Wenn die Igel in der Abendstunde … – Abtauchen per Frachter zum Relaxen in der finnischen Seenplatte

Klar zum Boarden in Lübeck vor der Heckrampe der STENA FORERUNNER

Einsam dümpelt auf dem Autodach „abgehobenes“ das rote Seekajak „Pero“ zwischen Bergen von Containern und Trailer-Kolonnen.

Aus dem platt gemachten Gelände der früheren Flender-Werft ist inzwischen ein geschäftiger Hafen geworden. Nur ein PKW verirrt sich heute hierher. Der darf in eine riesige Garage rollen, allerdings gemeinsam mit schwergewichtigen LKW-Trailern. Schlüsselempfang beim Ersten Offizier, der gleich auch ein paar Trucker bedient.

Ein Zittern durchläuft den Frachter: 23 Uhr, das Auslaufmanöver beginnt. Über den grün-rot blinkenden Tonnenweg tastet er sich auf der Trave an Travemünde vorbei in die Lübecker Bucht. Am darauffolgenden ist erst mal Ausschlafen angesagt. Die Zeit vergeht mit Lesen, Sonnen, Schiffegucken und Essen wie im Flug. Auch eine Brücken- und Maschinenraumführung gehört dazu.

Nach flotter 32-stündiger Fahrt über die kajakruhige Ostsee, stundenlange Ausblicke auf Gotlands Westküste inklusive, macht „Stena Forerunner“ pünktlich um sieben Uhr früh in Hanko, dem südwestlichsten Zipfel Finnlands, fest. Bei subtropischen Morgentemperaturen. Der weißbärtige Bilderbuch-Kapitän Hans Ekloff verabschiedet sich strahlend zum Nordic Walking in den nahen Wald.

Ohne deutschen Straßenstress geht es in gemächlichem 80-Kilometer-Tempo dem Ferienhaus mitten im Saimaa-Seen-Gebiet im karelischen Osten des Landes entgegen.

Wüste Piste mit Schleudereffekt

Hügelauf, hügelab, durch dichtes Nadel- und Birkenwaldspalier, windet sich das Asphaltband. Immer öfter blitzt ein Seestück von insgesamt 188.000 dieses Wasser-Labyrinths durchs Gehölz. Die größte Seenplatte Europas. Das älteste Gestein der Welt, der vier Milliarden Jahre alt granitene Baltische Schild, und die Eiszeiten standen Pate für diese attraktive Landschaftstrilogie aus Wald, Wasser und Fels. Die Straßenbauer hatten hier reichlich zu sprengen.

Um überhaupt zu zur Hütte – sie soll die nächsten zwei Sommerwochen Lebensmittelpunkt sein – zu finden, hat man vom Vermieterbüro eine detaillierte Wegbeschreibung mitbekommen. Letztes Stück: eine zwölf Kilometer lange wellige Sandpiste, auf der der Wagen manchmal ins Schleudern gerät wie im Winter auf eisglattem Untergrund. Der Kajak-Resonanzboden verstärkt das markerschütternde Rütteln der Wellblechpiste. Undurchdringliche Staubwolken vernebeln die Sicht nach hinten und überpudern das Auto von oben bis unten. Ein kleines handbemaltes Holzschild, beinahe könnte man es übersehen, weist plötzlich nach rechts in einen autoschmalen, anscheinend wenig befahrenen Grasweg. Ende der Wüsten-Wald-Strecke. Dann die Überraschung: auf einer baumbestandenen Halbinsel, die Blockhütte aus hellen, abgeschälten Kiefernstämmen. Gleich dahinter der tiefblaue See. Weit und breit kein Nachbarhaus. Hier kann man stundenlang sitzen und auf den Wald am anderen Ufer gucken oder auf den links oder rechts. Das ist etwas anderes, als nur auf die See zu blicken. Fernsehen jedenfalls hat hier keine Chance!

Finnischer Empfang

Erste „Amtshandlung“: Abladen des Bootes und „Taufe“ mit Saima-See-Wasser. „Tervetuloa! „Willkommen!“ Die Besitzer-Familie, zum Empfang 100 Kilometer weit angereist, versucht seine Gäste dann in bestem Finnisch und wenigen Brocken Englisch mit dem Häuschen vertraut zu machen. Dazu gehören eine separate Schlafhütte, Badesteg, Ruderboot, Herd, Kühlschrank und Quelle im Wald. Gas, jede Menge Holz im Schuppen und sogar Solarkraft sind unsere Energiequellen. Jedes Haus birgt noch einen finnischen Schatz: die Sauna.

