Trumps “America First” – Bittere Wahrheiten für die Globalisierungs- und Klassentheorie

Donald Trump
Donald Trump, Washington DC, 2017-01-20, zeigt der Welt die Faust. © The White House

Berlin, Deutschland (Weltexpress). „America First“ – Die Wende hin zu einer stärker nationalistischen Politik ist spätestens seit dem Amtsantritt von Donald Trump offenkundig geworden. Längst vorher hatte sie sich angedeutet: Der zunehmende Protektionismus seit der großen Krise von 2008/09, der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, die wachsenden internationalen Spannungen, schwere Zerwürfnisse innerhalb der EU und schließlich der Brexit-Entscheid mit der angestrebten Rückverlagerung von Souveränitätsrechten hin zum Nationalstaat sind Gegentendenzen zur Globalisierung. Die eigene Nation mit ihren besonderen Werten und nicht mehr die Globalisierung mit der Vorstellung einer einheitlichen Wertegemeinschaft sollen gefördert werden. „We make America great again“ lautet das Gegenkonzept. Das Pendel ist in Richtung Renationalisierung zurückgeschlagen.

Welche Kräfte stecken hinter diesem inzwischen kraftvoll, leidenschaftlich und rücksichtslos vorgetragenen Nationalismus und welche theoretischen Konsequenzen ergeben sich aus dieser Veränderung?

Wenn man die Vorstellung verwirft, die verstärkt nationalistisch ausgelegte Politik sei eine bloße Folge besonderer Charaktereigenschaften politischer Persönlichkeiten, dann müssen die hinter deren Vorstellungen und Handlungen steckenden gesellschaftlichen Triebkräfte analysiert werden. Im ersten Teil thematisiere ich die ökonomischen Kräfte, die sich Trump als treibendes Motiv notwendig aufgedrängt haben und nun seine Politik bestimmen. Der zweite Teil fragt nach der Bedeutung von Nationalität und Renationalisierung für die  Charakterisierung der herrschenden ökonomischen Eliten, die hier unter der Bezeichnung „Bourgeoisie” zusammengefasst werden. In diesem Zusammenhang gehe ich auf die These von Michael Hartmann ein, wonach sich die Bourgeoisie keineswegs auf dem Weg zu einer globalen Klasse befinden würde, sondern eine nationale Klasse geblieben sei. Zum Schluss sollen einige politische Konsequenzen gezogen werden.

I. Voraussetzungen der nationalistischen Wende

Einen nicht unwichtigen Hinweis auf die Triebkräfte der nationalistischen Wende liefert die soziale Herkunft des neuen US-Präsidenten. Donald Trump kommt nicht aus dem Mittelstand. Auch ist er von der sozialdemokratischen Vorstellung weit entfernt, aus traditionellen Gründen dem abgehängten Prekariat oder dem abstiegsgefährdeten Mittelstand verbal verpflichtet zu sein. Es ist unwahrscheinlich, dass solche gesellschaftliche Gruppen ihn zum Nationalismus drängen.

Trump ist Großunternehmer, ein Milliardär und gehört mit Leib und Seele zur Bourgeoisie. In diesem Milieu bewegt er sich, hier machte er seine Geschäfte. Sein heutiges Denken und Handeln ist vom Geschäftsleben geprägt. Dieser Stellung und diesem Geist entsprechend richtete er das „wohlhabendste Kabinett Amerikas” ein.[1] Das Kapital regiert und zwar das große Kapital; es regiert offen und hat in der Person Trump eine angemessene Personifikation gefunden.

Wenn Trump in seiner Amtseinführungsrede verkündet, „Vom heutigen Tag an wird es nur noch ‚Amerika zuerst‘ heißen, ‚Amerika zuerst‘”, dann spiegeln sich darin Denkweisen der US-Bourgeoisie, die sich offensichtlich genötigt sieht, das Nationalinteresse in der Sprache ihres neuen Repräsentanten stärker hervorzuheben.

Es wäre vermessen, in der von Trump verkündeten nationalistischen Wende ein spontanes, bloß rhetorisches populistisches Manöver zu sehen. Wie der US-Politologe Thomas Wright schon vor dem Wahlsieg berichtete, ist Trumps nationalistische Weltsicht seit Jahrzehnten im Wesentlichen gleich geblieben.[2] Sie entspringt seinem Geschäftsmilieu und man ist geneigt, darin zugleich die Weltsicht vorwiegender Teile der US-Bourgeoisie zu erkennen. Mit dem politischen Aufstieg Trumps zum US-Präsidenten hat sich dieser ungeschminkte Nationalismus durchgesetzt.

