Im Einzelnen setzt sich der Gefühlsklumpenantikörper zusammen: 1. Die Gefühle der Eltern, besonders der Mutter, gehen sozusagen übergangslos in das Kleinkind über. Es fühlt sich empathisch in die Eltern ein und hat gleichzeitig ihre Gefühle. 2. Laufen diese Gefühle seinem Bedürfnissen nach Wärme, Geborgenheit und Sicherheit zuwider, entstehen im Kleinkind aggressive Gefühle, eine Art Trotz oder Gegenwillen, die den Antikörper beinhalten und 3., da die Eltern sich in ihm befinden, das ursprünglich Fremde ist gar zu vertraut, es sich mit ihnen identifiziert, sich zu eigen macht, wenden sich diese aggressiven Gefühle gegen das eigene Selbst, werden zu Autoaggressionen, und zwar auch auf der körperlichen Ebene, auf dem Boden des Embodiements, der frühen Phase der menschlichen Entwicklung, wo Gefühle, Emotionen und Körper eins sind, den Körper mit erfaßt. Das ist einfach so, in späteren Lebensphasen spielt es mit hinein, und kein Mensch kann sich davon frei machen.
Auch die negativen Gefühle, beispielsweise die Ängste der Eltern gehen in das Kind übergangslos über, so daß sein Sicherheitsgefühl bedroht ist, und dann muß es gleichzeitig vor den Ängsten der Eltern Angst haben und vor sich selbst, seinen eigenen Identifikationen. Gleichzeitig entsteht in ihm Wut gegen diese Vereinnahmung, Übergrifflichkeit, dass die Eltern vom Kind Besitz ergreifen, die es fürchten muß. Ähnliches verläuft mit Scham und Peinlichkeit, die die Eltern im Kind vor sich selbst und vor der Umwelt erzeugen. Bei der Peinlichkeit wird es besonders deutlich, wie sehr das Kind den Eltern glaubt, dass ihm seine Existenz überhaupt und dies oder jenes Verhalten vor der Umwelt peinlich ist. Bei Schuldgefühlen ist die Sache verzwickter. Zum einen übernimmt das Kind die Schuld der Eltern, dann ist sie in ihm, und es ist selbst an den Schuldgefühlen schuld. Bei der Schuld bewahrheitet sich also transgenerationell die Erbsünde der Schöpfungsgeschichte, und dafür sollte sich der Gläubige eigentlich schämen.
Die Scham ist ein universelles, zugrunde liegendes Gefühl. Je intensiver die negativen Gefühle der Eltern und des Kindes sind, umso mehr muß das Kind ein Souveranitäts- oder Größenbild dagegen setzen, über allem erhaben, unangreifbar, unversehrt zu sein. Dann hat es gegenüber diesem Größenbild Scham und Selbstverachtung bei jeglicher Schwäche oder Fehlern. Aber auch die Größenbilder der Eltern sind in es übergegangen. Dann ist es an jeglicher Schwäche selbst schuld.
Die natürliche Ambivalenz der Eltern gegenüber einem Kind, denn ein Kind bedeutet nicht nur Freude oder Stolz, sondern auch Verlust der Freiheit und eine Belastung für die Eltern, erzeugt in den Eltern Aggressionen, eine Abneigung gegenüber dem Kind, beispielsweise vor der Körperlichkeit, dem Kot und Urin des Kindes, und das Kind mag nicht oder haßt sogar in Identifikation mit den Eltern selbst seine Körperausscheidungen und seinen Körper. Infolge des Gute-Mutterbildes oder -anspruchs, ein Gegenbild, das in der Kultur weit verbreitet ist, kann die Mutter nicht zu ihren Aggressionen stehen und sie akzeptieren. Unterdrückte Aggressionen sind umso heftiger. Das Kind übernimmt sie, und sie werden zu Autoaggressionen.
Der christliche Satz „die Wege des Herrn (Gottes) sind unergründlich, unerforschbar“ stellt eine Metaphorik, Parabel der Eltern-Kind-Beziehung dar. Das kleine Kind kann die Hintergründe des Handelns der Eltern nicht erkennen, bekommt sie aber voll ab und wehrt sich in irgendeiner Form dagegen. Sie sind den Eltern selbst nicht oder nur partiell klar. Teilweise besteht sogar das Verbot des Merkens.
Auf der Ebene des eigenen Selbst, der Seele und des Körpers, rufen die Antikörper eine überschießende Reaktion, eine Allergiereaktion oder eine Immunreaktion, die sich gegen den eigenen Körper und gegen die Körperzellen wendet, so dass sich eigentlich harmlose Pollen zu einem Heuschnupfen oder Asthma, an dem der Kranke fast ersticken kann, entwickeln. Die ursprünglich seelische Reaktion ist also eine körperliche Reaktion. Aber auch die Seele leidet unter dem Körper, und je heftiger, desto mehr ein Größenbild besteht.
