Hüben und drüben der Mauer – Serie: „Byzanz. Pracht und Alltag“ ist eingezogen in die Bundeskunsthalle in Bonn (Teil 1/3)

Reich Justinians I, 560 n. Chr., Kartenanimation der Grenzverläufe des byzantinischen Reiches

Auch dies ein guter Grund, eine solche mit rund 600 Objekten überdimensionierte Ausstellung, die nur in Bonn zu sehen ist!!, hinzuklotzen, die – das sagen wir ganz offen – jedem etwas gibt, denn Prächtiges gibt es genug. Ob die Objekte allerdings die ideengeschichtliche und die geschichtliche Dimension dieses spätantiken Reiches überhaupt repräsentieren können, ist eine Grundsatzfrage an Ausstellungen, die im besten Sinne kulturgeschichtliche Ausstellungen sind, wobei sich die Kunst genauso wieder finden muß wie die Geschichte. An Letzterer hapert es, sie war auch nicht intendiert, wenn man in einem Rundumschlag die Kostbarkeiten wie auch den Alltag vorstellen will, dies noch in der Breite dieses Riesenreiches, aber den Schwerpunkt nicht auf seine Geschichtlichkeit, seine Entwicklung, den Prozeß des Entstehen und sein Verenden legt. Was also gibt es zu sehen?

Erst einmal eine hochinteressante Landkarte von Europa und Kleinasien auf schräger Fläche, vor die man sich nur hinstellen muß und schon leuchten zu wesentlichen geschichtlichen Daten wie 560 (Justinian 527-565), 717/18 arabische Belagerung, 1025 Konsolidierung, 1204 nur noch Pergamon und Ephesos, kurzes Aufflammen der territorialen Ausdehnung, die byzantinischen Flächen rot auf. Daß nach dem Lateinischen Kaisertum, das von 1204 – als die Kreuzfahrer unter der Leitung des venezianischen Dogen auf dem Weg nach Jerusalem in der christlichen Bruderstadt Byzanz einfielen, diese plünderten und unermeßliche Schätze entführten, von denen sich viele in Venedig wiederfinden, die meisten verloren sind – bis 1261 währte, Byzanz unbedeutend war, das weiß man, daß aber auch nach der Rückgewinnung und sogenannten byzantinischen Renaissance unter Michael Palaiologos dieser Staat so klein war und immer kleiner wurde, das sieht man optisch auf dieser Karte deutlicher als es einem Worte sagen. Erschütternd geradezu, was aus der größten Ausdehnung unter Justinian, der als letzter Ostrom und Westrom vereinte und den gesamten Mittelmeerraum als byzantinisch auswies, geworden war. Da braucht es eigentlich keine Erklärungen mehr, warum dieser dezimierte und ausgeblutete Staat Opfer der siegeswilligen und auf Zukunft setzenden Osmanen wurde, die mit der Landgewinnung ihren Gott Allah transportierten.

Im ersten Teil der Ausstellung, der der Gründung und dem prachtvollen Ausbaus Konstantinopels gilt, das in der Blütezeit 400 000 Einwohner hatte, erschlagen einen fast drei Mosaikfragmente aus dem Kaiserpalast, die insgesamt eine Fläche von 1872 Quadratmetern einnahmen. „Fragment“ nennt sich sonst ein Überbleibsel. Hier aber sind es fast vollständig erhaltene Bodenmosaike, die einen Eindruck vom guten Leben der Zeit geben, denn antik sind die Darstellungen, die uns entgegenstrahlen. Auf dem einen Mosaik von 550 mit der Breite von 2,70 m und Höhe von 1,36 m bewegen sich noch die Blätter des Lorbeerbaumes (?) sanft, vor dem sich ein Dromedar mit zwei aufsitzenden Kindern und einem Vogel auf der Hand des Buben – wie Max und Moritz – von einem tunikagerüsteten Treiber führen läßt. Das ist eine allerliebste Darstellung antiken Charakters und das Gegenteil von starr und ritualisiert.

Schon zuvor haben uns drei Köpfe auf das, was Kaisertum war, vorbereitet. Mit dem Porträt Konstantins I. beginnt es. Der läßt sich zuerst einmal den Kaiserpalast und ein Hippodrom bauen (in der Ausstellung später ist eines als raumfüllendes Modell zu sehen) und befestigt die Stadt. Gemäß der römischen Tradition bezeichnet er sich als Gott – nicht oft genug kann man wiederholen, daß Konstantin zwar 313 das Toleranzedikt von Mailand erließ, Christen im Imperium Romanum also nicht mehr per se verfolgt wurden, daß aber erst sein Nachfolger Theodosius I. das Christentum 380 als Staatsreligion einführte – und ließ sich als Sol invictus, als unbesiegbarer Sonnengott auf dem neu errichteten Forum auf einer mächtigen Porphyrsäule anbeten.

