Jagd auf Journalisten

"Noch am Donnerstagmorgen konnten Reporter problemlos alles aufnehmen und filmen, was sie wollten", berichtete ein RIA-Novosti-Bildreporter vor Ort. Die Situation hat sich nach den ersten Zusammenstößen zwischen Gegnern und Getreuen des Mubarak-Regimes auf dem zentralen Tahrir-Platz radikal geändert. Journalisten aller Coleur wurden buchstäblich gejagt. „Anhänger Mubaraks versuchten zweimal, mir die Kamera wegzunehmen“, sagt der Kollege der russischen Nachrichtenagenturi.

Journalisten vermuteten, dass die Behörden ihre Anhänger, darunter auch ganz junge Menschen, angewiesen hatten, alles nur Mögliche zu unternehmen, um das Filmen in Kairos Straßen zu stoppen. Vor allem sogenannte Baltagija, das sind vom Regime, seinen Profiteuren und der Regierungspartei NDP bezahlte Söldner, forcieren die Jagd auf Jorunalisten. "Sowie sie einen Menschen mit einer Fotokamera, auch mit der billigsten, sehen, schlagen die Ägypter zu. Im besten Fall wird man um die Technik gebracht. Aber man läuft jetzt ständig die Gefahr, verprügelt zu werden."

Videoreporter müßten von oben Filmen, Bildreporter non oben fotografieren. „Aber Ortsbewohner lassen sie nicht immer in ihre Häuser, aus Angst, dass Polizisten oder Mubaraks Anhänger zuschlagen. Auch von Hotels aus kann man kaum arbeiten: Das Wachpersonal am Eingang zwingt die Reporter, Foto- und Videotechnik in die Aufbewahrung abzugeben. Denjenigen, die von Balkonen aus fotografieren, nimmt die Wache die Foto- und Videotechnik gewaltsam weg", berichtete ein Reporter.

Jeder ausländische Journalist riskiert auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder auf den Zugangswegen zu dem Platz, ein Opfer von Hitzköpfen unter den Demonstranten zu werden, besonders von denen, die sich als Anhänger von Mubarak ausgeben. „Eigentlich sollten keine Ausländer dorthin“, warnt ein Armeeoffizier bei der Dokumentenkontrolle am Tahrir-Platz.

Die Welt erfährt von den Ereignissen auf diesem Platz vor allem dank Live-Übertragungen durch Kameras, die auf Dächern und in höheren Stockwerken der anliegenden Gebäude aufgestellt sind. Am besten bemüht sich der arabische TV-Sender Al Jazeera, die mittlerweile auch unter den Repressalien des Regimes leiden.

Ein Journalisten-Team von RIA Novosti und der kubanischen Agentur Prensa Latina näherte sich dem Tahrir-Platz aus Richtung der Brücke „Vom 6. Oktober“, um die Lage zu beobachten und einige Aufnahmen zu machen.

Zu diesem Zeitpunkt belauerten zahlreiche Regime-Anhänger die Oppositionellen, die sich auf dem Platz verbarrikadiert hatten. Die beiden Seiten beschimpften sich und bewarfen sich von Zeit zu Zeit mit Steinen.

Eine Frau bemerkte einen Journalisten von Prensa Latina, der Fotos machen wollte, ergriff ihn am Arm und schrie lauthals, sie habe einen ausländischen Spion gefasst. Ein RIA-Novosti-Korrespondent versuchte ihr klar zu machen, dass das ein Journalist aus Kuba sei, einem Ägypten freundschaftlich gesinnten Land. Erfolglos.

Das Team wurde von Dutzenden wütenden Demonstranten umringt, einer von ihnen entriss dem Journalisten die Kamera.

Aus der Menge lösten sich mit Schlagstöcken bewaffnete Menschen. Mit den Rufen „Schlagt die Journalisten!“ liefen sie auf die Korrespondenten zu. Die Rettung brachte eine Gruppe von Militärs, denen gegenüber die Angreifer es vorzogen, die „Festgenommenen“ auszuliefern. Dabei ging die Kamera mit den wertvollen Fotoaufnahmen unwiderbringlich verloren.

Nach einer Passkontrolle entließen die Militärs die Journalisten mit der Warnung, der Tahrir-Platz sei jetzt kein geeigneter Ort für Ausländer. „Helfe Ihnen der Allmächtige“, sagte ein Offizier der ägyptischen Armee zum Abschied.

Schlimmer erging es den Journalisten Sergej Paschkow und Andrej Popow vom russischen TV-Sender Westi-24. Sie wurden von so genannten Anhängern Mubaraks zusammengeschlagen, die auch ihre Videokamera zerschlugen und alle aufgezeichneten Bilder vernichteten.

Die nach dem Beginn der Massenunruhen in Kairo angereisten Medienvertreter sind immer wieder neuen Angriffen ausgesetzt. Ein Journalist eines polnischen Fernsehsenders wurde samt dem Aufnahmeteam aus einem Taxi herausgezerrt. Der Gruppe wurden die gesamte Filmausrüstung und die Papiere weggenommen. Der Korrespondent wurde wieder frei gelassen. Aber das Schicksal seiner Kollegen – des Kameramannes und eines weiteren Mitarbeiters, kennt er nicht.

Unbekannte Männer nahmen eine spanische Journalistin fest, unterzogen sie einer Leibesvisitation und ließen sie erst frei, als die Frau einen hysterischen Anfall bekam. Ein Journalist des Fernsehsenders Al-Arabiya wurde 24 Stunden gewaltsam festgehalten. Wie ein britischer Journalist RIA Novosti mittelte, entfernen jetzt viele ausländische Korrespondenten die Aushängeschilder von ihren Bürogebäuden, um Angriffe zu verhindern.

Ab und zu tauchen in der Demonstrantenmenge Personen auf, die auf jene lauern, die mit Video- oder Fotokameras oder aber mit Handys Aufnahmen machen. Jetzt gilt ein Verbot für die Einfuhr von Kameras, die bei der Zollkontrolle beschlagnahmt werden. Die Akkreditierung von Journalisten ist ausgesetzt worden. Medienvertreter sind daher gezwungen, mit Touristenvisa einzureisen und damit die ägyptischen Gesetze zu verletzten.

Die Behörden in Ägypten hatten bereits früher den in der arabischen Welt besonders beliebten TV-Satelliten-Sender Al Jazeera geschlossen. Doch die machen weiter wie wir!

Mit Material von Al Jazeera, dap, Facebook, Flickr, Liveleak, RIA Novosti, taz und Twitter.

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