„Can I wash my horse?”

Pferdewäsche. Quelle: Pixabay, Foto: Christels

Wien, Österreich (Weltexpress). Mitunter übertrifft die Wirklichkeit die Parodie. Die beliebtesten Stars solcher Karikaturen sind zweifellos Donald Trump und Boris Johnson. Letzterer hat nun den graduellen „Unlockdown“ verkündet, die Lockerung der strikten (aber viel zu spät aufgestellten) Isolationsregeln. Der britische Premier, dessen stur auf den Brexit fixierte Regierung in der Corona-Krise katastrophal versagt hat, hinterließ nach seinem TV-Auftritt eine breite Spur der Verwirrung. Alles was er damit erreicht hat, war, das „Vereinigte Königreich“ weiter zu spalten – denn Schotten, Waliser wie Nordiren weigern sich aus guten Gründen, die Vorschrift „Bleibt zu Hause!“ durch das vage „Bleibt wachsam“ zu ersetzen. In Windeseile verbreitete sich die Johnson-Parodie des Komikers Matthew „Matt“ Lucas: „Go to work. Don’t go to work. Stay indoors. Go outside. Don’t go outside. Then we will (or won’t) … something or other”.

Die allgemeine Konfusion führte zu bangen Fragen an die Notrufnummer 999 der Polizei wie „Kann ich denn jetzt mein Pferd waschen?“ – aber leider auch zum traurigsten aller Rekorde: Wie vorauszusehen war, führt Großbritannien mit inzwischen über 40 000 Toten die europaweite Covid-Sterbestatistik und wird weltweit nur noch von den USA übertroffen. Beide ironischerweise geführt von Männern, die ihren Nationen die Rückkehr zu einstiger Größe vorgegaukelt hatten. Diese hat sich nun tatsächlich eingestellt: Allerdings ziemlich anders als erhofft. Während andere Länder geordnet darangehen, Restriktionen graduell zu lockern, eiern die Briten herum – und Menschen sterben in Spitälern und Altersheimen zu Tausenden. Brexit und „Megxit“ (die Emigration der „Royals“ Meghan and Harry) sind völlig in Vergessenheit geraten, und im Covid-Chaos droht nun Ende Jahr definitiv der No-Deal-Brexit…

Über dem Land weht ein Hauch von „Battle of Britain“-Weltkriegsnostalgie und verbissenem Durchhaltewillen. Überall im Land schmücken die Briten ihre Häuser zum 75. Jahrestag des Sieges in Europa (VE-Day) mit unzähligen blauroten Union-Jack-Flaggen, „We’ll meet again“, die hoffnungsvolle Weltkriegshymne des Publikumslieblings Very Lynn ist in aller Munde, die unverwüstliche 95-jährige Queen ruft ihre Untertanen aus ihrem royalen „Lockdown“ in Windsor Castle auf „gebt nie auf, verzweifelt nie“. Und der neue Nationalheld ist der hundertjährige Weltkriegs-Veteran „Captain Tom“, Hauptmann Thomas Moore, der mit seinem Rollator weit über 100 Runden in seinem Vorgarten drehte und damit 33 Millionen Pfund (37,3 Millionen Euro) an Spenden für den Nationalen Gesundheitsdienst NHS erhielt. Er erhielt zu seinem 100. Geburtstag 150 000 Glückwunschkarten, eroberte mit dem von ihm mitgebrummten Song „You’ll never walk alone“ Singlecharts, zu seinen Ehren überflogen Oldtimer-Kampfflugzeuge über sein Häuschen – und sogar ein Eisenbahnzug wurde nach ihm benannt. Toll! Doch die stolzen Briten vergessen, dass nicht private Spenden sondern Regierungen den öffentlichen Gesundheitsdienst in Schuss halten sollten…

Anmerkung:

Vorstehender Kommentar von Dr. Charles E. Ritterband wurde am 15.5.2020 in „Voralberger Nachrichten erstveröffentlicht.

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