Irrsinn im Haus des Horrors: “The Turn of the Screw” von Benjamin Britten in der Staatsoper Berlin im Schiller Theater

Sónja Grané (Flora), Thomas Lichtenecker (Miles) und Emma Bell (Governess) in "The Turn of the Screw".© Foto: Monika Rittershaus
Harfe, Glockenspiel, Klavier und Geigen – Dirigent Ivor Bolton lässt die Staatskapelle Berlin das gespenstische Horrorszenario zum Leben erwachen. Das intensive Harfen- und Glockenspiel in Benjamin Britten’s Oper verstärken die unwirkliche Situation und lautmalen das Entsetzen.
Der Plott

Auf dem Landsitz Bly wird eine junge Gouvernante eingestellt. Herausragend gut dargestellt und gesungen von der preisgekrönten englischen Sopranistin Emma Bell. Sie soll sich um zwei Kinder, Miles und Flora, kümmern. Miles wird vom Wiener Coutertenor Thomas Lichtenecker gespenstisch gut gesungen, Flora von der portugiesischen Sopranistin Sónia Grané. In ihren biederen Schuluniformen mit nackten Beinen zeigen sie in Szenen ihre provozierende, bösartig wirkende Verderbtheit. Der ständig abwesende Onkel und Vormund der Waisen, vielreisender Geschäftsmann, möchte auf gar keinen Fall mit der Erziehung belästigt werden. Die in ihn frustran verliebte Gouvernante projeziert ihre Libido auf Miles, der sich verderbt gibt. In der Folge kommt es zu Geistererscheinungen ihrer Vorgängerin Jessel und dem Angestellten Quint, die beide unter nicht näher geklärten Umständen ums Leben kamen.

Quint muss ein übler Bursche gewesen sein, wie aus den Erzählungen der Haushälterin Mrs. Grose hervorgeht, wie sie nach und nach gesteht. Anscheinend hat er alle auf Bly Lebenden sexuell missbraucht. Die Kinder sind durch und durch „verdorben“ und das Szenario, untermalt mit Gesängen der Toten aus dem Off,  wird immer horrorartiger und undurchsichtiger. Die Governess verliebt sich in Miles, Miles und Flora werden von den mutmaßlichen Geistern heimgesucht und die Gouverness will sich schützend vor die Kinder stellen, weil sie Angst hat, es könne ihnen etwas geschehen. Bei einem Verhör des Jungen bringt sie ihn im Wahn um.

Viktorianisches Zeitalter

Das beklemmende Bühnenbild stellt mit seinen dunkelbordeauxroten Wänden, die auf halber Höhe mit dunklem Holz getäfelt sind auf der Drehbühne verschiedene Räume dar, dunkel und düster beleuchtet von kleinen Kandelabern. Es spiegelt die verklemmte, unterdrückerische Atmosphäre des viktorianischen Zeitalters wieder, in der Sexualität außer zur Fortpflanzung keinen Raum finden durfte. So sind die Geistererscheinungen vieldeutig zu erklären: nicht ausgelebte Sexualität führt zu Wahnvorstellungen der Gourvernante. 

Die Zeit der Romanentstehung

Während der Entstehungszeit gab es ein großes öffentliches Interesse an Geistererscheinungen, das sich in vielen journalistischen und wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema niederschlug. In Henry James‘ eigenem Bekanntenkreis befanden sich Personen, die Berichte von Betroffenen sammelten. Wie genau James selber zu diesem Thema stand, ist nicht bekannt; er brachte aber in jedem Fall ein großes Interesse dafür auf und soll selbst an Tagungen der Society for Psychical Research teilgenommen haben. Einige der Geisterbeschreibungen in The Turn of the Screw weisen starke Ähnlichkeiten zu Augenzeugenberichten seiner Zeit auf. (Quelle: Wikipedia)

Benjamin Britten

Der Brite Benjamin Britten (1913-1976), Verehrer des britischen Komponisten  Henry Purcell, ist einer der größten Komponisten des 20. Jhdt. Der Pazifist emigrierte während des 2. Weltkrieges und schuf  bedeutende Werke wie die Oper „Peter Grimes“ oder das berühmte  „War Requiem“. Er wuchs am Meer auf und das rauhe englische Meeresklima prägte seine Kompositionen.
Als Homosexueller und Pazifist fühlte sich als Außenseiter. Er war „schwul“ und lebte es öffentlich, obwohl die Homosexualität in Großbritannien erst 1967 legalisiert wurde. Er und sein Lover Peter Pears wirkten so konservativ, dass niemand auf die Idee kam, sie sexuell zu assoziieren.

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The Turn of the Screw in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln, ca. 1:45 Uhr, keine Pause Werkeinführung 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Nächste und letzte Aufführungen in dieser Saison: 30. November und 5. Dezember 2014.
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