Wenn Gegensätze verschmelzen – ein Abend mit The Prodigy

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit es den Briten um DJ Liam Howlett seit Jahren gelingt, scheinbar unvereinbare Gegensätze miteinander zu versöhnen. Stammend aus dem elektronischen Underground enterten sie die größten Festivalbühnen Europas und stahlen so mancher Rock-Legende vor eigenem Publikum die Show. Kein Wunder also, dass eine ganze Reihe unterschiedlicher Musikzenen in einen erbitterten Wettstreit getreten ist, wer den Erfolg des Elektro-Punks nun auf seiner Seite verbuchen darf – nicht umsonst findet die Band einigen Gefallen daran, mit den verschiedenen Genres zu spielen.

Ein typisches Beispiel gibt es an diesem Pfingstmontag in der bayerischen Landeshauptstadt zu bestaunen: Bereits im Vorprogramm wird es immer dann besonders laut, wenn sich die reine Elektro-Kombo South Central in der großen Wühlkiste der Rockgeschichte bedient. Von Rammstein über Rage Against The Machine bis hin zu Nirvana verschwindet beinahe alles in einem riesengroßen Potpourri, das mit einigem Szenenapplaus auf deutlich mehr Anerkennung stößt, als unbekannte Vorbands meist für sich in Anspruch nehmen dürfen.

Mit DJ-Pult, Schlagzeug und E-Gitarre erscheinen die wohl bekanntesten Bandmitglieder The Prodigys, MC Maxim Reality und Sänger Keith Flint, zu den Klängen von World’s On Fire vor einer völlig überdimensionierten Boxenwand, die geradezu danach lechzt, an ihre Grenzen gebracht zu werden. Immer wieder blicken und gestikulieren die beiden Antreiber in Richtung Tontechnik, um ihrer Aufforderung „full blast“ Ausdruck zu verleihen – doch immer wieder kehrt der bis in den letzten Winkel der Halle messerscharfe Sound auf sein moderates Anfangsniveau zurück. Die Fans scheint es kaum zu stören, kommen sie doch in den Genuss einer mit zahlreichen Hits gespickten Best-Of-Setlist: Neben Klassikern wie Breathe, Firestarter und Out of Space gibt es fast die gesamte aktuelle Scheibe Invaders Must Die zu hören, die Kritiker und Anhänger gleichermaßen in Freudentränen ausbrechen ließ.

Mit Leichtigkeit gelingt es den beiden Frontmännern, das Publikum in ihren Bann zu ziehen und den Besuchern einzuheizen. Wer nicht hüpfen will, wird mitgerissen, wer nicht tanzen will, wird zur Seite gedrängt, wer nicht in endlosen Bier- und Schweißorgien untergehen will, hätte besser zuhause bleiben sollen – doch daran denkt an diesem Abend niemand. Spätestens als MC Maxim die Weisung ausgibt, sich zum Superhit Smack My Bitch Up auf den schmierig-seifig-glitschigen Boden zu knien und wenige Augenblicke später wie ein Derwisch durch die Luft zu wirbeln, sind alle Widerstände gebrochen und brechen selbst die steifsten Besucher in plötzliche Bewegungslüste aus.

Nach einer ausgiebigen Zugabe verabschieden sich die Briten von ihrem jubelnden Publikum – manch einer hätte zwar noch gerne das ein oder andere Extrastück gehört, doch sieht man den zufrieden-erschöpften Gesichtern an, dass gar nicht mehr Energie vorhanden gewesen wäre. Und wenn doch, bleibt am Freitag und Samstag noch ausreichend Gelegenheit, The Prodigy in Frankfurt/Main und Düsseldorf einen Besuch abzustatten.

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