A Kunsthalle Schirn Who Cannot Speak German Is No German Kunsthalle – Das Geheimnis von „The Making of Art“ gibt die Kunsthalle Schirn in Frankfurt zu entschlüsseln vor

Yuri Albert " I Am Not Baselitz"

Freud sagte „Verdrängen“ und hätte offen ausgesprochen, daß der angebliche Akt des Vergessens des Pressematerials in der U-Bahn doch etwas mit dem Inhalt des Geschauten zu tun habe und damit auch mit mir, dem Katalog, der das, was an den Museumswänden hängt, aufbewahrt. Ich wurde also nach Freud mit voller Absicht liegen gelassen. Unbewusst, versteht sich. Und dann ließ man mich im Dunkeln schmachten. Ich lag seit Wochen in der Tagesablage des öffentlichen Fundbüros. Nicht mal Wert war ich es, daß mich einer in der U-Bahn sah und mitnahm. Nein, wie verrostete Fahrradklingeln und Schlüsselanhänger und kaputte Regenschirme mußte ich, den Kugelschreiber in der Seite und das Wimmern der CD im Ohr, in der Plastiktüte so geschützt wie gefangen, im Fundbüro auf den Tag der Erlösung warten. Der heute kam.“

Also, natürlich war das ganz anders. Das Vergessen der Tüte mit den Unterlagen der Pressekonferenz hatte ich sofort auf dem Weg zum nächsten Pressetermin auf der Messe gemerkt. Und deshalb flugs den Pressesprecher des öffentlichen Nahverkehrs angerufen, ihm vom Malheur berichtet und gebeten, sofort die U 5 und U 4-Fahrer zu benachrichtigen, damit die Tüte keinen Liebhaber findet und schnell für meinen Artikel gerettet wird. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein damenloser Kunstkatalog in der U-Bahn überlebt. Dieser Kollege, etwas überrascht, versprach, sich darum zu kümmern. Ich schickte eine Email hinterher, mit den erneuten Angaben und der Bitte, mich sofort zu benachrichtigen, falls die Tüte gefunden wird. Damit ich über die Ausstellung „The Making of Art“ berichten kann. Es kam keine Antwort. Es kam keine Antwort. Es kam keine Antwort.

Zurück von etlichen Pressereisen in Frankfurt, frug ich im Fundbüro nach. Und da lag sie auf einmal vor mir, die durchsichtige Tüte mit den Unterlagen der Ausstellung, dem empörten Katalog und der wimmernden CD. Und ich rätsele jetzt, ob was dran ist, an dem Ineinssetzen von Vergessen des Materials in der Straßenbahn und entsprechenden Beweggründen, die gemäß Katalog und gemäß der Psychoanalyse Sigmund Freud als inhaltliche Ablehnung des Geschauten interpretiert werden müßten. Nicht nur von ihm. Da muß ich mich vorsichtig ranarbeiten. Ich erinnere mich noch, daß ich auf der Pressekonferenz in der Schirn zusammenzuckte, als ich bemerkte, daß nicht nur der Titel „The Making of Art“ wieder mal auf Englisch erfolgt, so als ob wir in deutschen Museen und Ausstellungshallen keine auf Deutsch betitelten Ausstellungen mehr zusammenbrächten.

Zusammengezuckt war ich gar nicht vor dem Ausgestellten, sondern aufgrund dessen, was als Begleitmaterial angeboten wurde. Da gibt es spezielle Führungen und es gibt „Art After Work“, nein damit ist nicht der Hintern, auch kein Kunsthintern gemeint, sondern am 18. Juni „Behind The Scenes“, am 16. Juli „Verstehen Sie Kunst?“ und am 20. August “Lost in Art“. Zwei von drei Angeboten auf Englisch. Dann gibt’s noch die Schirn „Backstage“. Und dann auch noch Schirn International, den „Sprachkurs zur Ausstellung. More Than Words”¦! Für 100 Euro. Dabei hatte ich gerade in den Pressetexten gelesen: „Mladen Stilinovic spielt mit den Parametern des Erfolgs und ruft der (immer noch westlich dominierten) Kunstwelt plakativ entgegen: ’An Artist Who Cannot Speak English is No Artist’“ und mir diesen Widerspruch in den Katalog auf Seite 222 notiert. Mit Bleistift.

