhäupter übergeben, darunter auch solche von eher instabilen Regimen, die heute längst nicht mehr existieren. Auch dadurch gelangte einiges an Mondmaterial auf einen schwarzen Markt hierfür. Das Gramm Mondmaterial soll für 50 800 Dollar gehandelt werden. Ist das nicht eine tolle Geldanlage? Was ist Gold dagegen? Aber Vorsicht! Vielleicht fliegen bald Chinesen, Inder und Japaner zum Mond und bringen ein paar tausend Kilogramm Mondklamotten mit. Wenn die das Zeug dann auf den Markt werfen, droht eine inflationäre Entwertung des Mondmaterials.

Zu den größten Peinlichkeiten der Geschichte der katholischen Kirche gehört die Verurteilung Galileos. Zwar gab es schlimmeres Unrecht, denn bekam ja nur Hausarrest, während viele andere Opfer der Inquisition den Scheiterhaufen besteigen mussten, aber selten wurde ein ansonsten untadeliger Katholik so eindeutig einzig und allein wegen einer naturwissenschaftlichen Ansicht verurteilt und zwar einer, die sich im Folgenden als eindeutig richtig erwies. Um solchen Blamagen vorzubeugen, verfügt der Papst heut über eine eigene Sternwarte. Sie befindet sich an seinem Sommersitz Castel Gandolfo am Lago d`Albano. Hierüber berichtet der Beitrag von Max Rauner. Die Astronomen und Astrophysiker, die hier arbeiten, sind allesamt Jesuitenpadres und natürlich gläubige Katholiken. Aber Kopernikus und Gallile hatten natürlich Recht und Darwin hat auch Recht. Man kann sich das Universum natürlich auch ohne Gott denken, aber für sie ist er eben der Schöpfer der Naturgesetze. Ist es denn nicht Wunder genug, dass sie bis in die entferntesten Räume und Zeiten so zuverlässige Geltung besitzen? Mit anderen Gliederungen der katholischen Kirche kann man mit solchen Haltungen natürlich schon anecken, aber das kommt selten vor, weil sie von denen kaum zur Kenntnis genommen werden. Konkret könne die Naturwissenschaft zwar von der Religion kaum etwas profitieren, außer dass sich auch Naturwissenschaftler nicht für allzu allwissend halten sollten, aber der Mönchsastronom Gabriele Gionti ist überzeugt, dass Gott das Universum wohl doch eher nach den Gesetzen der Quantenkosmologie als nach denen der Stringtheorie erschaffen habe. Nicht nur meine Wenigkeit hatte einmal Gelegenheit hier die Sternwarte am Albaner See zu weilen, sondern auch Stephen Hawking war hier einmal zu einer kosmologischen Konferenz eingeladen. Wie auch in seinem Vortrag an der FU zum Einsteinjahr, 2005, wovon ich für Weltexpress berichtete, lässt er es in keinem seiner Vorträge aus, daran zu erinnern, dass es ihm doch etwas mulmig war, beim Betreten dieser Räume und er immerzu an Gallile denken musste, welcher in das Gefängnis der Inquisition geworfen wurde. Die Astronomenpadres von heute meinen hingegen, die Naturwissenschaften seien sehr gut für den Glauben, weil sie vor sinnlosem Aberglauben bewahrten. Leider sei aber festzustellen, dass in der Kosmologie immer mehr Theorien diskutiert würden, die im Grunde den Bezug zur Wirklichkeit verloren hätten, und quasi Religion seien.

