Alexander Sosnowski im Gespräch mit Willy Wimmer – Zum Buch „Und immer wieder Versailles. Ein Jahrhundert im Brennglas“

"Und immer wieder Versailles. Ein Jahrhundert im Brennglas" Alexander Sosnowski im Gespräch mit Willy Wimmer. © Zeitgeist Print & Online

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vor hundert Jahren unterschrieb das Deutsche Reich, erpresst mit der Drohung weiterer Hungerblockade und eines alliierten Einmarsches, das Diktat des Friedensvertrags von Versailles, der mit anderen Pariser Vorortverträgen den Unfrieden in Europa bis ins 21. Jahrhundert vorzeichnete und bestimmte.

Der Rechtanwalt Willy Wimmer, bis 2009 33 Jahre direkt gewähltes Mitglied des Bundestages (CDU), war als Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, Parlamentarischer Staatssekretär des Verteidigungsministers und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der KSZE/OSZE viele Jahre Akteur der deutschen und internationalen Politik. Als Referent, Autor und Interviewpartner plädiert er seit Jahren gegen den Mainstream für das Einhalten des Völkerrechts und gegen westliche Kriegstreibereien. Er lässt sich von dem seit dreißig Jahren in Berlin und Russland tätigen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Publizisten Prof. Dr. Alexander Sosnowski zum Komplex Versailles und Folgen bis hin zur heutigen Politik befragen. Auch wenn in den Fragen hin und wieder mainstreamige Klischees anklingen (als sei z. B. das Ergebnis deutscher Feldzüge im Zweiten Weltkrieg, „Eroberung“, auch ihr Zweck gewesen), stehen die Antworten gnadenlos quer zu offiziellen Geschichts- und Politikbildern. Einige wichtige Aussagen zu den kunterbunten Fragen in Kürze: Im Ausland „vermag man offenbar ein objektives Urteil über die Wehrmacht zu fällen, einzig die deutsche Bundesregierung kann das nicht“, was der neue Traditionserlass zeige, der, wie es schon in Wimmers Vorwort heißt, „in der Behandlung deutscher Soldaten den Propagandageist der Sieger des Ersten Weltkrieges atmet“. Dieser wurde vor allem von Großbritannien vorbereitet und Deutschland „aufgezwungen“ (was Christopher Clark übergehe), weil es weiterhin auf dem Kontinent Macht ausüben wollte. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn mussten dazu vernichtet werden. Die Ausschaltung Russlands kam als Wunsch der USA noch dazu. Versailles (als Ausdruck für alle Pariser Vorortverträge) sollte den Sieg vernichtend machen. Das war ein fundamentaler Bruch mit der bisher in Europa geübten politischen Kultur, Unterlegene an Friedensschlüssen als Partner für die Zukunft gleichberechtigt teilnehmen zu lassen [was sogar noch für den Frieden von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland galt, d. Rez.]. Das Diktat des Hasses habe aber zwangsläufig zum Zweiten Weltkrieg, geführt, vielleicht auch ohne Adolf Hitler. Dieser, von US-Finanziers gefördert, sei Mittel zu dem großen amerikanischen Ziel gewesen, Sowjetrussland zu vernichten. Das Dritte Reich half den Zionisten in Palästina. In der Zwischenkriegszeit sei Polen wegen seiner militärischen Konflikte mit fast allen Nachbarn ein „Schurkenstaat par excellence“ gewesen, aus dem die bedrängten Juden ins Reich flüchteten. Das Reich wollte sich mit ihm verständigen, wozu auch ein Nichtangriffspakt diente. Polen wähnte sich Deutschland militärisch überlegen; die Deutschen dort wurden verfolgt – „mit vielen Toten“. Seine westlichen Unterstützer ließen es ins Messer laufen: Ihm wurde der zumindest den USA bekannte geheime, für Polen tödliche Hitler-Stalin-Pakt verheimlicht. Der deutsch-polnische Krieg war ein regionaler Konflikt: Er wurde erst durch die britisch-französische Kriegserklärung an Deutschland zum europäischen, dann zum Weltkrieg. Deutsche Friedensversuche hatten keine Chance, denn in der „gesamten Kriegsplanung der Westalliierten […] ging es um die Vernichtung eines eigenständig operierenden deutschen Staates.“ Durch den „mörderischen Angriff auf die Stadt Dresden“ sollte für „die Nachwelt“ sogar „das Bild einer klassischen deutschen Stadt“ ausgelöscht werden, das in der Nachkriegszeit als für Deutschland sprechender „Zauber“ hätte wirken können. Die millionenfache unüblich lange Sperre von britischen Dokumenten dieser Zeit solle wahrscheinlich Abgründe britischer Kriegspolitik verbergen, nicht zuletzt in Bezug auf Rudolf Heß. Wimmer findet, „die europäische Zusammenarbeit darf nicht von dieser Siegerhistorie dominiert werden“, daraus entstehe „Gift für die Zukunft“.

