Romane, die zu Favoriten der Redaktion wurden – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 2/20)

Barbara Vine hat mit „Das Geburtstagsgeschenk“, herausgekommen im Diogenes Verlag, eine fiese, feuchte Geburtstagsgeschichte geschrieben, die all denen, die nicht Geburtstag haben und nicht die verheiratete und heimliche Geliebte des Machtmenschen und Politikers (nein, das ist nicht dasselbe!), sind, also bis auf einen Menschen alle in der Welt, die also all denen gut gefällt, da einem die Fiesheiten an anderen durchaus Vergnügen bereiten können, zumal sich aus dem anfänglichen kleinen Skandälchen ein riesengroßer herausstellen kann. Und herausstellt. Aber da sind wir schon weiter, denn aus der inszenierten Entführung ist bittere Wirklichkeit geworden und „Skandal, Skandal“ hört unser Genußmensch die Stimme im eigenen Kopf, bis auch da die Wirklichkeit seine bösen Ahnungen noch übertrifft. Barbara Vine hat als Ruth Rendel den gleichen Erfolg. Bitterböse ist dieses Buch und genauso gut.

Jürg Amann malt mit der Sprache und auch „Die kalabrische Hochzeit“ aus dem Arche Literaturverlag zeigt uns ein Gemälde. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen Emma und Lorenzo, die Amann in Bologna, Venedig und Triest beginnen läßt und eben in Kalabrien auf den Höhepunkt zusteuert. So wie der Zug, in dem nun Emma alleine sitzt, denn um zu ihrem Geliebten zu kommen, mußte sie erst einmal den Ehemann und die gemeinsame Tochter verlassen. Was man nicht so nebenbei tut. Darum tat Venedig gut als geographische Mitte zwischen dem bürgerlichen Leben in Bologna und seinem in Triest.

Wie Jürg Amann uns an den Gedanken und Gefühle von Emma, für die das Versteckspiel nun vorbei ist, teilnehmen läßt, sachte und leicht, das enthebt einem vor der Verantwortung, zu ihren Entscheidungen einen Kommentar zu liefern. Denn aus jedem Wort wird deutlich, daß es Lebenssituationen und Gefühlskonstellationen gibt, die Entscheidungen, die weh tun, erzwingen. Warum dann doch alles ganz anders ist, ist ebenfalls dem Leben geschuldet, das sich an denen rächt, die lieben. Immer wieder.

Die Hunde fliegen tief“, von Alek Popov, im Residenz Verlag erschienen, trägt ein herzerweichendes Titelbild. Eins, zwei, drei, ja zehn Köter, wohl angeleint und mit total rosa Zungen auf das wartend, was gleich passiert, starren uns an, der Fette da, trägt einen Hut, wie ein preußischer Beamter sieht er aus, während ihr Leinenträger doch so eher den Unterweltler gibt, mit total tätowierten Armen, dem weißen Unterhemd und der Wollmütze auf dem Kopf. Meine Güte, da möchte man doch lieber Hund sein, als Hundehalter, denkt man noch, während man sich fragt, was in diesem Roman wohl passiert.

Alek Popow ist Bulgare, damit ist die Geschichte aber nicht erklärt. Aber jetzt wissen wir, daß wir auf dem Titel Ango vor uns haben, den einen der beiden Brüder, der im Central Park die versnobten Hunde der versnobten Reichen an die Luft und zum Pinkeln führt. Der andere Bruder ist Ned, der geborene Zurechtkommer, der immer oben ankommt. Aber hier in New York werden beide Brüder mit dem konfrontiert, was sie zu vergessen versuchen. Daß ihr Vater nämlich vor 15 Jahren auf rätselhafte Weise umgekommen war. Tot. Einfach tot und nur die kleine Schachtel mit schwarzer Asche zeugt von ihm. Und dann läßt Popov alles auffliegen, nicht nur die Asche, sondern die Vorurteile und Urteile und auch die beiden Brüder sind nicht mehr das, was sie waren. Manchmal weiß man nicht, ob man den Fallstricken des Autors auf den Leim geht, wenn man mitfühlt, oder ob man die Distanz der Ironie als seine Masche ansehen soll.

