Wie Flasche leer – Union Berlin holt in der Alten Försterei gegen den FC Ingolstadt „nur“ einen Punkt

© Foto: Hajo Obuchoff

Und so war immer wieder unter den 15 461 Zuschauern – davon höchsten 61 aus Oberbayern – durchaus ein Murren zu verspüren. Selbst ihr Fußballgott Torsten Mattuschka wurde nicht verschont, als er zweimal aus guter Position den Ball in die obersten Ränge der Waldseite jagte, wo die eisernsten Fans ihren Stammplatz haben. „Uns hat heute eindeutig die geistige Frische gefehlt“, erklärte Unions Fußball-Lehrer Uwe Neuhaus das glückliche 1:1. Giovanni Trappatoni an seiner Stelle hätte wohl gepoltert: „Meine Spieler haben gespielt wie Flasche leer.“

Vielleicht wäre es ein ganz anderes Spiel geworden, hätte Patrick Zoundi 38 Sekunden nach Spiel-Anpfiff den von Ex-Ingolstädter Adam Nemec schön in den Strafraum gehobenen Ball mit seinem Schädel einen Tick weiter nach links ins Tornetz gelenkt. So aber flog die Kugel am Pfosten vorbei und Ingolstadts Torhüter Ramazan Özcan konnte durchschnaufen, den Ball weit ins Feld schlagen, um dann sein zweites Paar Handschuhe zu wechseln. Warum er eine Minute später wieder die ersten anzog, blieb sein Geheimnis. Auf jeden Fall schien es seiner Fangsicherheit nicht geschadet zu haben. Andererseits gab es für ihn vorerst auch wenig zu halten. Denn die Unioner brachten vor Özcans Kasten genauso wenig Gefahr wie seine Kollegen Daniel Haas auf der anderen Spielfeldseite auf die Probe stellten.

Erst in der 36. Minute wurde es heiß vor dem Tor der Unioner. Ein Fehlpass im Mittelfeld, und plötzlich gelang den Gästen ein schneller Konter. Von rechts drang Florian Heller in den Strafraum ein, wollte Haas umkurven. Der versuchte den Ball mit dem Fuß abzuwehren, berührte Heller leicht, der sich dankbar fallen ließ. Zum Entsetzen der Ingolstädter Kicker und ihres winzigen Anhangs, ließ Schiedsrichter Norbert Grudzinski aus Hamburg weiterspielen. Vielleicht weil fiel ihm Heller zu leicht. Der Schiri sollte ab nun weiterhin für Unruhe sorgen.

Aber Schuld an dem mäßigen Spiel hatte Grudzinski natürlich nicht. Er passte sich lediglich den zerfahrenen Aktionen der Akteure an. Nach der Pause wurde es nicht viel besser. Meist wurde das Spielgerät im Mittelfeld mehr schlecht als recht herumgestoßen, wobei die Balltreter aus dem südlichen Freistaat ansatzweise durchaus versuchten eine Art Passspiel zu kreieren. In Minute 66 dann gelang dies sogar. Mit drei einfachen Direktablagen spielten sie die in dieser Situation etwas eingerostet wirkende eiserne Abwehr aus. Heller, der in der ersten Hälfte noch an Haas und dem Referee gescheitert war, hatte nun wenig Mühe die Plastikkugel ins Netz zu bugsieren.

Das 0:1 schreckte die Unioner auf. Doch ihr Anrennen Richtung gegnerisches Tor wirkte eher krampfig, als überlegt. Nur einmal in der 81. Minute, Nemez war in der Mitte durchgebrochen, kam echte Gefahr auf. Die Ingolstädter Innenverteidiger zerrten und zurrten am Unionstürmer, der im Strafraum auch zu Boden ging. Die Volksseele brüllte vor Schmerz auf als Schiri Grudzinski nur abwinkte. Gewiss erinnerte sich der Hamburger an den verweigerten Elfer für die Gäste in der ersten Halbzeit. Nemec indes wurde noch zu Helden. Ein Jahr zuvor hatte er noch für die Ingolstädter gegen Union an gleicher Stelle zweimal getroffen. Damals endete das packendes Spektakel 3:3. Heute wollte der Slowake es unbedingt wissen. In der 85. Minute war es wieder so weit. Eine Flanke von Björn Kopplin segelte vor das Ingolstädter Tor. Nemec stand genau richtig, stieg höher als da Costa und köpfelte die Kugel genau in den rechten Torwinkel. Özcan konnte nur resigniert hinterher schauen.

Das Publikum auf den Rängen tobte. Nun wollten alle den Sieg. Allerdings auch die Kicker aus der Audi-Stadt. Nun wurde es plötzlich ein Fußballspiel mit einem dramatischen Ausgang. Es ging noch einmal hin und her. Die Nachspielzeit lief bereits da erkämpften sich die Gäste noch einmal zwei Ecken. Alles schien gelaufen, als der Ball im Toraus landete.

Nun aber sprintete Tim Sönder, Schiedsrichter-Assistent an der Außenlinie, zu seinem Kollegen Grudzinksi. Sönder glaubte, Roberto Puncec hätte Illian Micanski zu Fall gebracht. Na ja, der war eigentlich mit der hochgereckten Hand nach dem Ball gesprungen und von Puncec leicht an der Brust berührt worden. Doch Grudzinski zeigte auf den Punkt. Der Mob auf den Tribünen tobte wütend. Das tapfere Ingolstädter Grüppchen hinter dem Tor von Haas tobte auch – vor Glück. Fabian Schönheim, Unions Verteidiger tanzte schamanenhaft vor Micanski rum, der sich den Ball zurecht gelegt hatte. Der Schiri zückte nochmal Gelb für den Ballbeschwörer. Dann pfiff er. Micanski lief an und lupfte den Ball lässig über den zu Boden gehenden Haas. Wie in Zeilupe schwebte die Kugel in der Luft. Die Im Gästeblock reckten sich die Hände jubelnd in die Höhe, um im nächsten Moment resigniert auf die Köpfe zu sinken. Der Ball prallte von der Latte steil nach oben. Haas sprang hoch und griff sich das fallende Spielobjekt. Abpfiff. Und befreiter Jubel der Unioner auf den Rängen. Der graue Februartag hatte ein halbwegs versöhnliches Ende genommen.

Das Schiedsrichtertrio indes schritt mit gemischten Gefühlen gen Ausgang. Beschirm von drei Begleitern verlor sich trotzdem noch ein leerer Bierbecher auf Grudzinskis Schulter. Obwohl es ein Pfandbecher war, ließ der Schiri ihn achtlos fallen.

So ist es beim Fußball: Man kann es nicht allen Recht tun. Und nicht jeden Tag ist Derby-Tag. Manch einer, der bereits vom Aufstieg träumte, dürfte wieder im Alltag angekommen zu sein. Und für die Kicker gilt: Bis zum nächsten Spiel ist genügend Zeit die Flasche wieder aufzufüllen.

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