Kunstschauen will gelernt sein – „Leichtigkeit und Enthusiasmus. Junge Kunst und die Moderne“ im Kunstmuseum Wolfsburg

Tatiana Trouvé

Das Kupfer? Ach ja, beim genauen Blick sieht man, daß die seltsam schwebenden, doch eigentlich starren Gegenstände einen Raum abbilden, wie eine Collage aus einem vergilbtem Einrichtungskatalog, dem an einzelnen Stellen das ’echte` Leben eingehaucht wird, so wie es in ’Untitled` aus der Serie Intranquility von Tatiana Trouvé die schmalen, ins Nichts führenden Kupferleitungen sind oder in einer weiteren unbetitelten Zeichnung, wo das Kupfer als stabiler Lichtträger fungiert. In einer weiteren Zeichnung ohne Titel, die durch ihre Absonderlichkeit von sterilen Küchengeräten mit wildwucherndem Pflanzenwuchs eh irritiert, sieht man die Schmauchspuren, die wohl ein Kurzschluß in der Steckdose des angeschlossenen Kabels verursacht hat.

Man muß also genau hingucken, um Intentionen der Künstlerin zu ahnen, die im Katalog ausführt: „Wenn ich keine Installationen baue, zeichne ich. Meistens zeichne ich Räume, bei denen die Grenzen in der Schwebe bleiben, zwischen dem, was von einem architektonischen Werk zu sehen ist, und dem, was dieses tatsächlich ausmacht. Das hat zu einer Serie geführt, die ich Intranquility genannt habe. In diesen Zeichnungen sind Interieurs und Exterieurs, Reflexionen und Spiegelungen, Überbelichtungen und Ausradiertes im selben Raum, in durch unmittelbarer Nachbarschaft. In diesen Zeichnungen habe ich nicht versucht, einen realen Raum anschaulich dazustellen, sondern dem Ausdruck zu verleihen, was in unserer Vorstellung einen Raum erzeugt. Ich habe das getan, indem ich zugelassen habe, daß sich das, was die Betrachter auf einen bestimmten Raum projizieren, setzen kann, indem ich Intervalle oder Leerräume schuf, die imstande sind, mentale Projektionen hervorzurufen“.

Sehr interessant und erleuchtend für das Betrachten an der Wand. Problem bleibt, daß man nicht erst einen längeren Abschnitt im Katalog lesen kann, ehe einem die Zeichnungen an den Wänden etwas direkt sagen. Und – leider – haben Museumsdirektoren auch nicht die Möglichkeit, die Ausgangsgitter für eine Zeit herunterzulassen und die Besucher zum Hineinschauen in die Bilder zu zwingen. Wir sind sicher, die Gemälde, Zeichnungen und Installationen blicken zurück. Also geht es darum, wie und wo man den Laufschritt durch die Ausstellung blockiert. Die Künstlerin ist 1968 in Cosenza, Italien, geboren, lebt in Paris und stellt seit dem Jahr 2002 aus. Und viel auffälliger als die Bilder auf den zweiten Blick, ist ihre Installation – ja, leider wieder ohne Titel -, in der Kabel wie Schlangen aufrecht ihr Haupt erheben, aber auf dem Weg nach oben oder unten vom entgegenkommenden Kabel zu einem Verbindungsstecker verbunden werden, so daß eine Assoziation entsteht von der sich selbst genügenden Elektrizität als Kreislauf, formal erinnernd übrigens an die Stahlkonstruktionen von Fledermaussesseln und anderen im Stil der Fünfziger Jahre. Wir hatten allerdings eine weitere Assoziation. Man wünscht sich die angedeutete Ordnung zu Hause hinter dem Fernseher, dem Video- und DVDspieler, dem Kassettendeck, dem Tuner, dem Radio”¦, Geräte, deren Anschlüsse einen schrecklichen Kabelsalat mit sich bringen, wenigstens bei uns.