Das ist einfacher mit „Jenseits der Gefühle“ von Charles Sigura mit Annette Piechutta, ein Roman, der im Schardt Verlag Oldenburg erschienen ist. Aua, denkt man, wenn man die Widmung liest: „Für die Frau, die ich liebe“ und denkt weiter, hoffentlich weiß die das auch, oder fühlen sich jetzt gleich mehrere angesprochen. Aber damit tun wir dem Autor unrecht, denn er will ja eine wahre Geschichte erzählen, so wahr, wie er sie erlebt hat und da stolpern wir sofort über: „Sie erzählt die Wahrheit“, diese Geschichte. Ach, was ist Wahrheit? Aber dazu kommt diese Frau hinzu, vor der ihn die Exfrau warnt: „Sie ist die personifizierte Egoistin, erobert gerne, ist besitzergreifend und auf materielles Eigentum aus.“ Na so was.

Und dann erzählt der Icherzähler Michael hintereinander, wie das geschah, daß sein Leben aus den Fugen geriet. Es ist die strategische und taktische Übernahme des Mannes durch die Spinne im Netz, die ihn in ihren Fängen hat und aussagt. Stück für Stück. Ob man Mitleid hat? Eigentlich nicht, denn immer wieder denkt man an das Deckelchen, das auf den Topf paßt. Man kann einen anderen Menschen nur beherrschen und von sich abhängig machen, wenn dessen Strukturen das zulassen. Aber zwischen Zulassen und geradezu Herausfordern, da liegt ein wichtiger Fingerzeig, der uns das Wesen des Michael deutet. Aber was gewinnt eigentlich Alice? Das ist die wichtigere Frage. wenngleich in diesem Buch die Abrechnung mit der Herrscherin vorgeht.

Von César Aira sind „Gespenster“ aus dem Ullstein Verlag und wir verdanken das Buch sicherlich dem diesjährigen Buchmessenschwerpunkt Argentinien. Uns hat es beglückt, denn da wird auf eine Art erzählt, die die ganze Welt miteinschließt und uns Leser zum Entdecker dieser Welten macht. Nie fühlt man sich vorgeführt, nie gemaßregelt, nicht als kleines Kind behandelt und auch nicht als Mann oder Frau in die Ecke gestellt. Eine interessante Geschichte kommt dazu: wieder einmal die bessere Gesellschaft von Buenos Aires, die auch Claudia Pineiro gerne literarisch leben läßt.

Hier kommen aber nicht nur die zukünftigen Bewohner des feinen Rohbaus zusammen, sondern mit ihnen die Erbauer und ausführenden Handwerker. Eine Art Richtfest, was eigentlich die Silvesterfeier in einem Rohbau ist, wird gefeiert und erst jetzt beim Essen und Trinken sind sie zu erkennen, die weiteren Hausbewohner: Gespenster. Echt. Lassen sie sich von diesem poetischen Buch überraschen.

So just das Gegenteil erleben Sie bei Rupert Everett mit „Rote Teppiche und andere Bananenschalen“ aus dem Verlag Kiepenheuer. Mann. Das ist ein Ding. Hier tummeln sich Orson Welles, Bob Geldorf, Andy Warhol, Liz Taylor, Liza Minelli und so manche andere, die sie nur aus den Zeitungen kennen und hier als Menschen vorgeführt bekommen, denn Everett kennt sie alle. Er selbst kommt aus England aus den besseren Kreisen, die in England immer noch etwas besser sind als anderswo. Erst recht in Amerika. Das liest sich leicht und locker und ist doch nicht seicht und dünn. Versuchen Sie es und dann schauen Sie sich den Autor im Kino an.

Fremde Erde“ von Jhumpa Lahiri vereint in diesem Rowohlt Taschenbuch fünf Erzählungen, die alle das Schicksal von Kindern bengalischer Einwanderer in die USA aufbereiten, aber nicht anklagend oder negativ, sondern als Ausdruck von Leben, wie wenn Bäume verpflanzt werden oder Blumen umgetopft und über ihre Akklimatisierung Buch führen. Das sind für die gewandte Erzählerin nur kleine Steine, die sie zu einem Mosaik der Menschlichkeit zusammenfügt, so wie das nur große Erzähler können. Ein richtig gutes Buch.

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A.L. Kennedy, Was wird, Wagenbach Verlag 2009

Barbara Vine, Ds Geburtstagsgeschenk, Diogenes Verlag 2009

Jürg Amann, Die kalabrische Hochzeit, Arche Verlag 2009

Alek Popov, Die Hunde fliegen auf, Residenzverlag 2008

Charles Sigura mit Annette Piechutta, Jenseits der Gefühle, Schardt Verlag Oldenburg 2010

César Aira, Gespenster, Ullstein Verlag 2010-12-20

Rupert Everett, Rote Teppiche und andere Bananenschalen, Kiepenheuer Verlag 2010 Jhumpa Lahiri, Fremde Erde, Rowohlt Taschenbuch Verlag

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