Gut also, erst einmal mehr über den Maler zu erfahren, was der Kurator Michael Krapf schon vorbereitet hat, denn gleich an der nächsten Wand hängen seine Porträts, von Kollegen gemalt, die ein so typisches und individuelles Gesicht zeigen, wie es für die Barockzeit mit ihren Perücken und vorgegebenen Bedeutungen erstaunt. Schön ist er nicht, der Franz Anton mit seinem runden, auch im Alter recht kindlichen Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen, leicht Basedow, und im „Frühes Selbstbildnis“ um 1750 schaut einen der 1724 am Bodensee Geborene direkt in die Augen und hat etwas Zartes und Feminines im Blick und Sanftheit in der Hand, mit der er den Pinsel hält und dabei elegant den kleinen Finger abstreckt, was Generationen später Eltern ihren Kindern abzugewöhnen versuchen, weil es als ’gewesene Elegance’ eher als ordinär gilt. So ändern sich die Zeiten.
Vierzehn Jahre später malt der kongeniale Kremser Schmidt Maulbertschs Porträt und noch immer fällt der Kopf aus der Reihe, weil er so gar nicht inszeniert erscheint, in einer Zeit, die die hohe Zeit der Verstellung und der dramatischen Zuspitzung war. Ohne Jahr das Porträt, das Jakob Mathias Schmutzer von ihm wiedergibt.Wiederum 23 Jahre später malt Martin Ferdinand Quadal in den „Aktsaal der Wiener Akademie“ seinen Kollegen Maulbertsch hinein, älter und etwas dicker, aber der gleich skeptische Blick und die knubbelige Nase und was Aufrichtiges und Handfestes spricht aus dem Porträt, das hier aber auch noch einen humoristischen Zug enthüllt.
Und hat man für sich erst mal das Wörtchen Humor und Ironie formuliert, so sieht man seine übrigen Selbstporträts mit ganz anderen Augen und höchst vergnügt an. Da hat er sich nämlich hineingemalt, in die Anbetung der Hirten als einer von ihnen, aber kein edler Rafael, sondern ein komischer Kerl, der hier das Brot serviert oder das Gruppenbildnis mit Bischof Martin Biró, wo er auf der Orgelempore gleich mitsingt. Ein kleiner Schelm auch auf der Allegorie des Alten und des Neuen Bundes und so begleitet er seine sagenhafte Karriere, die ihn zur extremsten Künstlerpersönlichkeit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien werden ließ. Extrem in dem Sinne, daß er die Möglichkeiten der Farben, der Lichtführung, der Menschengestaltung durch Verkürzung und Verzerrung eben ins Extreme steigerte, um, denn einen malerischen Zweck hatte das Ganze, um also den Bildern einen gesteigerten Ausdruck zu geben, das was man Expression nennt und was später im 20. Jahrhundert der Expressionismus mit ganz anderen malerischen Mitteln wieder zum Thema machte. Die Expression wiederum, die zugespitzte Ausdruckskraft, sollte auch die Wahrheit der Situation und des dargestellten Menschen wiedergeben, ja erst enthüllen.
Im Katalog lesen wir dann, daß Maulbertsch „ein Maler für Maler“ gewesen sei, die sich seine Bilder früh sicherten. Ja, das ist ein guter Beweis für seine herausragende Qualität, wenn die Kollegen die ersten waren, die sich mit Maulbertschs eindeckten. Und auch spätere, wie Oskar Kokoschka, Max Weiler oder Herbert Boeckl, der gleichzeitig im Unteren Belvedere ausgestellt ist, bestürzten seine Bilder nachhaltig. Und so geht es auch den Kunstgeschichtlern. Maulbertsch steht in hohem Ansehen und eigentlich hat das Interesse an ihm nie nachgelassen, was in merkwürdigem Gegensatz zur Tatsache steht, daß er über Wien, über die Kunstwelt Österreichs hinaus kaum bekannt ist. Sicher liegt das auch an dem sehr verstreuten Werk, das er in den vielen Dorfkirchen der alten k. und k. Monarchie schuf, die heute am Ende der Welt liegen, aber doch hauptsächlich daran, daß er, wäre er ein später Italiener oder ein früher Franzose gewesen, die malerische Qualität und sein Bildererfindungsgenius die internationale Kunstwelt heute durch Italien und Frankreich pilgern ließe, ganz egal, wie weit es entfernt wäre.
Wir stehen erneut vor dem letzten Abendmahl. Selten haben wir dieses doch in der Kunstgeschichte häufige Motiv so aufgelöst gesehen. Müde sind sie, diese Gesellen, die doch in die Welt gehen und mit Gottes Wort christianisieren sollen, manche lösen sich schon in Schatten oder gerade noch Skizzenhaftem auf. Um den schräg ins Bild hineingestellten Tisch kann man zwölf Figuren stehen und sitzen sehen, aber identifizieren kann man nur drei in dem beliebten Spiel, wer ist welcher Apostel. Nur die drei Hauptpersonen sind es: links in der Mitte im lachsfarbenem Hemd und blauem Mantel Jesus, der den völlig über den Tisch hingegossenen Johannes im Arm hält, uns mit über ihn geneigtem Kopf direkt in die Augen blickt, sehr nachdenklich und distanziert, auch traurig, daß einem sofort zwei biblische Textstellen in den Sinn kommen: „Vater, warum hast Du mich verlassen”¦“, worauf die Agonie am Tisch als kollektive Depression hindeutet, was als Ausspruch in der Heilsgeschichte aber später kommt, aber auch: „Ich aber sage Euch, einer von Euch wird mich verraten und ausliefern.“, was erst recht Erstarrung und Trauer provoziert und produziert.
