ITB: Klaus Laepple (BTW) und der Zeitgeist – ein Widerspruch!? – WELTEXPRESS-Interview mit Markus Tressel (MdB), tourismuspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Markus Tressel © Markus Tressel

Bei der Eröffnungsrede der ITB warb Klaus Laepple, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), um mehr Respekt vor den Leistungen der Branche. Immerhin leiste diese einen Gesamtkonsum von 280 Milliarden Euro – allein in Deutschland pro Jahr. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen warb er für die Unterstützung seiner Branche, diese von Steuern und Umweltmaßnahmen auszunehmen und durch eine „bessere“ Infrastruktur zu unterstützen.

Laepple jammert auf hohem Niveau, denn die Branche wird auch 2012 mit hervorragenden Zahlen glänzen, der Optimismus der Reiseveranstalter ist groß, was alle Mitarbeiter von „Weltexpress“ auf der ITB einhellig feststellen konnten. Das weiß auch Laepple, trotzdem kam er mit Forderungen und Statements längst vergangener Zeiten. Dem BTW würde ein Generationenwechsel an der Spitze gut tun, denn Laepple spiegelt in keine Weise den Zeitgeist wider.

Seine Aussagen auf der ITB können nicht unwidersprochen bleiben. „Weltexpress“ sprach deshalb mit Markus Tressel, tourismuspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, über Laepples Ausführungen und den Tourismus im Allgemeinen.

Weltexpress: Ist in der Politik zu wenig Verständnis für die Leistungen der Branche vorhanden?

Markus Tressel: „Der Tourismus ist der einzige Wirtschaftssektor, der einen eigenen Ausschuss im Deutschen Bundestag besitzt. Das sind gute Voraussetzungen. Die Durchschlagskraft des Ausschusses für Tourismus ist allerdings begrenzt. Das ist angesichts der großen Bruttowertschöpfung etwas unverständlich, liegt aber mitunter an der politischen Struktur. Viele Entscheidungen werden auf Länder- oder EU-Ebene getroffen und im Bundestag in anderen Ausschüssen debattiert, wo andere Gesichtspunkte als branchenspezifische Kenntnisse im Vordergrund stehen. Das ist ärgerlich. Aber man muss auch festhalten: Die Branche liegt bei Steuersubventionen ganz weit vorne. Es wird beispielweise keine Mehrwertsteuer auf internationalen Flügen erhoben. Kerosin ist ebenfalls steuerfrei, dazu gibt es Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer, zuletzt die Senkung des Satzes für Übernachtungen. Ich denke, die Wehklagen der Branche sind in einigen Punkten unangebracht.“

Weltexpress: Der BTW fordert, mehr (Infrastruktur-)Großprojekte zu realisieren, um die Zukunftsfähigkeit der Branche nicht aufs Spiel zusetzen. Ist Deutschland demnächst eine touristische Provinz, wenn Großprojekte nicht mehr realisiert werden?

Markus Tressel: „Die Wirtschaft sollte wissen, dass man dauerhaft nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt. Der Haushalt gibt einen engen Rahmen vor. Es ist eine Frage der Mittelverteilung. Statt die Mittel in die vorhandenen 90% der Infrastruktur zu stecken, die bereits gebaut sind, und das Netz dort zu erweitern und zu ergänzen, wo es die größten Engpässe gibt, wird immer noch auf einzelne Großprojekte gesetzt. Der Investitionsetat wird so massiv belastet, ohne dem Gesamtnetz zu nutzen. Wenn es der Tourismuswirtschaft tatsächlich um eine zukunftsfähige Infrastruktur geht, raten wir, eine andere Art von Politik zu unterstützen. Großprojekte wo nötig und Vorrang für die Erhaltung der bestehenden Substanz. Wenn wir also weiter undifferenziert in Großprojekte investieren, werden wir eher touristische Provinz als andersherum.“

Weltexpress: Der BTW bemängelt „in Teilen der Bevölkerung“ die „zunehmende Dagegen-Haltung“ bei vielen Großprojekte und fordert schnellere Verfahren, ohne langwierige Gerichtsverhandlungen. Bedeutet das weniger Bürgerbeteiligung bei Großprojekten?

Markus Tressel: „Die Politik ist aufgefordert, neue Wege in der Kommunikation zu gehen. Reicht es wirklich aus, im Amtsblatt ein hoch kompliziertes Verfahren vorzustellen, womit nur Wenige etwas anfangen können und dann auf juristisch verwertbare Reaktionen zu warten? Hier läuft doch etwas im Vorfeld falsch. Auch das bürgerschaftliche Engagement hat sich verändert. Sich über sogenannte „Wutbürger“ aufzuregen, anstatt zu hinterfragen, warum sich so viele Bürger politisch engagieren oder sie demonstrieren lässt, finde ich auch bezeichnend. Massiver Lärm, der erosionsartige Verlust von Verkehrswerten des eigenen Grundstücks und Hauses, das man noch abbezahlt, dazu eine Zunahme von Umweltbelastungen im Zuge von am Reißbrett entworfenen Infrastrukturmaßnahmen: Ich kann verstehen, wenn sich da Unmut zeigt. Sich durch ein beschleunigtes Verfahren darüber hinwegzusetzen, wird weder dem Anspruch grüner Politik gerecht, noch wird es der Politik insgesamt dienen. Denn gerade in solchen Fällen sind keine Schnellschüsse, sondern verantwortungsvolle Politik gefragt.“

Weltexpress: Ein anderes Thema: Umweltzonen sind dem BTW zufolge für viel Bustouristiker eine Hindernis. Selbst relativ neue Busse schaffen es manchmal nicht die Kriterien zu erfüllen. Wie stehen Sie einer Ausnahmeregelung für den Bustourismus gegenüber?