Dass sich diese nationalistische Politik volksnah präsentiert, die ganz im Dienste des US-Arbeiters, der bedrohten Mittelschicht etc. zu stehen scheint, ist dabei nichts Besonderes. Jede Regierung verkauft ihre Politik in dieser Weise, da die Demokratie zumindest am Wahltag auf Zustimmung angewiesen ist. Aber selbst ein Diktator, der keine Wahlen zu fürchten hat, muss seine Politik so vermarkten, dass sie scheinbar den Interessen der breiten Masse entspricht. Allein auf repressive Gewalt zu setzen wäre zu kostspielig, zu riskant und längerfristig kaum erfolgreich. Das wesentliche Element der Politik besteht eben darin, besondere Interessen, in diesem Fall die Interessen der Bourgeoisie, als ein allgemeines Interesse, als das Interesse aller auszuweisen.[3]

Privatökonomie und Nationalökonomie

Als Unternehmer war Trump in mehreren Branchen, darunter im Bausektor tätig. Dort machte er seine Erfahrungen. Seine Privatökonomie dient nun als Vorbild bei der Gestaltung der großen US-Ökonomie. Beide Ökonomien betrachtet er ganz vom kommerziellen Standpunkt, vom Standpunkt kapitalistischer Zweckmäßigkeit. Die Nationalökonomie der USA behandelt er praktisch wie ein großes Kapital, das ebenso erfolgreich in der Konkurrenz operieren soll wie seine eigene Privatökonomie. Nicht alles mag da vernünftig sein, was ihm vorschwebt. Seine Analogie von Mikro- und Makroökonomie öffnet jedoch den Blick für solche Merkmale der Nationalökonomie, die in globalisierungstheoretischen Erörterungen ausgeblendet werden.

Zunächst einmal lässt Trump keinen Zweifel aufkommen, dass das Kapital seines Landes, das US-Kapital, geschützt und gefördert werden soll gegenüber der auswärtigen Konkurrenz. Er behandelt also das Kapital seines Landes als eine Einheit, als ein großes Kapital, im Unterschied zu den Kapitalen, die ihren Standort im Ausland haben. Nicht die westliche Welt mit ihren vielen Einzelkapitalen soll gefördert werden, sondern einzig und allein die amerikanische Nationalökonomie als die Summe der Kapitale, die in den USA ihr Geschäft betreiben. Wie Trump uns verrät, gehören dazu auch BMW, Toyota etc., solange solche ausländischen Konzerne ihren Standort in den USA errichten und nicht etwa von Mexiko aus den amerikanischen Markt bedienen. „America First” bezieht sich also auf die Nationalökonomie der USA. Als Einzelkapitalist dachte Trump natürlich auch zuerst an seine Ökonomie. Er musste die Effizienz steigern, um sich in der Konkurrenz besser zu behaupten. Die Parallelen sind offensichtlich.

Das große Kapital, die US-Ökonomie, sagt uns Trump, soll wieder mehr exportieren als importieren; es soll zu einem höheren Wert ans Ausland verkaufen, als es von dort Warenwerte bezieht. Als Manager seiner Privatökonomie spielte dieser Punkt in abgewandelter Form ebenfalls eine zentrale Rolle: Der Wert der verkauften Waren musste höher liegen als der Wert der gekauften Waren. So entstand sein Profit. Die Mehrung seines Reichtums lag in dieser Differenz begründet. Nun meint Trump, den Reichtum der großen Ökonomie befördern zu können, indem er Exporte begünstigt und Importe beschränkt. Hier liegt der Kern seiner Politik.

Trump spricht von „Ausbeutung der Vereinigten Staaten” und meint damit, andere Länder, darunter Deutschland, hätten einen Handelsbilanzüberschuss auf Kosten der USA erzielt. Handelsbilanzdefizite würden die US-Wirtschaft zwangsläufig nach unten bringen. Trump interpretiert die globale Konkurrenz als einen Wirtschaftskrieg zwischen Nationen, in dem des einen Gewinns des anderen Verlust ist. Eine solche Vorstellung ist so ziemlich das Gegenteil vom Freihandelsgedanken, der lange Zeit zumindest theoretisch – wenngleich nicht immer praktisch – hoch gehalten worden ist, weil man darin einen allseitigen Vorteil sah.

