Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vor 500 Jahren stand der Mönch und Theologieprofessor Dr. Martin Luther aus Wittenberg in Worms am 17. und 18. April vor Kaiser und Reich zu einem kurzen Verhör. Für ihn, seit dem 3. Januar bereits mit dem Kirchenbann belegt, ging es um Leben und Tod, denn er wurde der Ketzerei beschuldigt, d.h. er sollte die kirchliche Lehre verfälscht haben und nun widerrufen.
An der Stirnseite des Arenshorster Gemeindesaals hängt ein großes und beeindruckendes Ölgemälde dieses Ereignisses. Der Bohmter Malermeister und Kunstmaler Herbert Glüsenkamp hat es nach bekannten Vorlagen gestaltet und nach dem Umbau des Pfarrhauses 1968/69 zum gleichzeitigen Gemeindehaus der Kirchengemeinde Arenshorst gestiftet. Wir wissen, wie die Sache in Worms damals ausging. Luther widerrief nicht. Vor dem jungen Kaiser Karl V., den Kurfürsten und anderen Reichsständen bekannte er sich zu seinen reformatorischen Schriften mit den Worten: „Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen das Gewissen zu tun; ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“
Kaiser Karl V. hatte sich damals in Worms ganz stark und überzeugt zum katholischen Glauben seiner Vorfahren bekannt; er war in der Tat eine „Allerkatholischte Majestät“, und er setzte alles daran, diesen Glauben als den allein richtigen zu bewahren. Überliefert ist ein Papier, in dem er daran erinnerte, daß seine Vorfahren – spanische, burgundische und deutsche – „allesamt bis zu ihrem Tode treue Söhne der römischen Kirche waren und die katholische Kirche, ihre heiligen Riten, Dekrete und Gebräuche stets verteidigt haben“; auch erinnerte er daran, daß „wir selbst durch Gottes Gnade bislang nach ihrem Vorbild unser Leben geführt haben“. Als Nächstes wiederholte er einen Punkt, den schon andere gegen Luther vorgebracht hatten: „Ganz gewiß muß ein einziger Mönch irren, wenn seine Meinung gegen das steht, was Christen während der vergangenen tausend Jahre geglaubt haben und auch noch heute glauben.“ Deshalb fuhr Karl fort, „bin ich fest entschlossen, meine Königreiche und Herrschaften, meine Freunde, meinen Körper und mein Blut, mein Leben und meine Seele“ ganz dem Kampf gegen die Häresie zu widmen, denn wenn man zuließe, daß „ketzerische Irrlehren oder eine Verminderung der christlichen Religion durch unsere Nachlässigkeit in den Herzen der Menschen sich festsetzten, so würde dies uns und alle unsere Nachfolger in ewige Schmach und Schande stürzen. Nachdem ich die krankhafte Antwort vernommen habe, die Luther gestern in unser aller Gegenwart gegeben hat, sage ich Euch nun, daß ich es bereue, so lange gewartet zu haben, bevor ich mich entschloß, gegen ihn und seine falsche Lehre vorzugehen, und ich bin nicht bereit, noch Weiteres von ihm zu hören.“
Übergehen wir jetzt die folgenden Jahre seiner Regierungszeit, die angefüllt waren von Kriegen und konfessionellen Konflikten. Der Kaiser kam nie mehr zur Ruhe. Und so legte er 1555 seine Krone nieder und beschloß seinen Lebensabend im Kloster San Jeronimo de Yuste (1556) in der Provinz Caceres in der Extremadura am Rand der spanischen Sierra de Gredos zu verbringen. Er war ein kranker Mann geworden.