Markus Tressel: „Der Bus ist eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel. Umweltzonen sind ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der Feinstaub- und Stickstoffbelastung. Es geht darum, die Gesundheit der Bevölkerung und die Substanz der Gebäude vor Erosion durch eine Reduzierung von giftigen Stoffen zu schützen und damit die Lebensqualität zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind hohe Anforderungen gefragt. Das betrifft natürlich auch den Bustourismus. Die Einwände kommen von denen, die Umweltzonen per se nicht haben wollen. Wer Studien zitiert, die nachweisen, dass kein Rückgang von Schadstoffen in Umweltzonen vorhanden, sollte sich mal fragen: Wo wären diese Werte ohne restriktive Maßnahmen? Die Frage aus touristischer Perspektive ist doch, ob eine Stadt nicht mehr bereist wird, weil eine Umweltzone eingerichtet wurde? Ich glaube das Gegenteil: Die lebenswerten Städte sind die Tourismusmagneten.“

Weltexpress: Hilft es denn die sogenannte Bettensteuer einzuführen, um die touristische Qualität der Städte zu sichern. Der BTW fordert, die Bettensteuer abzuschaffen. Was sagen die Grünen dazu?

Markus Tressel: „Der Tourismus profitiert von oftmals staatlich finanzierten oder stark subventionierten Kultur- oder Freizeitleistungen. Wir Grüne wollen, dass Reisende ebenso einen Beitrag zum Erhalt der Infrastruktur in der Region leisten wie vor Ort Steuerzahlende. Gelingt das nicht über regionale Wirtschaftskreisläufe, ist eine Abgabe vorstellbar, über die jedoch die Städte und Gemeinden im Rahmen ihrer Finanzautonomie selbst entscheiden. Interessant ist eine solche Abgabe meines Erachtens ohnehin beziehungsweise insbesondere in Großstädten. Schließlich greift die Branche auf eine Verkehrsinfrastruktur zurück, die ebenfalls erheblich bezuschusst wird. Wander- und Radwege werden von Kommunen gestellt, die sich in Haushaltsnotlage befinden und zuweilen Kitas schließen müssen. Maßnahmen im Umweltschutz bekommt die Branche ebenfalls umsonst, obwohl sie am meisten davon profitiert. Der Reisende will eine intakte Umwelt oder saubere Stadt und kein Dreck, Lärm oder Smog. Dazu brauchen die Kommunen eine entsprechende Ausstattung.“

Weltexpress: Und die Mehrwertsteuerreduzierung für Übernachtungen? Schließlich gilt in 23 von 27 EU Ländern ein ermäßigter Steuersatz.

Markus Tressel: „Die Berichterstattung darüber hat gezeigt, wie schwer das zu vermitteln ist. Einen Imagegewinn hat das jedenfalls nicht bedeutet. Unter dem Stricht steht derzeit ein Einnahmeverlust von 805 Mio. Euro auf Bund, Länder und Gemeindeebene pro Jahr. Die Preise für Übernachtungen sind im Jahr 2010 trotzdem gestiegen und eine rückläufige Zahl der Insolvenzen ist nicht nachweisbar. Wir sind deshalb der Auffassung: Die längst überfällige Neuordnung der vielen Einzelermäßigungen der Umsatzsteuer braucht einen klaren Ordnungsrahmen. Wir wollen ein faires und effizientes Steuersystem. Für die Umsatzsteuer heißt dies die Abschaffung von unsinnigen Einzelermäßigungen wie für Floristen, Rennpferde oder weitere. Weniger Ausnahmen in der Mehrwertsteuer bedeuten mehr Steuergerechtigkeit. Die Umsatzsteuer ist kein vernünftiges Instrument zur Wirtschaftsförderung. Ermäßigungen wirken ungenau, weisen hohe Mitnahmeeffekte auf und sind teuer. Wir Grüne wollen stattdessen energetische Sanierungen, Maßnahmen zur Energiewende und Barrierefreiheit unterstützen. Das hilft, die Branche zukunftsfest zu machen, senkt Betriebskosten und erhöht die Verkehrswerte.“

Weltexpress: Sie sprechen die Themen Energie und Ressourcenverbrauch an. Ein umkämpftes, politisches Instrument ist der Emissionshandel. Die Branche fordert, dieses zu verschieben.

