Der Zeitpunkt der Verleihung des Hessischen Kulturpreises – der 1982 eingerichtet wurde und damals der unvergessene Eugen Kogon auszeichnete, Mitgründer der Frankfurter Hefte, von 1939 bis 1945 Häftling im KZ Buchenwald und als solcher Autor von „Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager“ – hätte für das Jahr 2009 der 5. Juli des Jahres sein sollen. Das war allerdings schon der zweite angesetzt Termin, der nicht eingehalten wurde. Denn ursprünglich war der 22. März 2009 vorgesehen für die öffentliche Verleihung der ausgewählten Kandidaten, die wegen ihrer beruflichen Rolle als lebendiger Dialog der Religionen dieses Mal ausgezeichnet werden sollten, alle viere: Ein Protestant, ein Katholik, ein Jude, ein Muslim. Das sind Peter Steinacker, der ehemalige Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Kardinal Karl Lehmann, Bischof von Mainz und bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Salomon Korn, von Beruf Architekt, aber bekannt als Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main sowie Fuat Sezgin, ein emeritierter Professor der Universität Frankfurt, ein großer Kenner und Erforscher der arabischen Kultur.
Doch der 22. März kam und ging vorüber, ohne daß man Weiteres vom Preis und seinem Preisgeld von 45 000 Euro gehört hätte. Erst im Mai des Jahres wurde durch das Kuratorium des Kulturpreises bekannt, daß Sezgin auf den Preis verzichtet hatte, weil er mit seinem Mitausgezeichneten, Salomon Korn, nicht einverstanden war, der sich im Israel- und Palästinenserkonflikt einseitig für Israel ausgesprochen habe. Wir schätzen, daß Sezgin niemals Korn persönlich kennengelernt hat, ist dieser doch ein sehr differenzierender humaner Intellektueller. Mit der gleichen Verlautbarung des Kuratoriums wurde bekanntgegeben, daß deshalb nunmehr neuer vierter Preisträger Navid Kermani sei. Dieser ist 1967 in Deutschland geboren als Sohn iranischer Eltern, der seine Gelehrtheit des Koran und anderer islamischer Überlieferungen in vielen Veröffentlichungen dokumentiert hat, ist ein Wanderer zwischen den Welten und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Das half ihm jedoch nichts, obwohl die anderen Preisträger zuvor befragt worden waren und ihr Einverständnis erklärten.
Denn Kermani hatte als Gast der Villa Massimo in Rom am 14. März des Jahres in der Neuen Zürcher Zeitung ein Bild besprochen: „Die Kreuzigung“ von Guido Reni in der römischen Basilika San Lorenzo in Lucina. Allerdings war dies keine kunsthistorische Abhandlung, sondern eine Reflexion über das Kreuz schlechthin, das für ihn aus seinen Vorbehalten „Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt.“ zu einer fata morgana angesichts des Kreuzes von Reni führte, weil er den Anblick so berückend fand, „so voller Segen, daß ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dacht ich: Ich – nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben.“
Die christlichen Vertreter der Preisträger, Peter Steinacker und Kardinal Lehmann hatten wohl nur die erste Passage gelesen, auf jeden Fall erklärten sie, nicht zusammen mit Navid Kermani den Preis entgegennehmen zu wollen, da sich dieser so eindeutig gegen das Kreuz als christliches Symbol ausgesprochen habe. Sie teilten in gemeinsamer christlicher Empörung dem Kuratorium mit, sie würden wegen des Kreuzes, „wegen der so fundamentalen und unversöhnlichen Angriffe auf das Kreuz als zentrales Symbol des christlichen Glaubens den Preis bei gleichzeitiger Vergabe an Navid Kermani nicht annehmen.“ Ja, ist man hier im Kasperletheater oder welche neuer Theaterform wurde hier geprobt? Denn jetzt waren alle vier Preisträger von den jeweils anderen diskreditiert worden. Viele formulierten, es solle der Hessische Kulturpreis dann am besten für das Jahr 2009 besser überhaupt nicht verliehen werden, da die gemeinsame Auszeichnung eben auf falschen Voraussetzungen beruhe, weil der belobigte Dialog sich als unzutreffend erwiesen habe.
Andere meinten sogar, man solle dann auf die beiden christlichen Vertreter bei der Preisvergabe für Toleranz verzichten und den Preis nur dem jüdischgläubigen Salomon Korn und dem Muslim Navid Kermani überreichen, eine interessante Variante. Das traute sich das Kuratorium nicht. Die Posse ging weiter und veränderte ihre literarische Form zu einer erneuten Auflage des Redens über das Reden. Denn das Tolle an dieser Geschichte ist ja, daß aus einem Preis für Toleranz eine Debatte für intolerantes Verhalten der jeweiligen Preisträger entstanden war. Dabei muß man allerdings zwei Schweiger ausnehmen. Weder Salomon Korn, noch der zur Klarlegung seiner Kreuzesgefühle aufgeforderte Navid Kermani haben sich zu dem Preis oder den anderen Preisträgern geäußert. Stattdessen gab es ein – durchaus verständliches – gemeinsames Protestieren von Juden und Muslimen gegenüber der Auffassung, zur Toleranz gegenüber den anderen Religionen gehöre die Anerkennung des Kreuzes für andere Religionen. Denn Juden und Muslime wiederum eint, daß sie sich kein Bildnis von Gott machen sollen, also auch qua Religion keinen Christus am Kreuz. Wer nun die christlichen Gottesstreiter zur Vernunft und Einsicht brachte, daß die Äußerungen Kermanis in seinem Zeitungsartikel zum Kreuz eher orthodoxe Muslime denn Christen auf die Palme treiben könnten, wissen wir nicht. Der Zahn der wochenlangen Zeit brachte sie zur Einsicht, gemeinsam den Hessischen Kulturpreis nun doch annehmen zu wollen.
Dem kam also nun das Kuratorium nach und erneuerte die Benennung der Preisträger mit folgender Anmerkung: „Das Kuratorium sieht sich auch durch die Schwierigkeiten der letzten Monate bestärkt darin, mit der Verleihung des Kulturpreises für die Notwendigkeit eines verständnisvollen Umgangs der Religionen miteinander auf der Basis gemeinsamer kultureller Werte einzutreten. Das sei offenkundig, jedenfalls noch nicht, ohne Spannungen möglich. Um so mehr seien die Mitglieder des Kuratoriums erfreut darüber, daß es nunmehr doch wie erhofft zu einer gemeinsamen Verleihung des Kulturpreises an Salomon Korn, Karl Kardinal Lehmann, Peter Steinacker und Navid Kermani komme.“
Wäre vielleicht angebracht, die Preisübergabe mit den Betroffenen alleine zu veranstalten, damit diese vier endlich in die gemeinsame Diskussion geraten, derenwegen sie den Preis erhalten haben. Das Verhalten der Hessischen Landesregierung wollen wir nicht kommentieren. Gut gemeint ist eben nicht gut getan.