Wer Kult war, soll Kult werden – Aus „Stromberg“, Christoph Maria Herbst, wird „Kreutzer kommt“, heute auf ProSieben

Mit seiner Assistentin Belinda löst Kreutzer (Christoph Maria Herbst) jeden Fall in maximal vier Stunden, 37 Minuten und 48 Sekunden ...

Das also ist heute Abend bei ProSieben um 20-15 Uhr ganz anders. Denn da beginnt eine neue Serie, denkt man, offiziell allerdings ist es erst einmal nur diese eine Sendung, die mit einem funkelnagelneuen Kommissar Kreutzer aufkreuzt, an dem alles neu ist und doch mit Erinnerungsschüben an Allbekanntes versehen. Denn dieser Kommissar ist kein Haudegen wie Horst Schimanski, arbeitet also stärker mit dem Hirn als mit den Fäusten, und außerdem ist er noch schlau und wiegt seine Schäfchen in Sicherheit, wobei sich dann Spreu vom Weizen trennt und die Schuldigen erkannt sind. Weil Denken länger dauert, als ein Fäustespiel, unterläuft diesen Schäfchen immer wieder, den Kreutzer zu unterschätzen, der also durch Kombinieren auch die Härtesten weich kriegt, weshalb er mit einer Arroganz gesegnet, sich mehr als die Schuldigen zu Feinden macht. Natürlich ist er ein Querkopf, eigensinnig und schrullig und mit ruppigen Umgangsformen, wenn es ihm paßt.

Und obwohl er neu ist, dieser Kommissar Kreutzer, dessen produzierender Sender von ihm und seiner Serie sagt, so etwas sei noch nie dagewesen und würde die Krimiverhältnisse auf den Kopf stellen, Kommissar Kreutzer, der mit „Stromberg“ nur den Schauspieler Christoph Maria Herbst gemein hat, kennen Sie ihn alle, zumindest seine Zutaten. Das wären ein beiger Trenchcoat, den er wie Inspektor Columbo nie auszieht, das wären die Gehirnzellen des Hercule Poirot, diese belgische Schöpfung der Agathe Christie, wobei auch Miß Marple einem in den Sinn kommt; die anderen Vorbilder assoziieren Sie bitte selbst. Darauf gekommen ist Drehbuchschreiber Christian Jeltsch, der schon bisher mit „Bella Block und verschiedenen Tatortfolgen sowie Polizeiruf 110 äußerst gut beim Zuschauer ankam.

Warum Herbst? Vielleicht der Stimme wegen, die im Vorspann der neuen Serie tönt: „Die Nacht, sie ist mir vertraut, sie verrät mir die Wahrheit über all die Menschen, auf ihrer Suche nach Erfolg, Liebe, Glück, nach Rache. Einige sind bereit, dafür weit zu gehen. Zu weit”¦“ und damit das Dunkelgetönte des Lebens und den einsamen Nachtschwärmer, der für Gerechtigkeit sorgt, thematisiert, so kann nur die Folge selbst den Anflug von Kitsch beseitigen. Was sie tut. Und gleich vorneweg, der „Stromberg“ soll auch weiterlaufen. Mindestens vier Folgen sind angekündigt. Nun aber Kreutzer.

Denn dieser Kommissar hat natürlich wie alle besonders guten Ermittler einen Hau. Dieser allerdings ist kein psychischer Defekt, der ihn das Abnorme besonders gut fühlen läßt, sondern der Zeitraffer. Denn jeden Fall, absolut jeden, klärt er auf die Minute genau in vier Stunden und 37 Minuten. Man sieht, zu was als Spleen Drehbuchautoren greifen müssen, um im Krimigenre mit noch nie Dagewesenem zu punkten. Sei’s drum. Jetzt muß er dies natürlich durch alle Folgen durchziehen – eine höchst kurze Zeitspanne zur Aufklärung von Morden -, vor allem deshalb, weil dieser Kommissar von sich behaupten darf, noch nie einen Fall ungelöst liegen gelassen zu haben. Erfolgreich also und wie wir wissen in genau 4 h 37m.

Zu solchen überkandidelnden Überlegungen kommt man, wenn man eine gewisse Zielgruppe im Auge hat. Die ist jung, die ist gebildet, die ist erfolgreich und die ist nur über Kicks ansprechbar, so die Vermutung des Senders. Und derb und doof darf es deshalb schon gar nicht sein, sondern das gewisse Etwas soll es haben. Heute soll dies durch den Fall der Sängerin Dinah aus dem Kongo eintreten, die in der Nachtbar nach ihrem Auftritt mit dem eigenen Seidenschal erdrosselt wurde. Schnell stellt sich heraus, daß die anwesenden Gäste und das übrige Personal – natürlich alle ziemlich schräg und russische Waffenhändler und schwule koksende Kellner sind auch dabei– jeder für sich ein Motiv gehabt hätte. Außerdem wirken sie so total nervös, daß man schon an einen Gemeinschaftsmord dächte, wenn nicht”¦. Da wäre also das Kammerspiel versammelt, wo in einer Nacht und bei denselben Leuten, die das Haus – gedreht wurde im Berliner Hotel Kempinski – nicht verlassen dürfen, der Mörder zu suchen ist. Regisseur Richard Huber versucht alles im Lot zu halten und mit den Einstellungen und Schnitten genauso zu jonglieren wie mit den Aussagen der Protagonisten. Urteilen Sie selbst.

Heute: ProSieben, 20.15 Uhr „Kreutzer kommt“

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