Markus Tressel: „Der Anteil des Tourismus am weltweiten Klimagasausstoß beträgt 12,5 Prozent. Zwar reduziert sich der Kerosinverbrauch pro Kopf beim Fliegen, die weltweite Zunahme des Flugverkehrs führt jedoch zu einem weiteren Anstieg. Die Abschlusserklärung der Fluggesellschaften gegen die Einbeziehung in den Emissionshandel ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Angesichts der geringen Zusatzkosten für Airlines ist es eine Schande mit welchen Drohungen gegen die EU-Regelung vorgegangen werden soll. Die Airlines in der EU bekommen allein durch die Befreiung von der Kerosin- und auf internationalen Flügen auch von der Mehrwertsteuer jedes Jahr 30 Milliarden Euro vom Steuerzahler geschenkt. Dazu die ganzen Subventionen von Ländern an Flughafenbetreiber oder direkt an Airlines, um Regionalflughäfen am Leben zu erhalten. Und auch im künftigen Emissionshandel sollen Airlines lediglich 15 Prozent der Emissionszertifikate erwerben, was für einen Flug zwischen China und der EU eine Preissteigerung von gerade einmal zwei Euro bedeutet. Anstatt ihre Verantwortung für den Klimaschutz anzunehmen und konstruktiv an einer notwendigen weltweiten Regelung mitzuarbeiten, haben sich die Fluggesellschaften für den Versuch entschieden, die Sache aufzuhalten. Das halte ich für wenig zielführend.“

Weltexpress: Sind Airlines denn nicht durch Emissionshandel und in Deutschland durch die Luftverkehrssteuer doppelt belastet. Letztere müsse so schnell wie möglich abgeschafft werden, fordert der BTW.

Markus Tressel: „Es war ein richtiger Schritt, die Luftverkehrssteuer einzuführen, um den Subventionsabbau in der Luftfahrt ein Stück voranzutreiben. Um sie zu einer vernünftigen ökologischen Ticketsteuer zu machen, sollten allerdings noch einige handwerkliche Fehler behoben werden. Mit jährlichen Wachstumsraten von fünf Prozent klagt die Luftverkehrsbranche auf hohem Niveau. Die Luftverkehrswirtschaft ist noch immer eine hochprivilegierte Branche. Während Dieselloks, Autos und Busse selbstverständlich versteuerten Kraftstoff tanken, müssen die Fluggesellschaften bis heute keine Kerosinsteuer zahlen. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verkehrsträgern. Dadurch ist Fliegen oft deutlich billiger als Bahnfahren.“

Weltexpress: Bei allen ökologischen Folgen leistet die Tourismusbranche doch einen großen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung, gerade in strukturschwachen Gebieten. Muss das nicht honoriert werden?

Markus Tressel: Wenn das denn mal so wäre. Tatsächlich bleibt sehr wenig in der bereisten Region. Je entwickelter die Region, desto geringer der Kaufkraftverlust. In Deutschland bleiben von 100 investierten Euro lediglich 36 in der Destination. Der Strom kommt beispielsweise aus dem Atomkraftwerk, aber nicht von dem von der Kommune betriebenen Windpark oder den eigenen Photovoltaik-Anlagen. Auch die Nachfrage nach Lebensmitteln übersteigt zuweilen die heimische Produktion. Besonders betrifft das natürlich Inseln. In Sansibar bleiben nur etwa 10 von 100 investierten Euro eines Touristen auf der Insel. Um den Tourismus also als Aufbauhilfe zu nutzen, brauchen wir mehr regionale Produkte. Das würde helfen, den ökonomischen Nutzen, den eine Destination daraus zieht, zu erhöhen. Und regionale Produkte in der Gastronomie helfen ohnehin auch die Qualität zu erhöhen.

Weltexpress: Qualität in der Gastronomie. Hygieneampeln würden Gastronomen nachhaltig brandmarken. Sind Sie überzeugt, dass das der Qualität dient?

Markus Tressel: „Die zahlreichen Lebensmittelskandale haben eines deutlich gemacht: Wir brauchen eine verbesserte Lebensmittelhygiene und Lebensmittelkontrolle. Als Verbraucher möchte ich wissen, ob ein Gastronom diese Standards einhält oder nicht. Wir fordern Transparenz. Wer diese nicht gewähren will, hat etwas zu verstecken.“

Weltexpress bedankt sich für dieses ausführliche Interview.

Personalia:
Markus Tressel (MdB), Bündnis 90/Die Grünen
Geboren am 17.04.1977 in Saarlouis, verheiratet, 1 Kind. 1996 Abitur am Max-Planck-Gymnasium Saarlouis; Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft (nebenberuflich, im Abschluss befindlich). Mitglied der Grünen seit 1994.
Bundestag: Ordentliches Mitglied im Ausschuss für Tourismus und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Schwerpunkte seiner Arbeit: Regionalentwicklung und Tourismus (Inlandstourismus, nachhaltiger Tourismus), Verbraucherrechte im Reisebereich (Reiserecht) und Gesundheitsbelastung in Flugzeugen.

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