Des Prinzen Rohrkrepierer

Kanonen im Tower of London. Quelle: Pixabay, Foto: VIVIANE M.

Wien, Österreich (Weltexpress). Unweigerlich erinnert man sich an den Chaplin-Film über den I. Weltkrieg, an jene berühmte Szene, in der aus einer gigantischen Kanone ein Geschoss ganz harmlos aus dem Kanonenrohr hinausploppt statt in Richtung Paris abzuzischen: Prinz Harrys mit allergrößter Spannung erwartete Autobiographie „Spare“ hat sich als Rohrkrepierer herausgestellt und nicht als die nukleare Sprengladung, welche die britische Monarchie pulverisiert und doch zumindest die Krönung von Harry’s Papa, Charles III., am 6. Mai verhindert hätte. Manche hofften insgeheim auf sensationelle Enthüllungen – vor allem den von Harry erbrachten Beweis, dass seine geliebte Mutter, Prinzessin Diana, am 31. August 1997 nicht einem Verkehrsunfall sondern einem von dunklen Mächten im Buckingham Palace oder vom Geheimdienst MI5 gesteuerten Mordanschlag zum Opfer fiel.

Nichts dergleichen. Ein Rohrkrepierer – das war bereits klar, als „Spare“ (Panne oder kommerzielle Manipulation?) schon fünf Tage vor dem offiziellen, mit der angeblich strengsten Diskretion eines Staatsgeheimnisses versehenem Erscheinungsdatum plötzlich in spanischen Buchhandlungen auftauchte und hastig angefertigte Übersetzungen tröpfchenweise die Öffentlichkeit erreichten. Obwohl die Sensation ganz offenkundig ausblieb hielt sich Harry tagelang auf den Titelseiten sämtlicher britischer Tageszeitungen – bis die Gratis-U-Bahnzeitung „Metro“ am Dienstag, dem offiziellen Erscheinungsdatum, in fetten Schlagzeilen titelte: „Britain Haz Had enough“ (Großbritannien hat die Nase voll – enge Freunde nennen Harry „Haz“). Dass gleichzeitig das immerhin 407 Seiten starke Werk mit dem attraktiven Foto des rotbärtigen Prinzen auf dem Cover schon am Erscheinungstag in der Buchhandlung auf dem Flughafen Gatwick zum halben Preis feilgeboten wurde, ist wohl kein Zufall: Das Werk liest sich zwar durchaus gut, vor allem die plastische Beschreibung des schottischen Königsschlosses Balmoral und die bewegende Schilderung der Nacht, als Prinz Charles seinem Sohn die Nachricht vom Tod „Mummys“ überbrachte. Aber Sprengstoff? Dass der Thronfolger William und vor allem „Stiefmutter“ Camilla schlecht wegkommen würde, war zu erwarten. Im übrigen fehlt dem vor ungehemmter Eigenliebe und Selbstmitleid triefenden Werk der „Reserve“ („Spare“) eindeutig die Brisanz.

Allein in Nordamerika, wo romantische Vorstellungen über die Engländer und ihre Monarchie grassieren, wurden 2,5 Millionen Exemplare gedruckt und auf beiden Seiten des Atlantik führte es die Bestsellerlisten an. Gleichzeitig tauchte die Popularität des Prinzen und seiner Gattin Meghan vor allem bei älteren, konservativ eingestellten Briten in den Nadir: Zwei Drittel der Briten haben eine negative Meinung über Harry. Und dessen Bericht, dass er als Soldat in Afghanistan 25 Gegner „wie Schachfiguren“ erschossen hatte, löste einhellige Empörung aus.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dr. Charles E. Ritterband wurde am Donnerstag, den 12.1.2023 in „Voralberger Nachrichten“ erstveröffentlicht.

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