Berlin, Deutschland (Weltexpress). Diese Stimme, sie entführt in eine andere Welt. Trotz aller Widrigkeiten. Mag sein, dass es sich beim Auftrittsort um eine schäbige Spelunke handelt, mag sein, dass die nicht immer nüchternen Gäste die Sängerin gerne mal angrabschen, auf dem Weg zur Bühne. Egal, nie verliert Félicité (Véro Tshanda Beya) ihre Würde. Und wenn sie erst einmal am Mikrofon steht, können aller Helene Fischers und Adeles dieser Welt, alle überbezahlten Schlager-Trällertanten mit ihren gut geölten Marketing-Maschinerien im Hintergrund, getrost einpacken. Es sind Lieder voller Kraft, mal freudig, mal melancholisch, aber immer mitreißend, mit denen die selbstbewusste Sängerin ihre Zuhörer den Alltag vergessen lässt. Und der ist ziemlich hart in Kinshasa, der kongolesischen Hauptstadt. Gerade für Félicité. Sie singt nicht nur aus Freude, sie singt aus Verzweiflung. Muss sie doch dringend Geld auftreiben. Samo (Gaetan Claudia), ihr Sohn, hatte einen Motorrad-Unfall, liegt im Krankenhaus, nun droht ihm der Verlust seines Beines. Für die teure Operation verlangt der Arzt einen Vorschuss.
„Félicité“ dürfte zu den Höhepunkten des Wettbewerbs auf der diesjährigen Berlinale zählen. Regisseur Alain Gomis, ein in Paris lebender Franzose mit schwarzafrikanischen Wurzeln, gelang ein vielseitiger Film, der sich nicht auf ein bloßes Drama reduzieren lässt. Dazu spielt die Musik eine zu große Rolle, und selbst der Humor kommt keineswegs zu kurz. Es ist ein Handwerker, der für so manch komische Szene sorgt, bei seinen vergeblichen Reparaturversuchen ihres defekten Kühlschranks. Auch sonst kommt nie Langeweile auf, schon weil kein überflüssiges Wort fällt – ganz erfrischend angesichts so mancher recht dialoglastigen Beiträge auf diesem Festival. Lange Kameraeinstellungen zeigen immer wieder das Gesicht der Protagonistin. Es ist vor allem ihr intensiver Blick, der Bände spricht. Augen voller Stolz, mitunter voller Spott, aber manchmal auch Verwundbarkeit. Ist die augenscheinliche Stärke dieser sich so unabhängig gebenden Person vielleicht doch nur ein Panzer, dem manchmal Risse drohen? Solche Momente sind jedoch eher rar. „Félicité“ handelt von einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, die über sich hinauswächst, schon, weil sie gar keine andere Wahl hat. Sie muss Härte zeigen, Widerstände überwinden, scheinbar ausweglosen Situationen trotzen. Sie arbeitet noch mehr. Treibt Schulden ein. Bettelt bei einem betuchten Bürger um Geld. Lässt sich von ihm nicht verscheuchen. Trotz harter Worte, trotz Gewalt. Doch manchmal kommt die Hilfe unverhofft, spontan, und voller Herzlichkeit. So verbreitet der Film einen gewissen Optimismus, allerdings ohne jegliche Naivität, sondern immer im Rahmen des Möglichen.
Ganz nebenbei wirft er einen Blick auf schwarzafrikanischen Alltag, auf das Leben im Kongo, ungeschönt, niemals voyeuristisch. Wie grenzwertig das Krankenhaus samt medizinischer Versorgung wirkt, Ärzte und Schwestern zeigen sich immerhin bemüht. Wie spartanisch die Häuser, wie schlicht die Möbel, dennoch läuft ein Farbfernseher. Aber Félicités kleine Odyssee führt auch in bessere Viertel. Hier sind die Straßen gepflegt, hier verschanzen sich die Reichen hinter hohen Mauern. So, wie es derzeit ganz Europa versucht. Die Einreise für die drei Schauspieler soll sich jedenfalls alles andere als einfach gestaltet haben, wie der Regisseur bei der anschließenden Pressekonferenz bemerkt hatte.
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Originaltitel: Félicité
Land: Frankreich, Senegal, Belgien, Deutschland, Libanon
Jahr: 2017
Regie, Buch: Alain Gomis
Kamera: Céline Bozon
Schnitt: Fabrice Rouaud
Sprache: Lingala
Darsteller: Véro Tshanda Beya (Félicité), Gaetan Claudia (Samo), Papi Mpaka (Tabu)
Dauer: 123 Minuten