Erst Justinian wird der Kaiser sein, der die Stadt mit 32 Kirchen, drei Spitälern und dreizehn profanen Bauten zu der Metropole ausbaute, die sie bis heute ist. Sein Kopf thront als dritter neben Konstantin und Theodosius II. zu Ausstellungsanfang und zeigt ausgesprochen individuelle Züge, die ein Merkmal antiker Bildhauerkunst war, wie es gleichzeitig auch die Generalisierung und Typisierung gab. Auch die Hagia Sophia ist sein Auftragswerk und diese ist in Bonn nun ausgesprochen fotogen präsentiert. In drei riesigen Wandbildern gelingt es, etwas von dem unendlichen Raumgefühl wiederzugeben, das einem im Original anspringt. Sehr hilfreich und ausgesprochen spannend dann die danebenstehenden Videos, die die Maßeinheiten zeigen, die dem Bau aus Kreisen und Rechtecken zugrundeliegen. Wir entnahmen dem Ablauf auch völlig verblüfft, daß unsere heutige DIN Norm, hier A 4, dem Verhältnis von 297:210 entspringt, das damals geprägt wurde. Daß der Kuppelbau gewagt war und die Hagia Sophia bis zum heutigen Bau der Peterskirche in Rom für tausend Jahre die größte Kirche blieb, das gehört eigentlich zu den Weltwundern. Fortsetzung Teil II.

Ausstellung: bis 13. Juni 2010

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Katalog: Byzanz. Pracht und Alltag, Hirmer Verlag 2010

Falko Daim, Kurator der Ausstellung und Generaldirektor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, geht davon aus, daß im Gegensatz zum zerfallenden Römischen Reich und den Barbareneinfällen in Europa und damit einem Ende der Antike, es in Byzanz eine direkte Übernahme des antiken Erbes gegeben habe, so daß bis zum Ende dieses Reiches, das mit der osmanischen Eroberung von 1453 angesetzt ist, ein Weiterleben der griechisch-römischen Welt auf nunmehr christlicher Grundlage bis zum Beginn der Neuzeit stattfand, das früh von den Karolingern und spät von der Renaissance aufgegriffen, dafür gesorgt hat, daß wir alle heute die Antike als wesentliche Grundlage der europäischen Kultur definieren. Davon ausgehend werden im Essayteil die byzantinischen Strukturen hinsichtlich Herrschaftssystem, Sozialstruktur, Kirche und Religion, Architektur, Verkehrswege, Kunst und Kunsthandwerk, Landwirtschaft und Handwerk, Sprache und Schrift sowie Literatur wie auch erläutert. Im Objektteil werden 518 Ausstellungsstücke benannt und kurz erläutert, meist auch im Bild gezeigt. Auch die in der Ausstellung gezeigten byzantinischen Satellitenorte außerhalb Konstantinopels werden angemessen berücksichtigt.

Dem Katalog liegt ein Blatt des Ikonen-Museums Recklinghausen bei, „das weltweit bedeutendste Museum ostkirchlicher Kunst außerhalb orthodoxer Länder“. Warum nicht das zweite in Deutschland existierende Ikonen-Museum, das in Frankfurt am Main, ebenfalls vorgestellt wird, haben wir nicht verstanden.

Begleitheft: Bertha in Byzanz. Ein Bilderbuch für Kinder ab 8 Jahre zur Ausstellung von Mai Ansgar und Friedrich Wilke. Natürlich schüttelt es ’richtige` Historiker, wenn Sie die Gedanken der Bertha lesen, mit denen sie den Gesandten Paulos Magisters aus Konstantinopel bedachte, als er im Namen des Kaisers Manuel um die Hand der bayerischen Prinzessin anhielt, die ihm gewährt wurde. Was in der Ausstellung sich in einem Extra-Kinderraum tut, kann hier in den Texten nachempfunden werden. Kindgemäß wird erzählt, wie das ist, wenn ein Mädchen in die Ferne zieht, dabei die Katze mitnimmt, ihr der Mann dann gottseidank gefällt – „Manuel war fesch, gescheit und lustig! -, sie sich als Kaiserin dann Irene nennen muß. Wenn Kinder sich hier wohlfühlen und das Begleitheft haben wollen, ist es gut.

Katalog einer Vorgängerausstellung: Rom und die Barbaren. Europa zur Zeit der Völkerwanderung, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn vom 22.August bis 7. Dezember 2008

Sehr aufschlußreich ist es, angesichts der dynamischen Entwicklung von Byzanz zu den Zeiten, zu denen im südlichen Europa das Licht ausging, sich den Katalog der damaligen Ausstellung noch einmal vorzunehmen, der zeigt, an wievielen Stellen das alte Reich, also das Römische Reich von Rom, desolat geworden war und wieso aus gutem Grund die Byzantiner sich nicht nur Römisches Reich nannten, sondern ihre Hauptstadt Ostrom. Die Benennung als Byzanz und Byzantiner ist eine Erfindung des 16. Jahrhunderts und geht auf den kleinen Ort Byzantion zurück, den Konstantin 324 nach Chr. vorfand und zur Weltmetropole ausbaute.

Literatur:

Georg Ostrogorsky, Geschichte des Byzantinischen Staates, C. H. Beck 1963

Der klassische Ausgangspunkt für modernere Geschichtsforschung.

Mischa Meier, Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches, Klett-Cotta 2009

Erstmalige ausführliche Vorstellung dieses Kaisers, dem der Autor zuschreibt, daß Ostrom das aufgefangen habe, was im Westen kaputtging.

Johannes Fried, Das Mittelalter. Geschichte und Kultur, C.H. Beck 2008

Ein Beispiel dafür, daß jede gute Geschichte des Mittelalters – und dies ist eine! – selbstverständlich die Bezüge und Wechselwirkungen von Byzanz zu Europa mitthematisiert.

Internet: www.bundeskunsthalle.de

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