Wassernomaden freuen sich auf Spargel satt – Zwei Segler plaudern an der Nordmole aus dem Nähkästchen

Kurs Stralsund vor der Kulisse von Hiddensee. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Strelasund 30.8.2014

Stralsund, Deutschland (Weltexpress). Wasser ist unser Leben“, lächelt Gerd, „und darum leben wir auch auf dem Wasser“, ergänzt Lebenspartnerin Petra. Beide – er Nautiker aus Schleswig, sie Hotelkauffrau aus Stralsund – sind passionierte Segler im Ruhestand.

Sie kennen die Ostseeküste wie ihre Westentasche. „In den meisten Marinas werden wir von den Hafenmeistern schon wie alte Bekannte begrüßt: „Seid ihr auch mal wieder hier?“, heißt es dann nur mit dem immer gleichen familiären Zusatz: „Ihr wisst ja Bescheid!“

Ja, das kann man von ihnen behaupten. „Jahrelang sind wir so wie jetzt unterwegs, aber nie richtig heimisch geworden“, blickt Petra zurück, aber auch in die Zukunft: „Ich kann mir vorstellen, mal irgendwo für längere Zeit vor Anker zu gehen“, und Gerd pariert: „Aber nur, wo es uns gefällt“. Die dänische Südsee zwischen Sonderburg und Marstal hatte es ihnen angetan: „Das war absolut idyllisch, zumindest außerhalb der Saison, wenn nur noch wenige Fahrtensegler unterwegs waren“, erinnert sich Petra, „ruhige Liegeplätze, kein Getümmel und richtige Urlaubsstimmung“. Während ihrer Berufszeit an Bord eines großes Kreuzfahrtschiffes, wo sie sich kennengelernt haben, konnten sie genau das Gegenteil erleben: „Täglich mit hunderten von Touristen umgehen zu müssen, kann ganz schön nervig sein“, meint Petra, die sich als Purserin um die finanzielle Seite einer Kreuzfahrt kümmern musste, „da gibt´s immer wieder Beschwerden, wenn Gäste mit der einen oder anderen Rechnung nicht zufrieden sind oder einfach nur gemeckert wird, um einen Reiserabatt rauszuschinden“. Beide möchten daher in der Zeitung auch nicht genannt werden, „dann haben wir“, verzieht Gerd das Gesicht, „vielleicht wieder ehemalige Gäste auf dem Hals nach dem Motto: „Sie kennen uns doch noch von der Ostsee-Reise 2015, als wir nach Sankt Petersburg gefahren sind…“

Der Nordhafen von Stralsund vor markanter Stadtkulisse. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Stralsund, 25.5.2021

Mitten in der Stadt

In diesem zweiten Corona-Frühjahr konnten sie dieser Tage endlich die Leinen loswerfen, um nach langer Zwangspause und Bootsüberholung wieder auf Törn zu gehen. „Wir fahren quasi ins Blaue“, erklärt Gerd, „ähnlich wie jetzt einige Kreuzfahrtschiffe“. „Mit dem kleinen Unterschied“, ergänzt Petra, „dass wir jetzt überall anlegen können, während manche Kreuzfahrer nur auf See sind, ohne anzulegen. Jedem Tierchen sein Plaisierchen…“

Jetzt sei es überall noch relativ ruhig und man könne sich die Liegeplätze aussuchen. Wenn es im Sommer voll losgehe, sei es damit auch vorbei. Die Beiden lieben es ruhig nach viel beruflichem Stress. „Wir dackeln ganz sinnig die Küste entlang und suchen uns das passende Nest“, fährt Gerd mit dem Finger über die Seekarte, „je nach Lust, Laune, Lage und Wetter“.

Für die nächste Zeit haben die beiden Seenomaden mit ihrem 38-Fuß-Kreuzer im Stralsunder Nordhafen festgemacht. „So schön, fast mitten in der Stadt“, schwärmt Insiderin Petra, „hat man´s selten“. Gerd, an der Schlei aufgewachsen, nimmt natürlich seine Heimatstadt in Schutz: „In Schleswig liegst du auch beinahe mittenmang“. Womit der Recht hat. A propos: Wie es denn sei auf so engem Raum wochenlang zusammen zu hocken? „Da wird auch schon mal gezofft“, gibt Petra offen zu, „aber Wind und Wetter lenken oft sehr schnell von solchen Kleinigkeiten ab, außerdem kennen wir uns schon lange genug, um eingeschnappt zu spielen“.

Der Mastenwald im Nordhafen von Stralsund konkurriert mit der Gorch Fock (I). © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: Stralsund, 25.5.2021

Gegen Wind und Strömung

Ein bisschen Alltagspsychologie und Diplomatie können da nicht schaden. „Das ist wie bei ´nem Gewitter“, wirft Gerd ein, „es zieht am Horizont auf, grollt, blitzt und donnert, dann ist der Spuk auch schon vorbei“. Es soll auf manchen Booten auch schon zu heftigen Krächen gekommen sein, die zum Ausstieg des einen oder anderen Partners geführt haben. Nichts Außergewöhnliches und wie im Leben an Land auch. „Nur – wir Segler sind es gewohnt, mit schwierigen Situationen umzugehen, ob die nun menschlicher oder witterungsbedingter Natur sind“, weiß Gerd aus langjähriger Erfahrung, auch als Seemann: „Hektische Charaktere, die nur Stress produzieren, sind an Bord fehl am Platz“. Es gibt sogar Leute, die segeln ein paar Jahre allein um die Welt. „Die müssen dann mit sich selber auskommen, was manchmal noch schwieriger sein kann als mit einem Partner“, erinnert Gerd an den Segler-Star Wilfried Erdmann aus seiner Schlei-Heimat, „der ist sogar gegen Wind und Strömungen und ohne einmal anzulegen um die Welt gesegelt“. Manchmal sei er an der Grenze zur Depression gewesen, wenn alles schiefging und selbst der Funkkontakt nach Hause zusammenbrach. „Das kann uns zum Glück hier in der Badewanne Ostsee nicht passieren“, ist Petra froh, „drum ist es äußerst wichtig, einen zuverlässigen und erfahrenen Partner zu haben“. Und Gerd ergänz: „Das gilt natürlich auch für die Partnerin“. Die Frau von Wilfried Erdmann hätte zwar fast alles – bis auf die Einhandreisen – mitgemacht, nur sei sie immer seekrank geworden.

Jetzt ist Petra dran, um Gerd neue Winkel „ihrer“ Stadt zu zeigen und mal wieder gemütlich essen zu gehen. Pfingstwetter und geöffnete Gaststätten laden ein. „Heute bleibt die Bordküche kalt, weil wir uns auf Spargel satt freuen, und zwar freiluft auf dem Alten Markt mit Blick aufs Rathaus“.

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