Alltagskämpfe – Dito Montiels “Fighting” ist mehr als Schlägerdrama

Channing Tatum in "Fighting"

Der Titel ist gar nicht so dumm. “Fighting” schließt die alltäglichen Kämpfe der Figuren mit ein. Gegen den drohenden sozialen Abstieg, den Verlust gemeinschaftlicher Annerkennung, gegen unterdrückte Aggressionen. Kein korrupter Geldhai sitzt den Protagonisten im Nacken, sondern gewöhnliche Vermieter und Vorgesetzte. Nicht nur Zukunftsangst plagt sie, sondern Angst vor dem Existenzverlust. Regisseur Dito Montiel inszeniert New York nicht als schicken Sündenpfuhl. Bei ihm ist die Stadt schäbig, auf bedrückende und jämmerliche Weise. Das schlimmste Los ist nicht, in Hollywoodmanier von Mafiabossen erschossen zu werden, sondern zu enden wie die verwirrte Obdachlose oder einer der Straßenverkäufer. Als solchem begegnet man Shawn. Im Gegensatz zu den üblichen männlichen Standardprotagonisten von Kampffilmen ist er weder gelangweilter High-School-Schüler noch Ex-Knacki mit Vergangenheit. Ganz kommt “Fighting” um die dunklen Jugendgeheimnisse nicht herum. Umso interessanter ist der Umgang mit der Vergangenheitsbewältigung. Dass Shawn in einen fatalen Kampf verwickelt wurde, überrascht nicht. Doch er ist entgegen den üblichen Handlungsschemata der Schuldige, sein Gegner im finalen Kampf, den Shawn von früher kennt, hat allen Grund, Shawn zu hassen. Nicht aus Friedfertigkeit versucht der, Auseinandersetzungen zu vermeiden, sondern aus Angst vor dem Kontrollverlust. Seine Gewalttätigkeit kann er nur mühsam unterdrücken. Mehrfach sieht man ihn gegen Türen schlagen, gegen Wände boxen, die Zähne zusammenbeißen. Stärker als Shawn spürt sein Freund Harvey, dass die Kämpfe Dämonen wecken.

Das eigentliche Interesse von Drehbuchautor Montiel gilt jedoch Harvey. Terence Howard lässt ihn mit einlullender Stimme sprechen. Niemals verliert er die Fassung, als fürchte er wie Shawn seine inneren Aggressionen. Auch Harvey zählte einst zu den Kämpfern. Jetzt hält er sich mit krummen Geschäften über Wasser. Ständig wiederholt er, wie zur Eigenwerbung, seinen Namen. Jeden kennt er, mit allen hat er etwas laufen, auf niemanden kann er sich verlassen. Innerlich ist Harvey einsam. Niemandem trauen zu können, hat ihn in die seelische Isolation getrieben, die er mit seinen zahlreichen Bekanntschaften zu kaschieren versucht.  Hervorragend besetzt ist der Film bis in die kleinste Nebenrolle. Nur nicht in der Hauptrolle, aber Shawn ist ohnehin die schematischste Figur. Die anderen sind bewusst entgegen den Genrekonventionen besetzt. Nicht Shawn will aussteigen, sondern Harvey drängt ihn dazu. “Wenn du verlierst, kriegst du nichts.”, erinnert er ihn. Zulay ist nicht das unerreichbare Töchterchen reicher Eltern, sondern eine alleinstehende Mutter, die um ihren Arbeitsplatz fürchtet. Und da ist Luis Guzman als Harveys schmieriger einstiger Freund Martinez. Luis Guzman ist der Nebenrollendarsteller per se. Jim Carrey rettete ihn in  “Der Ja-Sager” vor dem Selbstmord, in “The Taking of Pelham 1 2 3” wird er erschossen, davor war er in “Boogie Nights”, “Magnolia”, “Traffic“. Will niemand Lius Guzman endlich eine Hauptrolle geben? Präzise Charakterporträts heben “Fighting” aus der Masse gewöhnlicher Jugendkampfsportstreifen heraus. Doch “Fighting” ist kein guter Film. Er hat eine unentschlossene Handlung und einen unsäglichen Schluss. Dazu wird ein schlechter Rapsong gespielt, doch wieder wird belohnt, wer länger sitzen bleibt. Danach murmelt eine Hintergrundstimme: “Why is ist always raining, Harvey?“ Vielleicht geht es weiter wie bisher mit den Charakteren, sie schlagen sich durch, jeder auf seine Art. Wie seine Figuren versucht “Fighting”, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen und hat bessere Freunde in seinen Darstellern, als er verdient.

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Originaltitel: Fighting

Genre: Action-Drama

Land/Jahr: USA 2009

Kinostart: 10. September 2009

Regie und Drehbuch: Dito Montiel

Darsteller: Channing Tatum, Terence Howard, Zulay Henao, Luis Guzman

Verleih: Universal Pictures

Internet: www.fighting-film.de

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