Ein Abschied für immer? – Das (Noch-)Flaggschiff der Weißen Flotte Stralsund verlegt huckepack nach Portugal

MS HANSEBLICK zwischen den Leuchtfeuern der Nordfhafen-Einfahrt von Stralsund. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Zwölf Jahre ist es bereits her, dass NDR-Moderatorin Sybille Rothe am Abend des 15. Mai 2009 die traditionelle Sektflasche gegen den Rumpf des 1,5 Millionen Euro teuren Neubaus schleuderte.

Das 37 Meter lange Aqua-Cabrio – ausgelegt für 160 Passagiere, vollklimatisiert, behindertengerecht und angetrieben von zwei 360-PS-Dieseln – wurde auf der Bolle-Werft im sächsisch-anhaltinischen Neu-Derben nahe der Elbe gebaut. Für Berliner Reedereien entstanden dort bereits ähnliche Schiffe, die jedoch nicht die Zulassung für Küstengewässer haben.

Überwintert am Sund

Das Flaggschiff der Weißen Flotte Stralsund wurde damit auf den Namen „Hanseblick“ getauft. Das Besondere daran ist das Oberdeck, dessen Glasdach bei schönem Wetter aufgeschoben werden kann. Ein Oben-ohne-Cabrio-Schiff also. Bundesweit das erste, das auch in den manchmal recht ruppigen küstennahen Boddengewässern zugelassen ist.

Der beliebten NDR-Sendung „Hanseblick“ wurde damit ein schwimmendes Denkmal gesetzt.

Mehrmals täglich legte seitdem das Flaggschiff ab zu Hafen- und Charterrundfahrten sowie im Fährverkehr nach Altefähr/Rügen.

Nach fünf Jahren Sund- und Bodden-Einsatz hatte sich die Anziehungskraft des innovativen Wassergefährts leicht abgeschwächt, so dass man nach neuen Möglichkeiten suchte. Die ergaben sich in Wolfsburg. Die Weiße Flotte Stralsund bewarb sich und bekam den Zuschlag. Zunächst für die „Altefähr“ und „Bültenkieker“, nach deren Abzug die „Hanseblick“ eingechartert wurde. Bis zu sechs Mal täglich pendelte MS „Hanseblick“ fortan zwischen der Autostadt bis zur Mittellandkanal-Schleuse Sülfeld im Westen und Fallersleben Rühen im Osten. Bis Corona kam und der Auslastung des Schiffes einen Strich durch die Rechnung machte. Wegen der Abstandsregeln konnten nur sehr viel weniger Gäste mitfahren. Daher entschloss man sich, das Schiff zum Überwintern an den Sund zu holen. Reparatur- und Überholungsarbeiten konnten so von dem Stralsunder Technik-Mitarbeitern effizienter und preiswerter ausgeführt werden.

Auf nach Bremerhaven

Am 26. April warfen die beiden Kapitäne Rober und sein Bruder Mirko Sauer erneut die Leinen los zur nächsten – rund 800 Kilometer langen – Überführungsreise von der Steinernen Fischbrücke im Stralsunder Nordhafen via Strelasund, Greifswalder Bodden, Peenestrom, Oder-Haff, Westoder, Schiffshebewerk Niederfinow, Oder-Havel-Kanal, Elbe-Havel-Kanal, Mittellandkanal und Weser nach Bremerhaven. Nach langen Tagesetappen zwischen Hell und Dunkel – mit Radar konnte man nicht fahren, weil der Mast vorher wegen zu niedriger Brücken abgebaut werden musste – wurde zum Essen und für Hotel-Übernachtungen mehrfach angelegt. Eine Woche später konnte pünktlich in Bremerhaven festgemacht werden.

In der Weser-Stadt wird das Schiff nun von Reederei-Inspektor Stefan Treibmann und seinen Mitarbeitern vorbereitet für den nächsten großen Sprung: durch Nordsee, Englischen Kanal, Biskaya und Atlantik nach Lissabon. Nicht etwa auf eigenem Kiel – das würde weder gehen, noch wäre es erlaubt – sondern huckepack an Deck eines Schwergutfrachters. Am 15. April sollte eigentlich mit dem Verladen begonnen werden, doch ein Nordsee-Orkan machte dem Unternehmen einen dicken Strich durch die Rechnung. Vorgesehen war der 111 Meter lange Yachttransporter niederländische „Eemslift Hendrika“. Der erst 2015 gebaute 5460-Tonner geriet jedoch am Polarkreis vor Norwegen in bedrohliche Schieflage und drohte gar bei haushohem Seegang zu sinken. „Im Moment“, so Treibmann, „haben wir noch keinen Ersatz“. Damit steht der für den 1. Mai geplante Dienstbeginn – nach Einweisung der portugiesischen Kollegen durch die Sauer-Brüder – auf dem größten Fluss Portugals, dem Tejo, in den Sternen. „Auch, ob die ´Hanseblick` jemals an den Sund zurückkehrt“, verriet der Inspektor. Die Reederei FRS habe bereits eine portugiesische Tochterfirma gegründet, „so dass noch mehr Schiffe hinzukommen könnten“. Ob dann noch die deutsche Flagge am Heck wehen und der Heimathafen Stralsund bleiben wird, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

Der 26. April wäre spätestens dann ein Abschied für immer und das Stralsunder Schiffsregister um ein markantes Schiff ärmer.

Infos:

MS „Hanseblick“; Typ: Cabrio-Fahrgastschiff; Bauwerft: Bolle, Neu-Derben, Brandenburg;Baujahr: 2009; Länge: 37,50 m; Breite: 6,50 m; Tiefgang: 1,20 m; Antrieb: 2 x IVECO-Diesel à 360 PS; 2 Festpropeller; Geschwindigkeit (max.): 12 kn; Passagiere: 160 (max.); Reederei: Weiße Flotte GmbH, Stralsund, Tochter der Flensburger Förde Reederei Seetouristik (FRS); Flagge: Deutschland; Heimathafen Stralsund.

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