Deutschen sei der Rechtsstaat, wie er sich im Kaiserreich manifestierte, ein besonderes Anliegen. Nicht zuletzt die rechtswidrige Niederschlagung der „Röhm-Affäre“ 1934 gab ihm den Todesstoß. Heute hat Deutschland „durch das eigenmächtige und durch keine Rechtsordnung gedeckte“ Schutzlosstellen der Grenzen im September 2015 „das gleiche [Problem] wie jenes, das durch die Ermordung von Ernst Röhm losgetreten wurde“. Dieser traurigen Feststellung zum heutigen Deutschland stellt Wimmer die Bonner Bundesrepublik entgegen. Sie war zwar de jure nur halbsouverän, nahm aber nach bestem Vermögen deutsche Interessen wahr und konnte sogar international erfolgreich für den Abbau von Spannungen und Friedenserhaltung wirken. Ihre Ministerien waren befähigt, alle Gesetzesvorlagen selbst zu erarbeiten. Die Berliner Republik ist dagegen nur noch ein schwacher Schatten. Der Vertrag von Maastricht ist in Wimmers Augen „das Ende des demokratischen Europas“. Es wurde in eine „fast faschistische Richtung gelenkt“. Dadurch sind 80 Prozent der nationalen Befugnisse nach Brüssel gegangen; die Ausdünnung der Ministerialverwaltung habe die Ministerien so impotent gemacht, dass Gesetzesvorlagen nur noch mit gekauftem Know-how meist angelsächsischer Anwaltskanzleien geschrieben werden können. Dazu haben es die USA, sekundiert von den Briten, geschafft, die deutsche politische Szene so zu unterwandern, dass die deutsche Politik zu großen Teilen nur noch eine Funktion der amerikanischen sei, auf Konfrontation bis hin zum Krieg gegen Russland ausgerichtet. Dabei hatte die CIA schon 1988 deutschen Parlamentariern überraschend eröffnet, die sowjetische Rüstung habe aus der Erfahrung westlicher Einfälle seit Napoleon nur dem Schutze von „Mütterchen Russland“ gedient. Mit ihrer Unterschrift unter die „Charta von Paris für ein neues Europa“ von 1990 schienen die USA daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. Doch schon der von den USA betriebene völkerrechtswidrige Krieg der Nato gegen Jugoslawien/Serbien von 1999 bewies das Gegenteil. Ein Jahr danach, auf einer Konferenz in Bratislava (Preßburg) des US- Außenministeriums mit höchst- und hochrangigen Vertretern europäischer Staaten und der Nato [siehe Bericht des MdB Wimmer unter „Bratislava-Konferenz“ in Wikipedia, d. Rez.] machten die USA eindeutig klar, dass ihr Herrschaftsanspruch vom Völkerrecht nicht behindert werden dürfe, und Europa westlich der Linie Riga – Odessa – Djabakir ihrer Hegemonie unterstehe. Seither sei die Nato ohne Vertragsänderung vom Verteidigungs- zu einem Angriffsbündnis pervertiert worden. Mit Ausnahme vom Irak- und Libyenkrieg folgten deutsche Regierungen gegen das Grundgesetz diesem Kurs bis hin zum Bestreben, den Parlamentsvorbehalt für Militäreinsätze abzuschaffen – was die Bundeswehr über den amerikanischem Nato-Oberbefehlshaber Europa in die Hand des Präsidenten der USA gäbe. Die Unfähigkeit der deutschen Führung zu einer auf gute Nachbarschaft mit Russland angelegten Politik schmerze viele Deutsche. Warum mehr für die Verteidigung ausgeben, wie es die USA verlangen?! Wie selbstherrlich agieren US-Militärbefehlshaber in Europa! Wie unverschämt wird die deutsche Industrie von US-Anwaltskanzleien ausgeplündert! Der September 2015 sei ein „Putsch“ gewesen; „er hat den Charakter des freiheitlichen Deutschlands, begründet auf der Souveränität seiner Bürger, in der Substanz verändert, und zwar zum Nachteil. […] Wenn man sich zu den Belangen des deutschen Volkes äußert, dann wird man vom Verfassungsschutz und anderen staatlichen Institutionen ins Visier genommen. Man wird […] in die nationalsozialistische Ecke gestellt. Und es wird alles unternommen, um einen publizistisch […] so darzustellen, als sei man gegen dieses Land, obwohl diese Regierung […] alles unternommen hat, um die Grundlage des Staates, die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes zu zerstören. […] Es ist das deutsche Verhängnis, das in Versailles seinen Ursprung genommen hat und durch die jetzige Regierung in übelster Weise befördert worden ist.“

Willy Wimmer, der sich um die Zukunft Deutschlands sorgt, sieht offenbar aus seiner profunden Erfahrung in der Außen- und Sicherheitspolitik, eine zwingende Notwendigkeit, Tabus zu brechen, um ein tatsachengerechtes Bild der Geschichte ab 1871 wiederzugewinnen, damit die in der Siegerpropaganda gefangenen Nachkriegsgenerationen wieder zu einer fundiert klarsichtigen Politik zum Wohle Deutschlands und Europas befähigt werden. Die deutsche und europäische Politik ab 1999, die er mit einigen Hintergründen mehr als in seinen bisherigen Büchern schildert, ist mit Macht gegen eine friedliche Entwicklung, damit die eigenen Interessen gerichtet.

Für politisch Interessierte und Engagierte ist das unprätentiös mit persönlichen Erfahrungen gewürzte, trotz gewichtigen Inhalts leicht lesbare Buch eine kräftige Ermutigung, aus historischer Desinformation zur historischen Tatsächlichkeit durchzustoßen und in diesem Licht Politik in größeren Zusammenhängen zu sehen und zu beurteilen.

Bibliographische Angaben

Alexander Sosnowski im Gespräch mit Willy Wimmer, Und immer wieder Versailles. Ein Jahrhundert im Brennglas, 216 Seiten, mit Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, Verlag: Zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen, Mai 2019, ISBN: 978-3-943007-23-7, Preis: 21,90 EUR (D)

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Manfred Backerra
Manfred Backerra, Oberst (i. G.) a. D. der Luftwaffe, Transall-Pilot, zuletzt Kommandeur der Abteilung Gesamt- und Landesverteidigungslehrgänge an der Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw), Abteilungsleiter G2 des Bundeswehrkommandos Ost, Stv. Kommandeur und Chef des Stabes Lufttransportkommando, Chefdozent Militärisches Nachrichtenwesen an der FüAkBw. Jetzt Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e. V. (SWG).