Auf der Ebene der Zwischenmenschlichkeit, der Intersubjektivität, merkt der Patient nicht, dass er als Folge der Verinnerlichungen die Gefühle selbst hervorruft, daß sie ein Teil seines Selbst sind. Er nimmt sie entsprechend der Genese als fremd wahr, das ursprüngliche Opfer aufgrund der Prägungen und Verinnerlichungen der Täter ist, die Wut statt nach außen nach innen geht, er implodiert statt zu explodieren, er sozusagen daran erstickt. Er quält mit Verspannungen, Schmerzen und auf der seelischen Ebene mit Depressionen und Ängsten sich selbst. Er ortet sie als von außen kommend. Ansonsten hätte er kein Ziel und litte unter Schuld- und Schamgefühlen. Und somit wird das subjektiv Innere als das objektiv Äußere wahrgenommen, und dann hat er das Gefühl, und das ist die inneren Realität, er müsse gegen äußere, fremde Mächte ankämpfen.
Nach einer traumatisierenden Kindheit erkläre ich mir somit Fremdenangst- und Fremdenhaß. Der oder das Fremde ist sozusagen in mir und, um nicht am Selbsthaß zugrunde zu gehen, wird die Angst, Wut und der Haß nach außen abgespalten und projiziert. Bei einer prägenden Erziehung in unserer Kultur „der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen“ ist die Fremdenangst und –haß immer latent vorhanden und bedarf nur einiger Auslöser. Ich weiß von mir selbst, das, was in der Kindheit mit aller Macht an mir bekämpft wurde, taucht in den eigenen Kindern als unerträgliche Spannung, Wut und Haß wieder auf, und es besteht die Neigung, es dort wieder zu bekämpfen. Die Tragik ist, dass es dadurch hervorgerufen wird, da das Kind in einer Trotzreaktion mit dem wehren muß, gegen das angekämpft wurde. Die Trotzreaktion kann nur durch ein vollkommenes Niederknüppeln, Brechen des Kindes unterdrückt werden. Aber auch dann gibt es noch Wege, sich dagegen zu wehren, und wenn es der Selbstmord etwa bei der Anorexia nervosa ist.
Wenn die Eltern das Kind entwertet haben „du bist nichts und du kannst nichts“, gerät das Kind in einen Zwiespalt, wem es glauben soll, im Zweifelfall immer den Eltern, dann kommt es sich vor beispielsweise wie ein Mogler oder ein Hochstapler. Wenn es etwa das Abitur schafft, glaubt es, es hat sich irgendwie durchgemogelt, jedenfalls nicht den Anforderungen genügt, bei Anforderungen, die nicht höher waren, und es hat völlig normal das Abitur gepackt.
Und dann sucht der Traumatisierte noch eine innere, verborgene Absicht, um nicht den Zufällen ausgeliefert zu sein. Dadurch verfällt er leicht den Verschwörungstheorien. Er ist lieber Opfer von geheimen Plänen als das Opfer von Zufällen, den Zufall seiner Geburt und den aufgrund ihrer Prägungen jeweiligen Befindlichkeiten der Eltern. Dann hat er ein Thema, gegen das er sich wehren kann, und ist nicht seinem Gefühlsknäuel ausgeliefert.
In der frühen Kindheit können die Gefühle selbstverständlich nicht unterschieden bzw. differenziert werden, von wem sie ursprünglich kommen, also von den Eltern oder mir selbst. Das Kind glaubt den Eltern alles, sie haben die Definitionshoheit, und nicht sich selbst. Bei sich selbst bleibt ein vages, undifferenziertes Gefühl übrig. Dann kann man von einem Gefühlsklumpen sprechen und durch die autoaggressiven Gefühle von Antikörpern. Damit ist die körperliche Ebene mit erfasst. Nicht nur die typischen Autoaggressionskrankheiten wie Sklerodermie, Lupus Erythematodes, chronisches Rheuma, Magen- oder Darmgeschwür, Asthma, sondern Krankheiten über die gesamte Krankheitspalette, wofür eine Krankheitsanfälligkeit besteht, treten nach einer traumatischen Kindheit vermehrt auf.
Falls dieser Gefühlsklumpen nicht allzu verhärtet ist, also die Kindheit nicht allzu traumatisch ist, kann man als Erwachsener diese Differenzierung nachholen und lernen. Dazu gehört als 1. Schritt, mich selbst zu akzeptieren, anzuerkennen oder Wert zu schätzen, auch wenn ich noch zu sehr zu Schuldgefühlen neige. Ich habe meine Gründe, bewußt und unbewusst, nach denen ich handele. Dann kann ich die Eltern betrachten und sie auf ihre Hintergründe hin abklopfen, warum sie das tun oder sagen. Aber das ist schon tabuisiert. Ich verweise nur auf das Buch von Alice Miller „Du sollst nicht merken“. Auf jeden Fall waren die Eltern selbst Kinder und haben ihre Motive.