Liebe Leut! Tiefer hängen oder höher, je nach Perspektive. Es ist so was von gestern, dem Englischen wie einer Heilsbotschaft hinterherzurennen und sich damit weltläufig vorzukommen, aber doch nur öffentlich bekanntzugeben: Ich bin ein Niemand, ich bin ein Anpasser, ich will mehr gelten als ich bin, ich will so tun als ob. Da lob ich mir erneut diesen Mladen Stilinovic, der unter der Überschrift „Artist at Work“ – natürlich auf Englisch, deutsche Titel sind verpönnt – schon 1977 seinen Beitrag zum männlichen Geniekult überzeugend im Bett ausagierte. Da liegt er und kann nicht anders. In acht Schwarz-Weiß-Fotografien ist festgehalten, wie der sehr schnauzbärtige Künstler im Bett liegend seine Inspiration empfängt, oder war es die Transpiration, die ihn die Decke bis zur Hals hochziehen und friedlich einschlafen ließ? Vorher gönnt er uns aber noch einen Blick in seine Augen, die mehr nach innen denn außen schauen und die mit Nikolaus Lenau sagen: „Dreifach haben sie mir gezeigt, Wenn das Leben uns nachtet, Wie man’s verraucht, verschläft, vergeigt Und es dreimal verachtet.“

Natürlich hat das was, ironisch auf den männlichen Geniekult, auf den einsamen Künstler, der fast aus dem Jenseits seine Botschaften empfängt, mehr aufnehmender und umsetzender Behälter denn Gestalter seines Geschicks und seiner Werke zu sein. Aber, erneut, liebe Leute, ist das nicht auch von gestern? Von gestern, weil längst bekannt, längst karikiert? Müßte man nicht heute bei dem Anpassungsdruck, dem Künstler, die also „inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“, ausgesetzt sind, viel eher deren Freiraum der eigenen Wahrnehmung und künstlerischen Umsetzung wieder erobern, statt ihr Netzwerk zu loben, mit dem eine Geschäftswelt die Kunst zum Geschäft macht. Von daher ist der Aufsatz im Katalog: „The Making of the Market“ auch der erhellendste, weil er die Künstler lobt, die ihre Werke wie Jeff Koons dem Kunstmarkt so aufs Auge drückten, daß eine bestimmte Kunstgeschäftsentwicklung – eben die der westlichen Welt – den Markt und damit auch den angeblichen Wert des Künstlers bestimmt.

Wir sprechen uns in fünfzig Jahren wieder. Denn niemals kann eine Zeit wirklich etwas zu den künstlerischen Hervorbringungen der Jetztzeit Allgemeingültiges sagen. Das ist auch nicht nötig. Man kann durch diese Ausstellung gehen und sich an den ironischen Persiflagen amüsieren, man kann sich über viele Plattheiten wundern, über einige ärgern, man kann wieder einmal räsonieren, wo der Schönheitssinn geblieben ist und warum Markt immer so schnell Porno heißt? Tracy Emin spielt damit, hat eine starke Bildsprache entwickelt. Dieter Hacker gibt intellektuellen schriftlichen Senf dazu und Jörg Immendorf legt mehrfach Geständnisse ab. Man sieht auf jeden Fall die Postmoderne der Postmoderne, die sich im Zitieren des sooft Zitierten wiederholen. Was Kunst ist? Danach fragt die Ausstellung nicht. Beantworten kann das sowieso keiner. Aber was ein Künstler ist, schon eher.

Und da gilt im Auf und Ab von Künstlerbildern, nämlich den Bildern, die sich Künstler von sich und ihrer gesellschaftlichen Rolle machen, eben auch mal die Reflexion vom Markt und die Vernetzung zwischen ihnen und dem Markt als angesagt, die ja nichts anderes ist, als im Konkurrenzkampf im Rom der Renaissance, einen Auftrag des Papstes zu bekommen und damit im sicheren Lager zu stehen für die weiteren Aufträge. Daß Kunst mit Schmerzen zu tun hat, mit etwas, was von innen nach außen drängt, was in Einsamkeit geboren wird, was ein lebenslanges Ringen mit dem Material und den Motiven bedeutet, das wird dann irgendwann in einer Genieausstellung wieder zum Tragen kommen. Für die meisten Künstler, weder die Genialen noch die geübten Marktvernetzer findet das Leben in der Mitte statt, immer dicht am Existenzminimum. Davon spricht die Ausstellung nicht.

Ausstellung:

bis 30. August 2009 in der Schirn in Frankfurt am Main.

Katalog:

The Making of Art, hrsg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2009

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