Geht man nun näher an diesen Klotz heran, so entpuppt sich das roh Behauene als Kapitellstumpf, um den herum noch gut sichtbar drei Palmblätter ihre Spitzen leicht einrollen, wie im richtigen Leben, den Stein zur Natur machend. Allerdings ist es eine stilisierte Natur, denn verfolgt man die sich verdünnenden Blätter nach unten, sieht man, daß diese durch Seilschnüre zusammengebunden sind – steinerne Schnüre natürlich – , so daß die Form der sich nach oben erweiternden Säule aus Palmblättern tatsächlich die Folge davon ist, wenn, wie bei einem Blumenstrauß ,sich die Blätter und Blüten nach oben öffnen.
Und Sahure? Mag sein, daß unser Zugang zu diesem Pharao ein ungewöhnlicher ist, aber er verlief genauso über diesen Klotz. Der nun also „Kapitell einer Palmblattsäule“ genannte Granit mit einer Höhe von 2 Metern und dem Durchmesser von 148 Zentimetern, war Teil einer Säule in der Pyramidenanlage des Pharao Sahure, die von ihm und für ihn nach ganz bestimmten Plänen angelegt war, die für das Alte Reich neuartig waren. Dazu noch mehr. Unsere Säule besaß insgesamt 6, 3 Meter Höhe und war aus einem Stück gearbeitet. Die Säule selbst stellt den Stamm einer Dattelpalme dar, über der sich neun stilisierte Palmblätter mit der charakteristischen Mittelrippe als 1,40 Meter hohes Kapitell erheben und vom 30 Zentimeter hohen Abakus abgeschlossen werden.
Insgesamt 16 solcher Säulen standen im Säulenhof des Pyramidentempels des Sahure – stellen Sie sich die Wucht der so fein gestalteten Granitsäulen vor und nehmen sie zum Maßstab für die Monumentalität der gesamten Anlage – und als 1907/08 durch die Deutsche Orientgesellschaft unter Leitung Ludwig Borchardts der Pyramidenbezirk freigelegt wurden, lagen noch elf der Säulen so am Boden, als seien sie soeben zusammengestürzt, weit über 4000 Jahre nach ihrer Fertigung! Daß man diese Verbindung im eigenen Kopf schafft, verdankt sich dem Modell der Ausgrabungsstätte, wie es 1910 in Borchardts Auftrag von den Gebrüdern Stegmann in Berlin aus Holz, Gips, Sand und Pappe im Maßstab 1:75 hergestellt wurde, und wo in Frankfurt sich nun die beiden Teile wiedervereinen: das Modell des Pyramidentempels aus dem Ägyptischen Museum Berlin und das des Talempels des Sahure aus dem Metropolitan Museum New York.
Allein die Sammlungsgeschichte der nun in Frankfurt aus aller Welt – Paris, München, Berlin, New York, Kairo – zusammengeführten Stücke der Regierungszeit des Sahure (und davor und danach) ist ein Abbild des 19. Jahrhunderts! So wurden die Funde zwischen Ägypten und Deutschland geteilt und das Modell der Doppelanlage des Sahure wurde gleich viermal erstellt und ging nach Berlin, Leipzig, Kairo und New York. Dort mußte man sich jetzt das des Taltempels leihen, weil die beiden Stücke in Deutschland im Zweiten Weltkrieg verloren gingen. Der Pyramidenkomplex gibt die axiale Ausrichtung wieder, die Grundlage für die Anlage, wie die innere Gestaltung der Räume ist.
Das ist das Äußere. Lebendig wird die Anlage und das, was von der Zeit des Sahure übrigblieb und hier ausgestellt ist, wenn man erfährt, wozu sie diente. Die Leiche des Pharao – der immer beides war: Gott und Mensch, also ideell zwei Körper besaß, wie später wieder die Könige im Hohen Mittelalter – , wurde über einen Nilkanal in den Taltempel gebracht. Der öffentlich einsehbare und prächtig geschmückte Taltempel selbst war Ort des Zusammentreffens des vergöttlichten Herrschers mit anderen Göttern, um dort Feste zu feiern. Wie nun die Totenbestattung genau geschah, wird durch immer neue Papyrifunde nicht eindeutiger. Auf jeden Fall gibt es den Aufweg zwischen beiden Anlagen und die sogenannte Scheintür ist dann die Grenze zwischen dem Reich der Toten dahinter in der eigentlichen Pyramide und dem Reich der Lebenden bis zu ihr. Fortsetzung folgt.
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Ausstellung: bis 28. November 2010
Katalog: „Sahure. Tod und Leben eines großen Pharao, hrsg. von Vinzenz Brinkmann, Hirmer Verlag 2010, München
Der Katalog im Format eines doppelten Ziegelsteins ist der exorbitanten Ausstellung adäquat. Es war anläßlich der Ausstellung so viel wissenschaftlich zu erforschen, daß in den Katalogbeiträgen die dazu auf interessiertes Laienniveau hin formulierten Erkenntnisse viele Aufschlüsse über diese nun vor über viertausend Jahre alten bearbeiteten Steine geben, so daß wir beim Lesen glauben, das Alte Reich vor uns zu sehen und ein bißchen mehr zu wissen über das Leben der Leute, aber vor allem über ihre Gedanken und Einschätzungen der Welt, der Götter und Menschen. Gleichzeitig wird ausführlich die von Ludwig Borchardt ausgegrabene Pyramidenanlage des Pharao Sahure in Abusir, die in der Ausstellung als Modell steht, ausführlich beschrieben, von der Entdeckung bis zu den Funden bis heute. Entscheidend aber sind die Hinweise auf die ägyptische ’Ideologie`, die erst eine Einschätzung der Funde hinsichtlich der Bedeutung für die Ägypter der damaligen Zeit möglich machen. Der Katalog ist insgesamt auch für diejenigen, die die Ausstellung bis November in Frankfurt nicht sehen können, als ’Ersatz` geeignet. Immer auch zum Weiterschenken.
Internet: www.liebieghaus.de