Aber wie starb er? Und diese Frage ist bis heute umstritten. Über die Sterbestunden gibt es unterschiedliche Darstellungen. Zuletzt legte der renommierte britische Historiker Geoffrey Parker ein umfassendes Portrait des Kaisers vor, das 2020 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Der Kaiser – Die vielen Gesichter Karls V.“ erschienen ist. Im letzten Teil „Niedergang“ überschreibt er sein Ableben mit der Frage: „Starb der Kaiser als Lutheraner?“ Daß diese Frage überhaupt aufkam und mit JA beantwortet werden könnte, wäre dann tatsächlich eine Ironie der Geschichte; war doch der Kaiser ein entschiedener Gegner der Lutheraner und „Erzkatholik“. Und dennoch, – trotz der extremen Rhetorik am Ende seines Lebens hat Karl ihnen mitunter seine Gunst bezeugt. Als er nämlich 1525 erfuhr, daß Papst Clemens VII. und die Venezianer sich mit dem französischen König Franz gegen ihn verbündet hatten, beschied er einigen Höflingen: „Ich rechne mit Hiobsbotschaften aus Mailand und Neapel…Ich werde nach Italien ziehen…und an denen Rache nehmen, die sich mir in den Weg gestellt haben – vor allem an diesem Schuft (villaco), dem Papst. Wer weiß, vielleicht wird sich eines Tages herausstellen, daß Martin Luther doch das Richtige getan hat“ (G. Parker, Der Kaiser, S. 195 und dazu Anmerkung 5, S. 740).
Im Jahr 1530 leitete Karl jenen Reichstag zu Augsburg, auf dem sozusagen das lutherische Urbekenntnis, die „Confessio Augustana“ (CA) vorgetragen wurde, und später billigte er die vorläufige Tolerierung der deutschen lutherisch gesinnten Fürsten.
Unter seinen Kaplänen und Hofpredigern waren zwei, die man später wegen Ketzerei verurteilen würde. Sein Leibarzt Dr. Mathys erklärte im Mai 1558, daß er mit Erlaubnis Seiner Majestät eine französische Bibel mit nach Yuste gebracht habe und fragte bei der Inquisition an, ob er sie behalten und lesen dürfe. Das wurde abgelehnt, und diese Bibel wurde verbrannt. Rom hielt es für den katholischen Glauben abträglich, landessprachliche Bibeltexte bekannt zu machen.
Möglicherweise hatte Karl auf seinem Totenbett aber eine weitere gefährliche Begegnung mit der „lutherischen Ketzerei“ in der Person des designierten Erzbischofs von Toledo Bartolome de Carranza. Dieser war am 20. September in Yuste eingetroffen und hatte einige vertrauliche Papiere von Philipp, dem Sohn des Kaisers und sein Nachfolger, für diesen mitgebracht. Überliefert ist uns die Begegnung des Erzbischofs mit Karl. Als Teil einer Kampagne, mit der er beweisen wollte, daß Carranza lutherische Neigungen hatte, trug der Großinquisitor Fernando de Valdes später eidliche Aussagen von zwanzig Personen zusammen, welche die letzten Stunden des Kaisers miterlebt hatten, die übrigens zu den am besten dokumentierten seines ganzen Lebens gehören.