Dieses Kabinett der Tatiana Trouvé war nur einer der Räume, in denen die jungen Künstler separiert vorgestellt werden. Für ihre Werke trifft der Ausstellungstitel „Leichtigkeit und Enthusiasmus“, der an den künstlerischen Aufbruch der frühen Moderne erinnern soll, sicher zu. Allerdings treffen die heutigen jungen Künstler auf eine völlig veränderte Welt, in der ihre Kunst nicht als Skandalon breite Wirkung entfaltet, sondern in der sie zwar ausgestellt werden, man aber die Aufmerksamkeit im zweiten Schritt auf sie lenken muß. Es bleibt diese Ausstellung auch im zweiten Blick eine gute Idee, die einem aber die Vermittlungsprobleme junger Kunst unter die Nase reibt.

Junge Künstler haben ja weitere Probleme in einer Welt, in der eigentlich alles gesagt wurde. Mit Worten und mit Pinsel, Bleistift, Ton und Metall sich einen Weg zu bahnen, Inneres an äußeren Gegenständen wiederzugeben, sind erst einmal Versuche, sich die Welt mittels Kunst untertan zu machen. Wie unterschiedlich die Zugänge sind, ist ein weiterer Reiz dieser Ausstellung, den wir nur andeuten können, wenn wir hinzufügen, daß sich Friederike Feldmann, heute Berlin, in ihrer Malerei auf den Malprozeß selbst konzentriert, den sie durchaus in Nachahmung gestischer Malerei dickpinselig daherkommen läßt, aber auch nicht scheut, die weiße Leinwand an den Rändern farbig ausbluten zu lassen, erinnernd an Sam Francis, nur ganz anders in Farben und Wirkung. Die Musik im Raum haben wir genossen.

Der Ire Duncan Campbell bildet Schnappschüsse aus Bildern eines Films ab, der in ihm läuft und in denen er sich auf Licht im dunklen Raum konzentriert, Marcel van Eeden aus den Niederlanden, aber in Berlin lebend, erfindet mit Oswald Sollmann eine Malerpersönlichkeit, dem er Bilder seit 1948 unterjubelt und damit dem narrative und kunsthistorischen Interesse am Bilderschauen sehr entgegenkommt. Sabine Hornig, heute ebenfalls in Berlin, baut Architekturfragmente, die das zutreffende Maß vermissen lassen und durch die man wie unmäßige Installationen geht, Julian Rosenfeldt, auch in Berlin lebend, stellt den Menschen, den man gesichtslos nur von hinten oder oben sieht, in riesige, endlose Räume, die mal eine lange Flucht besitzen, mal ins Helle aus einem Schacht herausführen, mal im gefährlich feuerrotgelb leuchtendem Treppengewirr verloren ihren Stand suchen. Sascha Weidner schließlich baut. Er baut sich Heimaten, auch wenn die so grauslich sind, wie das unter dicken Baumstämmen liegende Auto eine ist. In dem unzerdrückten, also heilen Wagen sieht man auf dem Rücksitz eine Beifahrerin. Überleben im Anblick des Schreckens, denn da draußen tobt die Natur, wovor das Blech Schutz bietet. Eine verkehrte, eine surreale Welt.

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Ausstellung: bis 25. Oktober 2009

Katalog: Leichtigkeit und Enthusiasmus. Junge Kunst und die Moderne, hrsg. Vom Kunstmuseum Wolfsburg, zweisprachig deutsch/englisch, HatjeCantz 2009

Den Katalog kann man in der Mischung aus Künstlerangeben über Ausstellungen und Essays gut gebrauchen, allerdings vermißten wir bei den Werken die Materialangaben und wenigstens ein Werk pro Künstler auch wie eine Bildbetrachtung kommentiert zu lesen, wäre nicht schlecht gewesen.

Nächste Ausstellungen:

James Turrell. A Project for Kunstmuseum Wolfsburg, ab 24.Oktober 2009

„Ich, zweifellos. Portraits aus der Sammlung des Kunstmuseums Wolfsburg, ab 21. November 2009

Internet: www.kunstmuseum-wolfsburg.de

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