Konsonantisches Singen oder Hackdeutsch? – Herbert Grönemeyers „Schiffsverkehr“

Herbert Grönemeyers Markenzeichen ist dieses konsonantische Singen. Die Vokale werden möglichst kurz hervorgestoßen, Hackdeutsch, wenn man so will. Schon im Opener „Schiffsverkehr“ seines neuen, gleichnamigen Albums, wird daraus dann in den Zeilen „Schffsvrkhr“, „kein Schckslsschlag“..oder „kneliebe briiiiichtmch“..was dem Pathos dann doch ein wenig abträglich ist. Auch wenn der Titelsong und erste Single-auskoppelung „Schiffsverkehr“ musikalisch deutliche Anleihen an Muses „Uprising“ nimmt, nehmen wir das als, sagen wir mal „Neue Progressive Flucht“ gerne in Kauf, auch und gerade weil Grönemeyer in seinen früheren Werken ständig der musikalische Konformismus zum Vorwurf gemacht wurde.

Mit "Unfassbarer Grund" und "Deine Zeit" folgen zwei `schöne Klavierballaden, die zwar hier und da instrumental etwas überzuckert sind, um die man aber letztendlich dankbar ist, denn hier hat Grönemeyer das Credo seines Albums, nämlich die ewige Reise des Menschen zu sich selbst, beherzigt: er ist voll und ganz bei sich. In "Auf dem Feld" wird es gesellschaftspolitisch, da behandelt er das Thema Afghanistan und die deutschen Soldaten dort. Als eingängigstes Charakterstück des Albums aber empfiehlt sich "Kreuz meinen Weg" mit seiner überdeutlichen Reminiszenz an die düstere Synthie-Spielart des 80er-Wave.
Wegen seiner Hauruck-Lyrik wurde Herbert Grönemeyer oft – nicht ganz zu unrecht – kritisiert: "Unterschreib mit weißer Tinte / Lass Kleingedrucktes übersehn / du darfst nicht gehn". Oder hier: „Die Welt ist forsch und auch gemein / Das Leben könnt nicht besser sein.“  Oder das hier: Ohne Regel kein Verkehr / Es kommt ein Licht von irgendwo her“. Als Wilhelm-Busch-Parodie würden solche Reime durchgehen, wenn sie aber in vollster Inbrunst und Überzeugung vorgetragen werden weiß man, warum mittlerweile fast alle deutschen Kabarettisten eine Grönemeyer-Nummer im Programm haben. Er selbst steht da freilich drüber. Wie er jüngst auf einer Pressekonferenz betonte, muss man den Kitsch, egal ob musikalischer oder textlicher Natur, bewusst auch ausreizen. In "Deine Zeit", in dem er die schleichende Demenz seiner Mutter aufarbeitet, gelingt ihm dieser Balanceakt.

Grönemeyers "Schiffsverkehr“ endet mit dem ironischen "So wie ich“: "Ich bin total in mich verliebt/keiner liebt mich so wie ich“ Das Schlagzeug klingt nach Schrott und der Gesang nach Gunter Gabriel. Es ist ganz klar das „Augenzwinkern“ jedes Grönemeyer-Albums, trotzdem fragt man sich am Ende unweigerlich: „Was bitteschön war denn das jetzt“? Ein verstecktes zwölftes Lied bekräftigt, wieder in beherztem Deutschrock: "Ich bin gern allein.“

Fazit: „Schiffsverkehr“ ist kein leichtes Album. Die Produktion ist oft zu brachial, das Schlagzeug erschlägt nicht selten, die Texte sind gewöhnungsbedürftig und inhaltlich oft unverständlich. Aber letztendlich spielt all das keine Rolle. Wer Herbert will, bekommt hier auch Herbert, und nur das zählt. Nicht umsonst ist Grönemeyer der erfolgreichste deutsche Künstler, und so wird es auch nach diesem Album bleiben.

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Herbert Grönemeyer: „Schiffsverkehr“, 11 Songs +1 (Hidden), VÖ seit 17. März 2011, Grönland Records / EM

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