So fanden einige, Karl habe Carranza recht frostig empfangen – vielleicht aufgrund von Gerüchten, daß er der lutherischen Ketzerei verdächtigt werde. Auf jeden Fall waren nach diesen Aussagen die ersten Worte des Kaisers vorwurfsvoll: „Spät kommt Ihr, lange habt Ihr auf Euch warten lassen, Erzbischof.“ Später fragte er: „Wie geht es meinem Sohn?“ Der Erzbischof antwortete: „Gut, Euer Majestät zu Diensten.“ Als nächstes fragte der Kaiser: „Was macht man mit den Ketzern von Valladolid?“, worauf Carranza erwiderte: „Jetzt geht es um sonst nichts als um die Gesundheit Eurer Majestät.“ War diese Antwort ein Ausweichen, um der Brisanz der Frage zu entkommen? Jedenfalls zog sich Carranza danach zurück, aber ein paar Stunden später rief Karls Gefolge ihn erneut herbei, weil ihr Herr dem Tode nahe schien. Der Kaiser fragte nach dem Bildnis des gekreuzigten Christus, das er für diesen kritischen Augenblick schon seit langem, seit dem Tod seiner Gattin, bereitgelegt hatte. Carranza las nun Psalm 130 „Aus tiefer Not“, und als Karl ihn bat, aufzuhören, beruhigte ihn der Erzbischof: „Eure Majestät setze Ihr ganzes Vertrauen auf das Leiden Christi, unseres Erlösers. Alles Übrige ist lächerlich (todo lo demas es burla).“ Das klang in den Ohren mehrerer Personen, die um das Bett des Kaisers versammelt waren, wie Luthertum – und als die Inquisition später gegen Carranza wegen Häresie vorging, sollten sie in diesem Sinn Zeugnis ablegen – , aber falls Karl es bemerkte, ließ er sich nichts anmerken. Sein Puls stabilisierte sich und er ruhte bis tief in die Nacht, bevor er unter neuerlichen Krämpfen litt. Carranza eilte zurück und bot ihm das Kruzifix, daß die Kaiserin im Sterben gehalten hatte. Ihre Hände berührten sich, während der Erzbischof ihm zusprach: „Mit Jesu Hilfe brauchen Sie nichts zu fürchten, noch soll sie der Teufel mit der Erinnerung an Ihre Sünden verwirren, was er in dieser Situation zu tun pflegt. Setzen Sie auf den, der für Ihre Sünden bezahlte, denn Eure Majestät als katholischer Christ hat seinen schuldigen Teil schon getan; nach dem Empfang der kirchlichen Sakramente kann ihm nichts Übles mehr passieren.“
Starb Karl V. am 21. September 1558 also als Lutheraner? In seinem Todeskampf wurde er jedenfalls mit „evangelischen“ Worten getröstet. Was da sonst an katholischem Beiwerk des Glaubens wegfiel („alles andere ist lächerlich“) ist dann ja auch dem Erzbischof Carranza zum Verhängnis geworden. Als häretisch-lutherisch bezichtigte man ihn vor allem, weil er den Sterbenden mit der Erlösungstat Christi die Angst nahm und damit das Bußsakrament verspottet hätte. Das Urteil der Inquisition war dann auch drakonisch. Nachdem Carranza mehr als anderthalb Jahrzehnte in spanischen und italienischen (Rom) Kerkern geschmachtet hatte, brachte ihm ein Schiedsspruch Papst Gregors XIII. 1576 bedingte Freiheit für wenige Tage, bis er an den erlittenen Strapazen am 2. Mai desselben Jahres starb.
Noch einmal: Starb „Seine Allerkatholischte Majestät“ Karl V. als Lutheraner? Eine Urkunde mit seiner Unterschrift darüber gibt es nicht. Was wir aber aus den Berichten über seine „letzte Reise“ wissen, ist, daß er seine Augen im Hören auf das Evangelium schloß. Als ihm das Kreuz zuletzt entglitt, hielt es ihm Carranza vor die Augen, so daß Karl unter dem Schutz des Erlösers starb: „Ay, Jesus!“ („Ach Jesus!“) waren seine letzten, vernehmbaren Worte; „todo lo demas es burla“(Carranza)! „Alles andere ist lächerlich!“ Keine Anrufung der Heiligen, kein Ruf um die Fürbitte Mariens! Er starb also wohl doch als Lutheraner. Welch eine Ironie der Geschichte!
Literatur zum Ganzen:
- Jose Ignacio Tellechea Idogoras, ASI MURIO EL EMPERADOR Publicaciones Universidad Pontificia, Salamanca 1995
- Heinz Schilling, Karl V., Verlag C.H. Beck, München 2020
- Geoffrey Parker, Der Kaiser – Die vielen Gesichter Karls V., wbg THEISS, Darmstadt 2020