Spannend dieses Thema und auch das macht Lust, dem „Mythos Burg“ auf den Leib zu rücken, der im „Mythos Ritter“ kulminiert. Auch wieder eine ideologische Meisterleistung, wie es den Rittern gelungen ist, „den Ritter“ und „das Ritterliche“ bis in unsere Zeiten sprachlich zu verewigen. Kein Mensch denkt heute an das Mittelalter, wenn man jemanden als ritterlich bezeichnet. Tatsächlich war es aber damals die vorgeschriebene Norm des Verhaltens von Adligen, die auf dem Wege der Dienste auch für Nichtadlige zur Ritterwürde und dem Ritterschlag führen konnte, ein gesellschaftlich gewollter sozialer Aufstieg in die höhere Klasse, den heute die Leute glauben, mit Geld, mit viel Geld bewerkstelligen zu können. Das sind tiefe kulturgeschichtlich-soziologische Einsichten, zu denen diese Ausstellung ganz nebenbei den Besucher bringt.
Man müßte jetzt von Parzival sprechen und Tristan – den Tisch von König Arthurs Tafelrunde hat man in Nürnberg nachgebaut! – , man müßte von dem idealen Ritter künden – der ’edle` Ritter, Prinz Eugen von Savoyen, soeben in einer großen Ausstellung in Wien gewürdigt, hier aber ausgelassen – oder auch von Kaiser Maximilian I. mit dem Beinamen „der letzter Ritter“, der Minne, den Kreuzzügen, aber auch den Satiren, die keiner so wundersam in Worte brachte wie Cervantes mit seinem „Don Quichotte“. Überhaupt die Literatur und die Malerei, zu der sich bei den aufgeführten Ritterbiographien auch – soweit vorhanden – Lebensdokumente beigesellen: neben dem deutschen Kaiser (1459-1519), auch der englische König und Kreuzfahrer und Häftling des Deutschen Kaisers, Richard Löwenherz (1157-1199) und der Sänger Oswald von Wolkenstein (1376/78 – 1445), aber auch „Götz von Berlichingen. Raubritter und Immobilienbesitzer (1480-1562), den Goethe in der deutschen Sprache verewigte. Hier bei den Ritterbiographien treffen wir auch auf eine Frau, die als Geschlecht bei dem Thema Burg sowieso unterrepräsentiert sind, gerademal im Zusammenhang mit Liebe (Minne) und Küche (toller Ausstellungsteil mit genauer Anlage!) in der Ausstellung auftauchen. Hier also Margarete von Tirol (1318 – 1369), von der wir nicht soviel wüßten, hätte nicht Lion Feuchtwanger so wundersam über „Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch“ geschrieben.
Flugs denkt man sich, das Buch wiederlesen zu wollen und wird dies mit anderem historischen Hintergrund tun. Die graphischen Darstellungstraditionen, ja, die machen aus der klugen und erfolgreichen Frau ein häßliches Mannweib, aber noch 1363 – auf dem Höhepunkt der Macht, nach dem Tod des von ihr gewollten Mannes – den ersten hatte sie davongejagt, was ihr die Exkommunikation durch den Papst einbrachte, aber nicht der Moral wegen, sondern aus Gründen der Erbfolge – also noch 1363 sieht sie auf einem Regentensiegel in Rot schön aus und wurde auch als „pulchra“ bezeichnet. Margarethe übrigens war es, die Rudolf IV. von Habsburg zum Erben bestimmte, vorher aber die Mitwelt das Fürchten lehrte, wie hier eine Frau ihre Rechte verteidigte und sich mit Unterstützung der Untertanen – schließlich hatte sie sich zuvor der tirolischen Opposition angeschlossen und den böhmischen König und ungeliebten ersten Schwiegervater aus dem Land vertrieben und gleichzeitig ihre Ehe als ungültig erklärt – auch politisch durchsetzt. Ein schönes Beispiel dafür, daß auch Frauen eine Rolle spielten, die man aber öffentlich dann kleinreden oder verhäßlichen mußte.
