Ein Ausnahmekünstler – Serie: „Caravaggio“ zum vierhundertsten Todestag in den Scuderie del Quirinale in Rom (Teil 1/2)

Michelangelo Merisi da Caravaggio, Bacchus, 1593/94 oder 1597, Öl auf Leinwand, 95 x 85 cm, Uffizien, Florenz

Seine Zeitgenossen bezeichneten ihn als malenden Engel, der seinen berühmten Namensvetter Michelangelo bereits in jungen Jahren übertroffen habe. Überwältigt von seinem Porträt, schrieb Giambattista Marino, der wichtigste italienische Dichter seiner Zeit, Caravaggio sei „nicht mehr Engel, sonder Gott!“ Gestärkt durch soviel Ruhm, wusste der Maler sich auch finanziellen Erfolg zu verschaffen. Seine Bilder waren so begehrt, dass es Caravaggio gelang, durch gezielte Schenkungen als Ritter des Malteserordens in den Adelstand erhoben zu werden. Um seine Begnadigung für den Mord an Ranuccio Tomassoni zu beschleunigen, bestach er den mächtigen Papstnepoten Scipione Borghese mit seinem grauenerregenden ’David und Goliath’ (1610). Caravaggio stellt sich darin als enthaupteter Goliath dar, der als hochmütig und moralisch verwerflich galt. Die im Bild vollzogene Hinrichtung des Goliath-Caravaggio erscheint wie eine Mahnung über das damit drohende Ende der Malerei. Römische Bescheidenheit!

Caravaggio vermarktete sich ähnlich meisterhaft wie später ein Picasso, Andy Warhol oder Damien Hirst, und begründete den Kunstmarkt. Dies machte ihn nach seinem Tode suspekt, da die Produktion für einen freien Markt später als eine Art Prostitution galt, während doch nur der sittliche Lebenswandel große Kunst zu schaffen ermögliche. Neid auf den Erfolg und ein gewandeltes Kunstverständnis verleiteten Giovan Pietro Belloris zur Mitte des 17. Jahrhunderts zur Äußerung, Caravaggio habe nur Schmutz gemalt, was bei einem unmoralischen Lebenswandel ja auch kein Wunder sei. Schmutz, wie er sich etwa unter den Fingernägeln des Bacchus aus den Uffizien (~1597) [unsere Abbildung -] zeigt, der uns mit aufforderndem Lächeln einen zierlichen Glaspokal entgegenstreckt? Der androgyn erscheinende Gott des Weines mit weinlaubgeschmücktem Haar scheint Derek Jarmans Film von 1986 zu bestätigen. Darin wird das Bild eines skandalumwitterten Impulsmenschen gezeichnet, der seine homosexuellen Neigungen offen auslebte. Dieses romantische Bild des jenseits gesellschaftlicher Normen stehenden Künstlergenies, verklärte Vorstellungen über die damaligen Lebensumstände sowie posthume Diffamierungen aus dem 17. Jahrhundert, vernebeln den Blick auf Caravaggios Malerei. Der anscheinend laszive Blick des Bacchus ist nichts als dionysischer Furor: der Knabe ist berauscht.

Seine niedrige Herkunft zeige sich in allen seiner Bilder, weswegen er vom Volk geliebt werde. Außerdem male er nur nach dem Naturvorbild und folge nicht der Kunst der Antike und der Malerei Raffaels, die Bellori zum neuen Ideal emporhob. Belloris Kunstauffassung wurde übrigens so einflußreich, daß sie von der französischen Akademie und damit der westlichen Kunst insgesamt übernommen wurde, bis eine Gruppe Neuerungswilliger, die man als Impressionist(inn)en beschimpfte, davon abrückte. Dass Caravaggio eine andere Palette als Raffael hat und er ein Meister des Helldunkel war, ist richtig. Unsinnig aber die Behauptung, sie entbehre der Vorbilder, sei unkritisch und naturalistisch. Bei vielen Figuren ist die Körperhaltung so unnatürlich, dass sie nur damit erklärt werden kann, dass Caravaggio hier die Arbeiten der früheren Kunst zitiert. In den Bildern spiegelt sich die antike Skulptur genauso wie Tizian und Veronese, Sebastiano del Piombo oder Leonardo da Vinci. In seiner Grablegung (1602-1604) die lange als sein Opus Major galt, zitiert Michelangelo Merisi die Pietí  seines berühmten Namensvetters. Die Figuren sind mit einer Unmittelbarkeit gemalt, daß man den Eindruck hat, sie befänden sich direkt vor einem. Der bucklige Christusträger ist barfüssig und einfach gekleidet. Zeichen seiner Abstammung aus dem einfachen Volk oder Ausdruck besonderer Demut? Das Einfache war damals Mode: So wie heute die immer älter werdende Jeunesse dorée gerne zerfetzte Jeans trägt, war damals der Pauperismus Mode. Vor Caravaggio herrschte in Italien als Stil der Manierismus, eine Malerei, die John Shearman einmal beschrieb, als würde man mit einem Smoking in die Mensa gehen. Die Gegenreformation aber benötigte keine manierierten, sondern eingängige und wirkungsmächtige Bilder. Caravaggio holte die Kunst zurück auf Erden.

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Ausstellung: „Caravaggio“ bis zum 13. Juni 2010 in den Scuderie del Quirinale in Rom

Katalog: Caravaggio, hrsg. von Claudio Strinati, Skira, Mailand 2010, 248 S., 74 Abb., ISBN 978-88-572-0520-5 ital., -0458-1 engl., 49,00 €

Internet: www.scuderiequirinale.it

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