Deutschsprachige Gebrauchs- und "Verhaltensanweisungen“ ergänzen das Repertoire. Beide Seiten sind zufrieden, und die scheuen Finnen verabschieden sich, unaufhörlich lächelnd, landesüblich mit: „Näkemin!“ „Auf Wiedersehen!“

Mökki statt Zelt

Allein in der Wildnis! Ringsum, so Karte und Augenschein, nur die typischen Landschaftselemente. Vor allem: viel, viel Wasser! Das ideale Kajakrevier. Früher ging so eine Tour nur per Zelt ab. Heute, „ein bisschen älter geworden“, freut man sich auf das gemütliche Haus mit seinem bescheidenen Komfort. Bei Regen in ein nasses Zelt zu kriechen – keine wahre Freude. Nach einem langen Tages-Kajaktörn noch in der „eigenen“ Sauna zu schwitzen und anschließend vor dem knisternden Kaminfeuer zu hocken – ein durchaus angenehmes Gefühl. Außerdem ist dies die landestypische Urlaubsform schlechthin. Jeden Sommer nutzen rund zwei Millionen Menschen 450.000 „mökkis“, übersetzt „Sommerhaus am Wasser“. Diese Kultstätten nordischen Lebens dienen nicht nur den Finnen als zeitgemäße wie „zeitentrückte“ Freizeitfluchten. Sie scheinen mit der Landschaft verwachsen zu sein, da sie immer hinter Bäumen versteckt liegen und vom Wasser aus nur zu erahnen sind.

Der riesige rund 400 Kilometer lange Saimaa-See bietet so viele Tourenmöglichkeiten – auch mit dem hauseigenen Boot, wenn man kajaklos ist -, die vom jeweiligen Standort aus unternommen werden können. Das Landschaftsbild ändert sich auch nicht entscheidend, so dass man auf eine Wanderfahrt im klassischen Sinne verzichten kann.

Verlockendes Labyrinth

Erstaunlich, was man so alles im Umfeld einer Finnenhütte unternehmen kann!

Nach der Morgentoilette – für „das andere“ gibt’s ein Trockenklo – vom Bootssteg aus, dort liegt auch der Kahn vertäut, geht es erst mal auf „Kontrolltour“, die hauseigenen Fischreusen nachsehen. Könnte ja das „Abendbrot“ drin sein.

Auf der topografischen Karte (am besten 1: 20 000) wird ein Rundkurs abgesteckt, der mit Pausen gut abzupaddeln oder -rudern ist. Mal geht es über den offenen See, so dass das Seayak „Pero“ wellenfreudig reagiert; mal durch schmale Felskanäle und an Dutzenden von Inseln vorüber. Deren glattgeschliffene Buckel mit vom Eis ausgeschürften Einlaufbuchten verlocken zum Anlegen. FKK-Baden im klaren See, Sonnen auf durchwärmtem Fels, Preißelbeeren, Blaubeeren- oder Pilzesammeln – oder auch nur ein entspannendes Erholungsschläfchen halten. Die Seele vom Boot aus baumeln lassen, das lässt sich hier trefflich machen. In aller Seenruhe.

Zum „Fünfuhrtee“, je nach Lust und Laune, aber ohne Uhr, wird wieder am heimischen Steg festgemacht.

Die Sauna soll angeheizt werden (etwa eine Stunde braucht’s bis zur optimalen Schwitztemperatur zwischen 70 und 80 Grad Celsius); vielleicht muss noch Holz gehackt – das ist zwar vorhanden, aber die Arbeit macht aber Spaß – oder Wasser neben dem Ofen aufgefüllt werden.

Freiluftzoo am Haus

Zwischenspiel: Das intensive Abendlicht bietet sich Hobbymalern an zum Aquarellieren und Fotografieren. Die vier Privatinselchen rings um das Haus sind ideale Standorte dafür. Sie dienen allerlei Vogelarten wie Kanadagänsen – sie lassen sich sogar vom Steg aus füttern -, Kranichen, seltenen Enten und Tauchern als Rast- und Ruheplätze. Spechte hämmern, Eichhörnchen huschen, Meisen zirpen, Bachstelzen wippen, Fische springen. Man kommt sich vor wie in einem Freiluftzoo.

Nicht zu vergessen die Igelmutter mit ihren drei Jungen. Wenn es zwischen den Blaubeersträuchern raschelt und leise Pieplaute ertönen, weiß man: Sie sind wieder da. Gern kommen sie auch vorbei, um sich ein paar Leckerbissen anzuholen, die sie dann laut schmatzend vertilgen. „Wenn die Igel in der Abendstunde still nach ihren Mäusen gehn, hing auch ich verzückt an deinem Munde, und es war um mich geschehn – Anna-Luise-!“, möchte man spontan Kurt Tuchulskys Ohrwurm summen.

Mücken und Menüplan

Übrigens: Gegen die Finnland-Angst Nummer eins „Mücken“ kann man sich schützen; die Nummer zwei heißt „Kälte“. In der Schule mal was von „kontinentaler Sommerwärme“ gehört? Na, also, die hatte man nämlich – wie auch im Sommer 2010 – schon ein paar Mal mit 32 Grad im Schatten "satt".

Apropos: An Verpflegung ist fast alles im Auto aus Deutschland mitgenommen worden (in Finnland ist so manches doch teurer, vor allem Alkoholika). Dazu kommt, dass der nächste Laden 22 Kilometer von unserer Hütte entfernt ist. Sinnvoll erweist es sich, schon zu Hause einen Menüplan zu erstellen, so dass man nicht in „Proviantnot“ geraten kann. Außerdem: so wenig wie möglich Auto fahren! Lebensnotwendige Vitamine ergänzt man praktischerweise gratis während der täglichen Streiftouren direkt aus der Natur. Angel-Freaks kommen zudem auf ihre fischigen Kosten.

Magisches Himmelstheater

Nach der Sauna mit Abkühlungssprüngen in den See ein eiskaltes Helles zum Abendbrot auf der Terrasse mit Naturblick – doppelter Genuss! Vor einem leuchten Wald und See im letzten Abendlicht. Ab neun Uhr macht sich ein intensives Leuchten breit, färbt den Seespiegel ständig um und kitzelt immer mehr Farbtöne hervor. Tausende von Kiefernstämmen leuchten rostrot auf. Die Wolken verfärben sich märchenhaft. Eine Tagesabschluss-Bootsfahrt zum Sonnenuntergang muss einfach sein, um das das Licht zu genießen. Man scheut sich fast, die kilometerlange gleißende Sonnenbahn mitten auf dem stillen Seespiegel zu durchschneiden. Ein unendliches Gefühl der Ruhe durchströmt uns. Der hohe, weite Mittsommernachtshimmel glüht in allen Rottönen noch lange nach, während das Kajak nur schnell vergängliche Wellchen hinterlässt.

Tagesausklang nach 23 Uhr bei Spiel, Büchern und Wein. Kerzen liefern stimmungsvoll Licht und Wärme. Erst viel, viel später, als es im Nordosten schon wieder zu dämmern beginnt, rauschen einen die Kiefern in einen kuschligen Schlaf – das alles zusammen ist Finnland.

* * *

Infos

Schiff MS „Stena Forerunner“: Baujahr: 2003; Bauwerft: Dalian Shipyard, China; Eigner: Stena RoRo; Flagge: Schweden; Länge: 195 m; Breite: 26 m; Tiefgang: 7,50 m (max.); BRZ: 24.688; tdw: 12.300; Klasse: DNV + 1A1, General Cargo Carrier RoRo Container DG-P Ice 1A; Maschinen: 4 Wärtsilä NSD 8ZAL40S; Leistung: 24.000 kW; Geschwindigkeit (max.): 22,5 kn; Hilfsdiesel: 2 x 1500 kW; Verstellpropeller: 2; Bugstrahlruder: 2 x 1100 kW; Trailermeter: 3000 qm; Decksfläche: 9105 qm; Kabinen: für 12 Fahrer; Mitfahrtmöglichkeit: Transfennica Deutschland: www.transfennica.com

Ferienhäuser: sehr große Auswahl in allen Preislagen mit detaillierter Beschreibung und Fotos für alle Regionen Finnlands unter: www.interchalet.com; Finnland-Katalog Ferienhäuser und Hotels.

Kartenmaterial Finnland: Übersichtskarten (alle Maßstäbe) über Geobuchhandlung Kiel: 0431-91002; www.geobuchhandlung.de

Lebensmittel: nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen und aus Deutschland mitnehmen, auch Getränke (Alkohol ist in Finnland teuer). Kühltasche für den Transport von empfindlichen Produkten ist zu empfehlen. Küchengeräte und Geschirr sind weitgehend vorhanden. In den finnischen Läden kann man zu ähnlichen, z.T. überhöhtren Preisen Proviant ergänzen (Obst, Gemüse, Frischmilch, leckere Pimää = Buttermilch, Fleisch etc.). Zur Erleichterung beim Blaubeerenpflücken sollte man dort auch für rund vier Euro das entsprechende Kämmgerät kaufen. Zu empfehlen sind außerdem frisch geräucherte oder gebratene Seiblinge und Maränen auf den lokalen Märkten.

Kleidung: so wenig wie möglich, so viel wie nötig – Jogginganzug, Sweat- und T-shirts, Turnschuhe, Hausschuhe, Gummistiefel, Regenzeug. Mit dem warmen Saunawasser lässt sich auch schnell etwas durchwaschen und in der Sauna über Nacht trocknen. Ansonsten kann frau/man hüllenlos herumlaufen, sofern man kann und mag – und gegen Mücken ein gesprüht ist.

Bettwäsche ist mitzubringen, ebenso Körper- und Geschirrtücher.

Kohleanzünder: mit dem lassen sich Sauna- und Kaminfeuer schneller entfachen.

Auch sollte man an Mückenmittel, Saunakonzentrat, Bücher, Spiele, Kerzen, Bademantel und Badelatschen denken. Eine kleine Hausapotheke ist ratsam.

Keine Angst vor Transportproblemen: in den meisten Autos findet all das ohne weiteres Platz. Am besten, man legt sich vorher eine Checkliste an, die immer wieder benutzt und ergänzt werden kann.

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