Wichtig für unser Verständnis von Burgen ist der Ausstellungsteil „Leben auf der Burg“. Schränke und Truhen können zwar wie auch Leuchter und Wohngegenstände sowie diese tolle Küchenutensilien die äußere Lebenswirklichkeit sinnlicher machen, aber es stellt sich die Frage nach dem normalen Leben. Das können Gegenstände nie beantworten. Mehr weiß man vom Festefeiern, das im Bild und in der Schrift, auch auf Wandteppichen, festgehalten ist. Auch zur Frömmigkeit werden Aussagen und Beispiele in Wort und Bild gemacht. Wie aber die sanitäre Ausstattung war, wie das mit dem Frondienst der Hintersassen war, welche Rechte und Pflichten Burgherr und Burgherrin hatten, das erklärt kurz und bündig der Kinderkatalog, der auch mit dem Fachvokabular Munt die Schutzherrschaft des Vaters über seine Töchter benennt, die nach der Heirat auf den Ehemann überging.
Stärker hat sich uns „das Leben im Kampf“, hier sechster Ausstellungsteil, eingeprägt. Das sind die Turniere genauso wie die echten Kriege und Auseinandersetzungen. Sehr einprägsam, wie auf luftiger Höhe auf zwei Stangen zwei Ritter in ihren Rüstungen, d.h. die Rüstungen ohne die Ritter, gegeneinander antreten, vom Kunstlicht wie von der Sonne angestrahlt. Das muß geblitzt und geschimmert und geglänzt haben, was die Schmiedekunst den Rittern auf den Leib ’schneiderte`. Ganz anders und dunkel und unfein diese Waffen, die bei den Belagerungen verwendet wurden und ohne die jeder Kampf von vorneherein verloren gewesen wäre: Geschosse, Büchse, Granate, Belagerungsgeräte, all das sieht man und erfährt in den Feuerwerksbüchern, wie man damit umgehen mußte. Wie Gebrauchsanweisungen sind groß im Bild ein Brandpfeil, zwei Ballisten und eine einfache Torsionsschleuder dargestellt. Uns schüttelst, aber wie hart die Kämpfe waren, zeigen nicht nur die damaligen Toten, sondern noch heute die Spuren der Zerstörung an vielen Gegenständen.
Eine weitere Abteilung stellt „Burgenglanz und Burgendämmerung“ vor. Und dabei ergeben sich auch Kuriositäten. Hätten Sie gewußt, daß Rubens, ja Peter Paul Rubens, der nicht nur ein bedeutender Maler mit gewaltigem Werkstattbetrieb war, sondern auch immer wieder in geheimer Mission für seinen König unterwegs war, ein richtiger Ritter war? Denn er wurde auf eigenen Antrag hin von gleich zwei Königen zum Ritter ernannt: im Jahr 1624 von Philipp IV. von Spanien und 1630 von Karl I. von England. Allein es fehlte der dazugehörige Landbesitz. Diesen erwarb Rubens 1635 und fertigt davon ein Ölbild an, auf dem sehr dominant allein der Turm des Anwesens in die Höhe ragt. Denn der Turm symbolisierte schon das Ganze und der Turm ist der Teil eines Adelsitzes, der Aufschluß über die Nobilität und damit Aufschluß über die Bedeutung des Besitzers und Bewohners macht. Wie wichtig Rubens dies war, ersieht man daran, daß er das Bild direkt nach dem Erwerb des Anwesens malte.
Abschließend bringen „Mythos und Mystifizierung“ die Teile noch einmal zusammen. Wie das entstanden ist, eine Burgenforschung über die Jahrhunderte hinweg zu betreiben und warum dies im 19. Jahrhundert zu solcher Blüte kam, wird an der Löwenburg in Wilhelmshöhe besonders deutlich. Hier kann man die Entstehung anhand der Entwürfe verfolgen und auch den Burgen Stolzenfels und Wartburg in Wiederaufbau und Restaurierung nachgehen sowie den Neubau Schloß Neuschwanstein nachempfinden, dazu gab es sogar eine Postkartenserie. Insbesondere der Rheintourismus läßt einen staunen, wenn sich auf vielen vielen Metern „ F.C. Vogel’s Panorama des Rheins – Ansichten des rechten und des linken Rheinufers von Mainz bis Coblenz“ abschreiten läßt. Übereinander hängen die jeweiligen Ufer, so daß man auf dem rechten hin und auf dem linken zurückschlendert, zusammen 20,98 Meter! Und auf jedem Zentimeter eine Burg, denkt man. Wofür das gemacht wurde? Wahrscheinlich für die aufkommende Rheinschiffahrt, ist eine der Thesen, die wahrscheinlich klingt, denn zum Mythos Burg, kommt der Mythos Vater Rhein und das heißt: Rheintourismus hinzu. Die Burgen dazu gibt’s in Bild und Keramik und hier genau geht das Thema auch in den Kitsch und den Kommerz über, wo bisher allein die Kunst Bildbeispiele lieferte. Ein witziger und mit Walt Disney und Burg Hogwarts, Hauptschauplatz der Harry-Potter-Romane, folgt als Schluß. Bei Disney kauft Dagobert ein baufälliges Schloß in Deutschland auf, weil er dort mit dem Steinmaterial eine Fabrik errichten will. Aber seine Neffen in Verbund mit der Dorfbevölkerung machen eine Bürgerinitiative „Rettet das Schloß“ und der geldgierige Dagobert entdeckt im letzten Moment, daß auch mit Schlössern, so man sie nur marktstrategisch gut nutzt, Geld zu verdienen ist. Wie wahr. Eine schöne, eine nützliche, eine witzige, eine kurzweilige und dennoch lehrreiche Ausstellung.
