Berliner Opernorchester: Eine Einigung im Tarifkonflikt deutet sich an, es gibt aber noch keine Entwarnung

Die Arbeitgeber bieten die stufenweise Heranführung der Orchestermusiker an den seit dem 1.Januar im gesamten Bundesgebiet geltenden Flächentarif bis zum Jahre 2017 an. Im ersten Schritt sollen die Gehälter rückwirkend ab 1.Januar 2010 um 4,46 Prozent zuzüglich eines Sockelbetrags von 65 Euro monatlich erhöht werden. Im Februar 2011 und 2012 werden Einmalzahlungen von je 300 Euro folgen. Bis 2014 werden die Gehälter auf das Niveau des Öffentlichen Dienstes von Berlin erhöht. Das sind aber immer noch nur 97 Prozent des Flächentarifs. Dieser soll endgültig 2017 erreicht werden. Analog dem Flächentarifvertrag soll das Urlaubsgeld gestrichen werden. Auch das 13. Monatsgehalt soll von gegenwärtig 82 Prozent abgeschmolzen werden, aber gegenüber dem Flächentarif nicht auf 72, sondern nur auf 79 Prozent – ein minimaler Kompromiß, der für die Musiker 200 Euro pro Jahr ausmacht.

Strittig ist noch das Inkrafttreten der Aushilfsklausel, wonach die Musiker bei großen Besetzungen wie bei Verdi in den anderen Häusern kostenlos aushelfen müssen. Der DBV will sie ab 2014, aber die Gewerkschaft sagt, 100 Prozent Leistung erst bei 100 Prozent Tariflohn, also 2017. Zudem wird eine Senkung der Arbeitszeit gefordert, solange die Bezahlung unter dem Flächentarif bleibt – wie es im Öffentlichen Dienst Berlins gehandhabt wurde. Ferner fordern die Musiker einen Vertrag auf Senatsebene, und nicht, wie der DBV vorschlägt, als alleinige Verpflichtung der Opernstiftung. Das ließe Hintertüren offen. Nach Meinung der Musiker muß klar sein, dass dieser Kompromiß einen teilweisen Verzicht auf ihr berechtigtes tarifliches Entgelt darstellt, der ähnlich wie bei der Staatskapelle Halle mit dem Verzicht der Arbeitgeber auf betriebsbedingte Kündigungen aufgewogen werden muß. Auch die Einmalzahlungen wären ein Zugeständnis der Beschäftigten gegenüber tarifwirksamen Gehaltserhöhungen.

In den bevorstehenden Verhandlungen sind noch genügend offene Posten durchzukämpfen. Grund zur Entwarnung besteht noch nicht. Die Musiker verlangen von ihren Gewerkschaftsfunktionären Konsequenz, damit sie nicht umsonst gestreikt haben.

Die Standhaftigkeit der Orchestermusiker im Arbeitskampf ist auch für die Beschäftigten anderer Sparten in der Opernstiftung von Vorteil. Hatten die Kollegen teilweise kein Verständnis für die Orchesterstreiks, so schlägt die Stimmung nun um. Denn der Tarifvertrag NV Bühne, der »in Sack und Tüten« zu sein schien, ist noch immer nicht unterschrieben. Die betroffenen Solisten, Choristen und Repetitoren sind empört, weil die Leitung der Opernstiftung neue Ausflüchte in der Mindestgage der Solisten macht. Deshalb verweigert sie die Auszahlung der Gehaltserhöhungen seit Januar 2010. Erreichen die Orchestermusiker bessere Bedingungen als in den anderen Sparten, berechtigt es diese zur Angleichung ihres Tarifs, zum Beispiel beim Absenken des 13. Monatsgehalts auf 79 statt auf 72 Prozent. »Da sieht man, was passiert, wenn man nicht solidarisch ist,« stellt ein Gewerkschafter aus den Orchestern trocken fest. »Jetzt suchen sie unsere Nähe. Wir bleiben solidarisch.«

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Erstveröffentlichung in junge Welt vom 21.12.2010.

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