Wo reitet der Weltgeist? – Tripolitanien gegen Kyrenaika – Libyen bleibt bis auf weiteres zweigeteilt – Wird auch das Öl an der Großen Syrte geteilt?

Ein Blick auf die Große Sirte aus dem Kosmos aufgenommen. © NASA

Tripolis, Tripolitanien; Berlin, Deutschland (Weltexpress). Erst kündigt Fayez al-Sarraj (auch Fajes Serradsch geschrieben), der Bürgermeister von Tripolis, als Gernegroß und sich Präsidentenratsvorsitzender und Ministerpräsident von Libyen nennender Häuslebauer, von Berufs wegen war der Mann Architekt, an, zurückzutreten, dann verkündete auch Chalifa Belqasim Haftar Alferjan aus Kyrenaika etwas Wichtiges an. Und zuvor erklärte Abdullah al-Thani, der die Regierung in Tobruk für den Staat Kyrenaika führt, seine Rücktrittsabsicht. Doch der Reihe nach.

Wenn Serrasch beispielsweise in der „Tagesschau“ (17.9.2020) vom Autor Björn Blaschke mit den Worten „Ich erkläre meinen ernsthaften Wunsch, meine Pflichten bis spätestens Ende Oktober an eine neue exekutive Autorität zu übergeben“ zitiert wird, was heißt das denn? Tritt der alte Mann als Staatsoberhaupt oder als Regierungschef zurück? Möglich wäre auch eine Doppelrücktritt der Marionette von Millionären und Milliardären, Milizionären, Islamisten und Stammesfürsten. Und das Ende der Fahnenstange ist bei dieser Auflistungnoch nicht erreicht. Serrasch war schon immer ein Kompromiss vor allem der entscheidenden geopolitischen Akteure und nicht nur der Kriegs- und Ölherren.

Nebenbei bemerkt werden unter dem Titel „Premier kündigt Rücktritt an – Endet die politische Blockade in Libyen?“ die Lücken und Lügen der ARD wieder einmal offensichtlich, denn – wie geschrieben, bot nicht nur Serrasch in Tripoli seinen Rücktritt an, sondern auch al-Thani in Tobruk.

Als die Libysch-Nationale Armee (LNA) mit Hauptsitz in Tobruk und Oberbefehlshaber Haftar vorrückte, wurde er vor allem von Stammes- und Milizenchefs, aber auch von Moslembrüdern, IS-Truppenteilen und Al Kaida-Kumpels verteidigt, aber auch und entscheidend von der Erdogan-Türkei.

Von der Lücken- und Lügenpresse und also in den meisten Staats- und Kapitalmedien ist Serrasch der gute Staats- und Regierungschef, Haftar hingegen der als „Warlord“ beschimpfte Kriegsherr, der böse General. Beides ist blödes Gequatsche und Geschreibsel. Hinter Haftar beziehungsweise al-Thani und anderen starken Männern in Kyrenaika stehen Macron, Putin, Sisi und Teilen des arabischen Adels, die ganze Staaten führen. Kyrenaika steht also nicht schlechter da als Tripolitanien beziehungsweise Haftar und Serrasch, wenn man diese beiden Staaten an der Großen Sirte auf diese beiden Männer runterbrechen möchte. Das kann man machen, aber dann kann man die Komplexität und die jeweiligen Regime hinter den Regierungen kaum erklären. Weder durch Tripolis noch durch Tobruk reitet der Weltgeist auf einem Pferd beziehungsweise einem Kamel.

Und diese sind nicht ohne die Welt- und Regionalmächte zu erklären, ohne die geopolitischen Akteure, ohne die Männer im Geschäft mit Öl. Diese haben sich offensichtlich auf eine Zwei-Staaten-Lösung an der Großen Sirte verständigt. Vor allem in Moskau und Ankara wurden die neuesten Schritte vorbereiten, die Wege dafür geebnet.

Dass erst der eine seinen Rücktritt ankündigte und dann der anderen im Grunde seinen Rückzug, also das Ende der Ölblockade, das sind nämlich Schritte in diese Richtung. Unter der falschen, verlogenen Überschrift „Libyen: Chalifa Haftar kündigt Ende der Ölblockade an“, denn es gibt de facto kein Libyen, wird u.a. in der „Zeit“ (19.9.2020) mitgeteilt, dass „der libysche General Chalifa Haftar … das Ende einer vor acht Monaten begonnenen Blockade der Ölausfuhr verkündet“ habe. „Es sei beschlossen worden, den Export wieder aufzunehmen, sagte Haftar in einer Fernsehansprache. Bedingung dafür sei, dass die Einnahmen gerecht verteilt würden. Sie dürften nicht geplündert oder zur ‚Unterstützung von Terror‘ eingesetzt werden.“

Weil das meiste Öl auf dem Staatsgebiet Kyrenaikas liegt und nicht auf dem Staatsgebiet Tripolitaniens, geschweige denn im oft vergessenen Fessan im Süden, muss und will Tobruk an Tripolis abgeben. Öl gegen Frieden sozusagen.

Dieses Öl beziehungsweise die Einnahmen daraus fehlen der Serrasch-Regierung und dem Regime dahinter seit Monaten. Deswegen kommt es unter deren Staatsvolk seit geraumer Zeit zu Protesten. Richtig, halb zog es Serrasch, halb fiel er hin. Bevor er fallengelassen und/oder gestürzt wird, zieht er die Reißleine, nimmt seinen Gegenspieler, zumindest al-Thani mit und seine Nachfolger bekommen mehr vom Öl, die dafür Ruhe vor den Moslembrüdern. Grob geschrieben ist das der Deal, dem auch Sisi in Kairo, Erdogan in Ankara, Macronin Paris, Putin in Moskau und viele andere zustimmen könnten.

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