Wir als die Schlauen der Nachwelt wissen auch, wer das ist, dieser Verräter, auch wenn er hier kein gelbes Gewand trägt. Links im Schatten, aber ganz dicht am Bildrand und uns zugewandt, sitzt er, der Verräter Judas, den Geldbeutel versteckt er noch demonstrativ vor den anderen, weshalb wir ihn besonders gut sehen, aber sein Blick ist nicht zerknirscht, eher herausfordernd und leicht trotzig, vom Schuldeingeständnis und seinem Selbstmord noch weit entfernt, liegt etwas Kryptisches in seinem Blick. Und auch der vertrauensvoll auf seinem Unterschenkel aufliegende Hundekopf stigmatisiert ihn nicht als Außenseiter, sondern gibt ihm eine tierische Bestätigung als Mensch. Eine schräge Darstellung, denken wir uns, die eine Absurdität ausdrückt und uns gleichzeitig die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs, daß da freundschaftlich miteinander gegessen und getrunken wird und das Unheil schon unter ihnen wohnt, um so stärker zum Ausdruck bringt.
Seit Raffael bildet das Händespiel der Akteure ein besonderes Verweissystem, erzählt die Geschichte schon, wenn man den Händen folgt. So auch hier, was allerdings bizarr wirkt, weil die Hände noch plastisch ausgearbeitet sind, die wir übrigens manchmal nur mit Mühe den Figuren zuordnen konnten, während die Figuren sich auflösen, was am vorderen rechten Rand noch in Form bleibt, aber schon in der Mitten und erst recht hinten links fast in Karikaturen ausläuft. Kein einheitlicher Maßstab von Größe der Figuren, der Köpfe, sondern wie es gerade kommt, so scheint es. Groß im Vordergrund und klein in der Tiefe, das herkömmliche perspektivische Sehen, ist hier nicht durchgezogen, sondern ein wildes Klein und Groß durchzieht das Gemälde, das dem Bild, ja länger wir es betrachten, eine sich immer noch steigernde Absurdität gibt, die aber einhergeht mit der Wahrheit der Geschichte, daß sich in diesem Verrat der tiefste Schmerz und in der Auferstehung, auch dem Kreuzestod das höchste Glück ereignen wird. Das in Ocker-Brauntönen gehaltene Bild hat Lichtpunkte wie den weiß Gekleideten, fast eine arabisch anmutende Figur mit dem Kopftuch, und vor allem die erleuchtete Figur des Christus. Je länger wir in das Bild hineinstarren, desto stärker starrt dieser Jesus zurück und zwischendrinnen glauben wir sogar, daß er hin und wieder den Judas mit im Blick hat.
Höchste Zeit weiterzugehen, denn wenn auch diese Fokusreihe die aus eigenem Bestand mit kleineren Leihgaben, wenige Bilder eines Malers in den Blick nimmt, so sind es doch hier mit 34 Exponaten, 26 davon aus der eigenen Sammlung, so viele Gemälde, Fresko, Skizzen und Grafik, daß wir sie gar nicht mehr darstellen können. Eine Nebenfrage der Ausstellung gilt seiner Werkstatt und dem, was man Händescheidung nennt. Bei manchen Bildern ist das nicht auszumachen, aber grundsätzlich nimmt man an, habe die Werkstatt, besser die Mitarbeiter, die bei den verschiedenen Aufträgen vor Ort begonnen hatten, ein Bild nach des Meisters Anregung angelegt, in das Maulbertsch dann die wichtigsten Figuren hineinmalte. Die Ausstellung stellt ihn auch als Allegorienmeister dar, der auch hier durchaus süffisant solche Themen wie Weltmissionen, das Schicksal der Kunst, die Rolle der Minerva oder Tugenden kunstvoll in Szene setzt, ein Lieblingsthema der Barockmalerei.
Das Hingehauchte, Flirrende, das Flüchtige, das in Farbe und Licht Form gewinnt, es sind einfach kleine Wunderwerke, die sich dem enthüllen, der stehen bleibt und sich einsieht in diese Bilder. Und dann der nächste Schlag. In 318.5 x 192,5 Höhe und Breite die „Verkündigung an Maria“ um 1766/67 und dem Belvedere gehörig. Was sich hier Ungewöhnliches ereignet und den Erzengel zur Hauptperson macht, das ist eine eigene Geschichte, die wir ein andermal erzählen müssen, wenn der Weg uns ins Belvedere führt, wo es ja hängen bleibt.
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Ausstellung: bis 17. Januar 2010
Katalog: Meisterwerke im Fokus: Franz Anton Maulbertsch. Ein Mann von Genie, Hrsg. Agnes Husslein-Arco, Wien 2009
Internet: www.belvedere.at
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch