Vom Bett auf die Piste – Die Trois Vallées und wie der Skitourismus alte Dörfer zu neuem Leben erweckte

© Office de Tourisme in Les Menuires
Die Beiden verliebten sich ineinander und heirateten. Das war vor bald 20 Jahren. Mittlerweile hat das Paar drei Kinder. Als gelernter Maurer hat Gerard seiner Familie oberhalb von Moí»tiers ein geräumiges Haus gebaut. Und sein Job bei der Bergbahngesellschaft lässt ihm Zeit, hin und wieder Gäste durch das riesige Skigebiet zu begleiten, das mit seinen 200 Liftanlagen, die mehr als 600 Pistenkilometer erschließen, das größte zusammenhängende Skigebiet der Welt bildet. Tiggeler weiß nicht nur, welche Abfahrten zu welcher Tageszeit den meisten Spaß machen; er kennt auch die viele Varianten abseits der markierten Pisten, die das Herz jedes Freeriders höher schlagen lassen. Zahlreiche Pisten beginnen unmittelbar vor der Haustür, so dass man quasi aus dem Bett direkt auf die Skipiste wechseln kann. Abends kehrt man auf dem selben Weg zurück; das Auto bleibt während der Zeit des Urlaubs stehen. Während die Stationen Méribel und Les Menuires jedermans Ansprüche erfüllen, gilt Courchevel mit seinen drei unterschiedlich hoch gelegenen Ansiedlungen als Skisttation der „Reichen und Schönen“. Val Thorens am Talenende  hingegen hat sich zum Dorado für Snowboarder entwickelt. Jedes Jahr im Dezember lockt der auf 2300 m liegende, höchste Skiort Europas mehr als 1500 Snowboarder aus der ganzen Welt zur legendären Boarderweek mit verschiedenen Wettbewerben, Testaktionen bekannter Snowboardfirmen, Konzerten namhafter Top-Bands und Partys ohne Ende. Jeden Winter kommen einige tausend Touristen in die drei Täler, und die Zahl steigt weiter an.
Dies konnte sich Mitte der 1950-er Jahre niemand vorstellen. Die Menschen in den ärmlichen Dörfern im Herzen der französischen Alpen im Département Savoyen kannten nur das harte, entbehrungsreiche Leben als Bauern. Landwirtschaft und Viehzucht bestimmten den Tagesablauf. Auch wenn auf Initiative englischer Tourismuspioniere bereits in den 30er Jahren in Méribel der erste Lift gebaut worden war, verließen immer mehr Bewohner schweren Herzens ihre karge Heimat, um in weiter entfernt liegenden Städten ihr Glück zu suchen. Auf die Idee, es mit dem Tourismus zu versuchen, kamen sie nicht.
© Office de Tourisme in Les MenuiresDer Wintertourismus kam erst in den 60er Jahre so richtig in Schwung; er bot den Einheimischen völlig neue Arbeitsmöglichkeiten. 1966 ging mit Les Menuires die erste komplett auf dem Reißbrett entworfene Station in Betrieb. Anfang der 1970er Jahre folgte Val Thorens. Die auf drei Etagen liegende Station Courchevel entwickelte sich mehr und mehr zum bevorzugten Ziel Prominenter aus Politik und Wirtschaft, aus Sport, Musik und Film. Und Méribel, wo alles begann, liegt heute mittendrin im Herzen der drei Täler. Neben den Appartementhäusern entstanden nach und nach auch immer anspruchsvollere Hotels, wie das Chalet-Hotel Kaya in Les Menuires (www.hotel-kaya.com) mit seinen großzügig gestalteten Zimmern und Suiten sowie erstklassige Restaurants wie das „La Bouitte“ am Rande von St. Martin de Belleville, wo René Meilleur mit seinem Sohn Maxime in einem Savoyer Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert fantasiereiche Gourmetgerichte servieren, die vom Guide Michelin mit zwei Sternen belohnt wurden. 
In den großen Stationen wird alles geboten. Wer sich tagsüber auf den Pisten nicht genügend ausgetobt hat, kann in vielen Kneipen, Bars und Diskos die Nacht zum Tag machen. Ruhesuchende sind in den kleinen Dörfern besser aufgehoben. Zum Beispiel in St. Martin de Belleville, das erst Mitte der 1980-er Jahre durch einen Lift an die Drei Täler angeschlossen wurde. Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion der Einheimischen. Sie fragten sich: „Was sollen wir mit einem Skilift? Was wird dann aus unseren Almen?“ Eine Liftverbindung ihres Dorfs mit dem allmählich wachsenden Skigebiet der Trois Vallées konnten sich die meisten nicht vorstellen. Doch heute sind sich alle einig, der Bau der Sesselbahn auf die Tougnète, durch die der Anschluss an das mittlerweile enorm gewachsene Pistenrevier der Trois Vallées herstellt wurde, war die richtige Entscheidung. Martin de Belleville mit seinen 1000 Einwohnern gäbe es wohl nicht mehr, wenn der moderne Skitourismus vor rund 30 Jahren nicht Einzug gehalten und für viele neue Arbeitsplätze gesorgt hätte. 
© Office de Tourisme in Les MenuiresWie überall in den Trois Vallées arbeiten heute rund 75 Prozent der Einwohner von St. Martin de Belleville im Tourismus. So wie Bertrand Olive, Chef des Hotels „Saint Martin“ unmittelbar an der Talstation, von der inzwischen moderne Umlauf-Gondeln die Skifahrer auf den 2430 m hohen Tougnète transportieren. Über diese Bahn sind nun alle froh. Vor allem die jungen Leute, die wegen eines guten Jobs nicht mehr wegziehen müssen, sondern bei der Bergbahngesellschaft, in der Hotellerie oder in der Skischule arbeiten. Viele, die bereits weggezogen waren, kehrten zurück, wie Sandra Favre, eine der 180 Skiguides der Skischule St. Martin/Les Menuires. Die junge, sportliche Dame war bis zu ihrem 15 Lebensjahr Rennläuferin; dann hatte sie vom harten Training die Nase voll. „Ich wollte etwas lernen, ging auf die Handelsschule in Chambery und dann nach Düsseldorf, wo ich für eine Ferienhausvermittlung arbeitete,“ erklärt sie in gutem Deutsch, was in den französischen Skistationen nicht selbstverständlich ist. Die Verständigung mit ihr ist eine Freude, aber auch das Skifahren. Wer mit der 36-jährigen zwischen den herausragenden Skibergen La Masse, Mont de La Chambre, Mont du Vallon und Saulire unterwegs ist, lernt die besten Abfahrten und Varianten der Trois Vallées kennen.
Mehr als 10 000 Höhenmeter schafft sie leicht mit guten Skifahren an einem Tag, was sich an den Computern der Talstationen nachprüfen lässt. Natürlich muss man flott unterwegs sein, aber hilfreich sind auch die modernen Hochgeschwindigkeits-Sesselbahnen und Umlaufgondeln ohne Wartezeiten. Guter Service ist den Bergbahngesellschaften wichtig: Einen großen Teil des erwirtschafteten Geldes stecken sie jedes Jahr in die Modernisierung ihrer Anlagen.
© Foto: Henno Heintz, 2014Am späten Nachmittag kehrt Sandra mit ihren Gästen auf den weiten Südhängen der Tougnète zurück nach St. Martin. Besonders gern zeigt sie ihren Begleitern dabei die Genuss-Abfahrt "Jerusalème". „Niemand weiß, woher der Name kommt,“ meint sie. „Aber ich finde es herrlich, am Ende eines schönen Skitags auf diesen breiten Hängen genussvoll hinunterzuschwingen bis an den Rand meines kleinen Dorfs.“ Sandra ist glücklich in St. Martin de Belleville, das es trotz vieler Neubauten verstanden hat, den alten Dorfcharakter zu bewahren. Im Gegensatz zu den Skistationen mit ihren mächtigen Appartementhäusern ist es ein Vergnügen, nach einem gelungenen Skitag durch St. Martin zu bummeln, das Heimatmuseums zu besuchen, das anschaulich die letzten 150 Jahre der Region darstellt, anschließend in Sandras Lieblingslokal, der kleinen Bar “Pourquoi Pas“ oder im Café „Éterlou“, einen Espresso zu schlürfen und abends im behaglichen Restaurants „Le Montagnard“ ein Fondue Savoyarde oder einer Reblochonade, eine spezielle Raclette-Art mit dem aus dem Haute-Savoie stammenden Reblochon-Käse, zu genießen. Wer sich anschließend in einer Disco oder ähnlichen Einrichtungen die Nacht um die Ohren schlagen möchte, sucht in St. Martin vergeblich danach.

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Weitere Informationen: Association Ski France Montagnes”¨Alpespace,24, voie Saint Exupéry, 73800 FRANCIN – ”¨France, Tel.: 0033 (0) 479 650 675”¨Fax: 0033(0) 479 723 178, Email: info@france-montagnes.com, Web: www.france-montagnes.com (es wird deutsch gesprochen)”¨

Unterstüzungshinweis:

Die Recherche wurde unterstützt vom Office de Tourisme in Les Menuires, Frankreich, und vom Französischen Fremdenverkehrsamt Atout France in Frankfurt am Main, Deutschland.

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