Trumps Wirtschaftsnationalismus

Indem Trump die USA als Ausbeutungsopfer seiner Handelspartner darstellt, plädiert er für eine wirtschaftspolitische Wende ganz zugunsten seines Landes. „Seit vielen Jahrzehnten haben wir die Industrien anderer Länder reich gemacht zu Lasten unserer Industrien.” Eine Fabrik nach der anderen sei geschlossen worden und habe die USA verlassen. Der Wohlstand der Mittelklasse sei aufgezehrt worden, um ihn über die ganze Welt zu verteilen. Vom heutigen Tag an gelte nur noch „America zuerst! …Wir müssen unsere Grenzen schützen vor den verheerenden Auswirkungen durch andere Länder, die unsere Produkte nachmachen, unsere Unternehmen klauen und unsere Arbeitsplätze zerstören.”  Der Schutz werde zu großem Wohlstand und großer Stärke führen. „Buy American, hire American” (Kauf amerikanisch, stell Amerikaner ein).[4] In seiner ersten Rede vor dem US-Kongress konkretisierte Trump, dass die USA seit dem Eintritt Chinas in die WTO 60.000 Fabriken verloren habe. Seit der Geltung der Nafta 1994 sei jeder vierte Industriearbeitsplatz weggefallen.[5] Trumps Wirtschaftsnationalismus besteht also einerseits in einem Protektionismus, der Warenimporte u.a. durch Schutzzölle vor allem aus den Ländern erschweren soll, die bislang hohe Handelsbilanzüberschüsse gegenüber den USA erzielten, und andererseits in einer Förderung der US-Industrie, um durch eigene effektivere Produktion die Importkonkurrenz zu begrenzen und die Exporte zu stärken.

Ein solcher Wirtschaftsnationalismus macht natürlich nur Sinn, wenn das Wohl der US-Ökonomie abgetrennt und in einen Gegensatz gebracht wird zu den auswärtigen Ökonomien. Wenn Trump uns sagt, dass die US-Industrie durch Schließung von Fabriken und durch Verlagerung der Produktion ins Ausland deutlich geschwächt worden sei, kann er sich wiederum auf seine praktischen Erfahrungen stützen: Es genügte nicht, dass er seine Betriebe gut ausstatten und organisieren ließ. Um konkurrenzfähig zu bleiben, benötigte er ein gut funktionierendes gesellschaftliches Netzwerk von Zulieferern und Abnehmern, verbunden durch effiziente Verkehrs- und Kommunikationswege. Die Produktivität seiner Betriebe war zugleich eine Funktion von Clusterbildungen. Diese Erfahrung lehrt ihn, eine aktive Industriepolitik zu betreiben.

Auch andere Regierungen tun Ähnliches, indem sie mit allen Mitteln versuchen, die notwendigen Wertschöpfungsketten zu ergänzen, zu fördern und im Krisenfall zu erhalten. Als die Krise von 2008/09 die Wertschöpfungsketten in der Autoindustrie zu zerreißen drohte, setzte z. B. die deutsche Regierung große Mittel ein, um diesen tief ineinander verschachtelten und kunstvoll aufgebauten Industriesektor zu schützen. Kein notwendiger Mosaikstein in diesem Industriesystem durfte verloren gehen. Beispielsweise wurde die Firma Opel, Tochter von General Motors, wegen der produktionstechnischen Verzahnungen gerettet, und selbst unmittelbare Konkurrenten stimmten der Rettung zu. „Wenn ein Autohersteller ausfällt”, meinte der damalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG Winterkorn, „haben Bosch, Mahle, Conti und andere Lieferanten ein Problem. Ihre Fabriken sind nicht ausgelastet, dann wird es auch für VW schwieriger, gute Einkaufspreise auszuhandeln. Lustig ist das für keinen.”[6] Durch eine aktive Standortpolitik sollten negative  Auswirkungen auf das Netzwerk der Hersteller und Zulieferer in Deutschland – in der Fachsprache „Cluster” genannt – vermieden werden.

