Vom Kiesel zur Herrscherbüste – Afrikanische Helden-Bildnisse, ein Katalog

© Verlag Scheidegger & Spiess

„Helden Afrikas“ führt in die acht relevanten Kunstregionen Zentral- und Westafrikas: Akan, das IFE-Königreich, das Königreich Benin, Grasland, Kuba, Hemba, Luluwa und Chokwe. Die ausschließlich skulpturalen Werke aus gebranntem Ton oder Gelbguss und die Schnitzereien aus Elfenbein oder Holz werden nach ihren Herkunftsregionen geordnet vorgestellt.

Bemerkenswert ist der einführende Essay „Grösse bewahren“ der Herausgeberin und Kuratorin für die Kunst Afrikas, Ozeaniens und Amerikas am Metropolitan Museum of Art, New York, Alisa LaGamma, in welchem die Geschichte afrikanischer Kunst im Zusammenhang mit europäischer Bildtradition betrachtet wird. Ein zweieinhalb Millionen Jahre alte Jaspis-Kiesel mit menschlichem Antlitz aus der Limpopo-Gegend in Südafrika und die seit 12 000 Jahren nachgewiesene Malerei Afrikas sind Zeugnisse einer ungebrochenen Tradition. Vor 3000 Jahren trafen eingewanderte Bantu -Völker am Kongo-Fluss mit den Wildbeutern zusammen, die einst die einzigen Bewohner des südlichen Afrikas waren und auf ihren Felsmalereien Tiere, Figuren und geometrische Motive darstellten. Die Bantu-Völker brachten das Eisenhandwerk und ihre Verbindungen zum Fernhandel mit, sie führten eine bildhauerische Sprache ein und entwickelten diese „nicht zuletzt mit Abbildern von Notablen weiter: Die körperliche Präsenz der Figuren diente der Erinnerung an herausragende Mitglieder der Gesellschaft.“ Wie in der griechischen und römischen Plastik idealisierten auch afrikanische Künstler ihre Modelle, welche nur im Kontext identifizierbar waren. Die Yoruba stellten bereits im 12. Jahrhundert in der Stadt Ife im südlichen Nigeria Bildnisse aus fein gearbeitetem gebranntem Ton her. Diesen Terrakotten ist ein umfassendes Kapitel des Kataloges gewidmet, das die historischen und religiösen Zusammenhänge ausführlich analysiert. Die außerordentliche Qualität dieser rituell verwendeten Köpfe animierte noch 1910 einen deutschen Ethnologen zu dem abenteuerlichen Urteil, er habe an der westafrikanischen Küste die Reste einer griechischen Kolonie aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. vorgefunden! Sieben Terrakotta-Köpfe brachte jener Leo Frobenius mit sich zurück nach Berlin, wo sie sich bis heute im Ethnologischen Museum befinden.

Außer den Führerfiguren von Benin, wo über ein halbes Jahrtausend hinweg höfische Porträts geschaffen wurden, untersucht der reich bebilderte Band den spezifisch historischen Entstehungskontext der Bildwerke aus weiteren Regionen. Die ästhetischen Konventionen und Rituale sind unterschiedlich, „dennoch schwingen gewisse Imperative in allen Kulturen mit, darunter die Vorstellung, das Abbild sei eine physische Fortführung des porträtierten Menschen.“ Die Werke waren eng mit der abgebildeten Person verbunden, dienten als ihre Stellvertreter und wurden auf Gedenkaltären aufgestellt oder in Schatzkammern gelagert. Belegen auch kaum schriftliche Dokumente die Identität der längst vergessenen Persönlichkeiten, ihre Überlieferung und Präsenz beweist die Stellung dieser Menschen in ihrer untergegangenen Kultur und ermöglicht uns die Wertschätzung jener begabten, zeitlosen Künstler.

Fazit: hervorragend! exzellent recherchiert, gut lesbar, üppig illustriert.

Alisa LaGamma, Helden Afrikas, Ein neuer Blick auf die Kunst, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Rietberg Zürich, 304 Seiten, Verlag Scheidegger & Spiess AG, Zürich, 2012, 54,- €

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