“Es gibt Universen, in denen die Doppelgänger-Erde von Dinosauriern bevölkert ist, die inzwischen schon große Autos fahren, behauptet etwa der Kosmologe Alexander Vilenkin. … Und es gibt Universen, in denen die Nazis den Weltkrieg nicht verloren, sondern die Weltherrschaft übernommen haben…“ Damit sind wir wohl mitten drin, in den Theorien oder wohl doch eher Religionen von den Multiversen mit denen sich Tobias Hürter und Max Rauner in ihrem Beitrag auseinandersetzen. Machen wir und zunächst den Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion klar: In der Wissenschaft gilt nichts als wahr, was nicht durch Versuch oder Beobachtung verifiziert (bestätigt) oder falsifiziert (widerlegt) werden kann. Wenn dies die gegenwärtige Meß- und Beobachtungtechnik noch nicht hergibt, aber prinzipiell irgendwann erreichbar ist, spricht das nicht gegen die Wissenschaftlichkeit einer Hypothese, wohl aber wenn sie sich prinzipiell jeder Überprüfbarkeit entzieht. Als Religion ist eine Weltanschaung zu begreifen, wenn sie Sätze für unhinterfragbar wahr hält, die sich jeder empirischen Überprüfung entziehen. Nun sind jene Quantentheoretiker, deren Mangel an philosophischer Bildung ihnen das Verständnis der Dialektik von Notwendigkeit und Zufall verwehrt, die nicht begreifen, dass das einzelne Quantenobjekt zwar zufällig reagiert, infolge der gigantischen Losgröße der Quantenobjekte vermittels der Gesetze der Wahrscheinlichkeit makroskopisch-phänomenologisch doch das gesetzmäßig Notwendige geschieht, auf die Idee gekommen, dass alles in einer bestimmten Situation Mögliche, die Gesamtheit des Möglichkeitsfeldes also, auch Wirklichkeit werden müsse. Da dies in einem Universum nicht geht, muss es eben derer unendlich viele geben und schlimmer jedes muss zu jedem Zeitpunkt immer wieder unendlich viele neue Hervorbringen, wegen jeden Elektrons, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einem Lichtquant reagiert oder auch nicht. Da diese ständig neu entstehenden Universen nie mehr miteinander in Wechselwirkung treten können, können wir sie natürlich prinzipiell niemals nachweisen. Das alles ist, wie auch die Autoren letztendlich richtigerweise ausdrücken, keine Physik, keine Wissenschaft mehr, sondern haltlose Spekulation.

Etwas anders sieht es dann mit jenen Multiversums-Theorien aus, die davon ausgehen, dass infolge der raumzeitlichen Endlichkeit unseres Universums geschlossen werden muss, dass in der Unendlichkeit einer euklidischen Raumzeit immer wieder Universen entstehen müssen, eben wie Blasen in einem kochenden Suppentopf. Bewiesen an der Endlichkeit unseres Universums ist zwar nur dessen Anfang in der Zeit, ein zeitliches Ende gilt Vielen als wahrscheinlich, ist aber unbewiesen. Allerdings muss man sich auch hier die Bedeutung des Ereignishorizontes klarmachen: Da die Lichtgeschwindigkeit die Maximalgeschwindigkeit jeder Informationsübermittlung ist, können wir keinerlei Informationen erlangen über Bereiche des Raumes aus denen das Licht seit Anbeginn unseres Universums noch keine Zeit gehabt hatte, zu uns zu gelangen. Diese Raumbereiche liegen für uns hinter dem Ereignishorizont. Genauso entzieht sich alles was vor dem Urknall war, sofern eine Zeit vor dem Urknall überhaupt definierbar ist, allenfalls eine euklidische aber keine gerichtete, jeglicher Beobachtung durch uns. Andere Universen liegen damit prinzipiell außerhalb des Bereichs möglicher Beobachtung und damit möglicher Verifikation oder Falsifikation. Sie mögen eine legitime Spekulation sein, müssen aber Spekulation bleiben. Sie für gesicherte Wahrheit zu halten, wäre Religion.

Mit weiteren interessanten Beiträgen in diesem Buch werde ich mich im nächsten Teil meines Artikels auseindersetzen. Trotz durchaus unterschiedlichen Niveaus der einzelnen Beiträge, kann man das Buch nur als eine Schatzkammer bezeichnen, eine Schatzkammer, für all diejenigen die sich brennend für die fragen des Universums interessieren.

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Faszination Kosmos: Planeten, Sterne, Schwarze Löcher, Herausgeber: Andreas Sentker, Frank Wigger, Mit einem Nachwort von Rudolf Kippenhahn, 2008 Akademischer Verlag Heidelberg und Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co KG, ISBN: 978-3-8274-2001-5

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