Trump wirft seinen Vorgängern vor, nicht verhindert zu haben, dass die US-Wirtschaft durch die Abwanderung von Industrien, durch die Verschiebung von Wertschöpfungsketten ins Ausland und durch eine unzulängliche Infrastruktur geschwächt worden ist. Sein Ziel ist die Herstellung eines produktiv arbeitenden, wettbewerbsfähigen US-Industriestandorts. Fabriken und Wirtschaftszweige, die in den USA geschlossen worden sind, sollen so weit ins Land gebracht werden, wie es für die Effizienzsteigerung der US-Wirtschaft notwendig ist. Trumps Chefberater Navarro spricht ausdrücklich davon, grenzüberschreitende Lieferketten, vor allem in der Autoindustrie, in die USA zurückzuholen, sie zu „repatriieren”.[7] Man folgt einer längst bekannten Politik zur Entwicklung und Stärkung einer Nationalökonomie, die da lautet: „Die produktive Kraft jeder einzelnen Fabrik ist umso größer, je mehr die ganze Fabrikationskraft des Landes nach allen ihren Verzweigungen ausgebildet und je inniger sie mit allen übrigen Geschäftszweigen vereint ist.”[8]

Trump mehr ein Getriebener, als ein Antreiber: Zur Brisanz der US-Zahlungsbilanz

Geht man in die jüngere Geschichte zurück, wird man finden, dass der von Trump verkündete  Wirtschaftsnationalismus aus Elementen besteht, die schon von den Vorgängern vorgebracht worden sind, wenngleich weniger nachhaltig und weniger aggressiv in der Rhetorik. Einige Aspekte seines „Buy Amercian, Hire American”-Dekret waren schon im „American Recovery and Reinvestment Act von 2009″ zum Gesetz gemacht, als es darum ging, in öffentlichen Infrastrukturprojekten möglichst viel Eisen, Stahl und Baumaterialen von US-Herstellern zu verwenden. Die alten Industrien sollten durch solche Maßnahmen gestärkt werden. Auch der von Trump vorgebrachte Vorwurf, China und Deutschland würden durch Währungsmanipulationen die Konkurrenzbeziehungen zuungunsten der USA verschieben, ist wesentlich älter. US-Finanzminister Timothy Geithner forderte im Oktober 2010 im Vorfeld des G20-Treffens in einem offenen Brief an seine „lieben Kollegen”, dass Länder mit großen Außenhandelsbilanz-Überschüssen wie China, Japan und Deutschland ihre Exporte drosseln und die Binnennachfrage stärken sollten. Die Handelsbilanz-Salden sollten 4% des Bruttoinlandsprodukts nicht übertreffen.

In den stark negativen Handelsbilanz-Salden der USA finden wir die Antwort auf die Frage, warum Trump nun mit besonderer Vehemenz den Wirtschaftsnationalismus betreibt, viel aggressiver als das seine Vorgänger taten. Er muss das tun, weil die US-Wirtschaft schon seit Anfang der 1980er Jahre ein zum Teil sehr hohes Außenhandelsbilanzdefizit aufweist, das inzwischen zu einer ernsten Gefahr für die USA geworden ist. Bislang wurden die chronischen Defizite durch Überschüsse in der Kapitalbilanz einigermaßen ausgeglichen, so dass die USA bis heute noch über genügend Devisenreserven verfügen. Jedoch kann sich das schnell ändern und die Wucht, mit der das geschehen könnte, wächst mit der wachsenden Höhe der Auslandsverschuldung, die sich in hohen Devisenreserven Chinas, Japans etc. niedergeschlagen hat.

Zwei Krisenszenarien könnten sich den Akteuren der US-Politik als ernste Gefahr aufdrängen: Erstens die Gefahr der Erpressbarkeit. Allein China besitzt Dollar-Reserven, vor allem in jederzeit handelbaren US-Wertpapieren, die höher sind als die US-Devisenreserven. China besitzt die ökonomische Möglichkeit, durch massenhaften Verkauf der Wertpapiere und durch den anschließenden Umtausch der US-Dollar in andere Währungen die USA in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben. Denn die USA könnten in einem solchen Fall die erforderlichen Devisen nicht mehr aufbringen, die verlangt würden. Sie wären finanziell erpressbar, was China bislang nicht nutzte, weil die eigenen Verluste beträchtlich wären. Aber was wäre im Krisenfall, wenn die politischen Spannungen dramatisch zunehmen?