Ach so, warum die Eingangsaussage im ersten Artikel der Serie unrichtig ist? Ganz einfach: Burgen ist eine Bezeichnung für eine abgeschlossene Wohneinheit, die eben nicht nur auf Bergen, sondern überall existiert und sich schon – und das ist neu erforscht – im 8. bis 10. Jahrhundert in Mitteleuropa verbreitet, im mittleren und späten Mittelalter seine Blüte hat, aber nie als Burgenbau aufhört, sondern die ganzen Jahrhunderte hindurch als Herrschaftsbauten Zeichen setzten. Und der „Mythos Burg“ ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, sondern begleitet die Burg spätestens seit dem 12. und 13. Jahrhundert im Minnesang, in der Kunst, in den Ritteromanen und Münzbildern.
Fortsetzung folgt.
Ausstellung: bis 7. November 2010
Kataloge: Grundsätzlich gibt es zu den beiden Burgenausstellungen in Nürnberg und Berlin drei Bände, denn der Begleitband „Die Burg“ zu den beiden Ausstellungen „Mythos Burg“ und „Burg und Herrschaft“ , alle im Sandstein Verlag, Dresden 2010, faßt die wissenschaftlichen Ergebnisse zusammen, die im Vorfeld zusammenkamen und mitausschlaggebend dafür sind, daß die Ausstellungen mit viel Unsinn aufräumen, was sich in bundesdeutschen Köpfen durch falsche Mär eingenistet hatte. Natürlich kann man auch die Bände in den jeweiligen Ausstellungen einzeln erwerben, aber im Dreierpack hat man etwas fürs Leben. Was den Nürnberger Katalog angeht, so zeichnet er die acht Stationen der Ausstellungen nach, was dem Lesen und Nachsinnen des Geschauten gut tut, weil man es im Katalog im selben thematischen Zusammenhang sieht wie in der Museumsschau. Die Exponate sind fast alle bebildert und haben ausführliche Texte. Die Literaturangaben stellen sicher, daß Sie die nächsten Jahre keinen Lektüremangel kennen und das alphabetische Personenregister macht möglich, daß Sie bekannte Künstler oder Personen der Geschichte sofort finden, auch ohne die acht Stationen nach ihnen durchzublättern.
Auch für Erwachsene geeignet der Kinderkatalog „Die Burgenratten sind los“ zu „Mythos Burg“, hrsg. von G. Ulrich Großmann, Germanisches Nationalmuseum 2010, in dem kulturgeschichtliche Grundlagen auf kindlicher Fragestellung gelegt werden und ein Glossar endlich „die Motte“ erklärt: „Frühe Form der Burg mit einem turmförmigen Gebäude, das meist aus Holz errichtet war und auf einem künstliche errichteten Hügel stand“. Angenehm, wie stark dieser Katalog auf das Leben der Leute auf den Burgen, einschließlich ihres Speiseplans eingeht. Die „Armen Ritter“ werden als Rezept mitgeliefert, einmal auf rheinfränkisch, Original von 1445, dann die hochdeutsche Übersetzung. Witzig ist, daß sich das alte Deutsch liest, wie ein Ausländer Deutsch spricht.
Internet: www.gnm.de, www.gnm.de/mythos-burg, www.dhm.de, www.sandstein.de, www.burgenstrasse.de