Das zweite Krisenszenario ist nicht weniger gefährlich für die USA und wäre schon in der nächsten Überproduktionskrise möglich: Im Falle einer solchen Krise könnten ausländische Anleger geneigt sein, massenhaft US-Wertpapiere zu verkaufen, weil sie mit Kursverlusten sowohl beim Verkauf der Wertpapiere als auch mit Verlusten beim Umtausch der US-Dollar in die eigene Währung rechnen müssten. Die US-Notenbank Fed würde im Notfall mit eigenen Wertpapier-Käufen gegensteuern. Aber sie kann nur eigenes Geld, nicht aber Devisen drucken. Hier genau liegt der Engpass. Da die Anleger ihre eigene Währung wollen, würden sie massenhaft US-Dollar anbieten. Der Kurs des US-Dollars würde dramatisch fallen. Mit dem Umtausch wäre die Fed überfordert; denn ihre eigenen Devisenreserven würden dazu nicht ausreichen. Wenn sie nicht mehr umtauschen könnte, wäre der freie Kapitalverkehr beendet.

Steht Trump das Wasser bis zum Hals? Dass die Vorgängerregierungen die Zurückführung der chronischen Handelsbilanzdefizite weniger aggressiv einforderten, spricht dafür, dass die Situation nach Jahren hoher Leistungsbilanzdefizite inzwischen als dramatisch empfunden wird. Der ökonomische Ausweg besteht in einem aggressiven Wirtschaftsnationalismus, wie Trump ihn vorschlägt: Förderung der eigenen Exportkraft durch Stärkung der US-Industrie und Behinderung der Importe u. a. durch Zölle und Neuverhandlung von Handelsverträgen.

Defizite der Globalisierungsdebatte

Die Bedeutung nationalökonomischer Räume für die Verwertung des Kapitals und die daraus hervorgehende Notwendigkeit, durch Industriepolitik die Effizienz eines nationalen Standorts zu stärken und die Zahlungsfähigkeit des Landes zu sichern, haben die Vertreter der Globalisierungsthese nicht erkannt. Die Nationalökonomie als Gebilde eigener Art, als eine notwendige Ebene zwischen den Einzelkapitalen und dem Weltmarkt ist ihnen ein Rätsel geblieben. Wenn sie gelegentlich über den Wirtschaftsnationalismus stolperten, der schon in früherer Zeit eine Rolle spielte, taten sie diesen als eine bloße Störung des allgemein gültigen Globalisierungstrends ab und meinten, Nationalisten mit ihren rückwärtsgewandten Ideen steckten dahinter.

Zur Entschuldigung ließe sich vielleicht anführen, dass einige der auffälligsten Erscheinungen vor allem während der 1990er Jahre den Blick stärker auf den Weltmarkt insgesamt und weniger auf dessen nationalökonomische Bestandteile lenkten. Die rasche Expansion des Außenhandels erschien vielen Beobachtern nur als Zunahme des Welthandels, nicht aber in der Weise, dass diese Zunahme immer vermittelt blieb durch nationalökonomische Räume, zwischen denen der Austausch stattfand. Vor allem aber absorbierten die stark wachsenden Finanzmärkte und die rasche Zunahme grenzüberschreitender Finanztransaktionen im hohen Maße die Aufmerksamkeit. Das angeschwollene Finanzkapital schien nicht nur von der gewöhnlichen Warenwelt entkoppelt und damit „ankerlos” um den Erdball zu jagen; diese Art der Globalität verband sich mit der Vorstellung, das Finanzkapital und die Finanzinvestoren würden Unternehmen global lenken.

Dass man dem Finanzsektor eine derart wichtige Rolle zuerkannte, die bis zur Einschätzung reichte, die neue finanzmarktgetriebene Entwicklung führe in eine neue Etappe des Kapitalismus, war allerdings auch die Konsequenz einer unzureichenden Reflexion über den Reproduktionsprozess und des hier im Vordergrund stehenden fungierenden Industrie- und Handelskapitals. Auf diese Weise erhielten die Kapitalformen eine besondere Bedeutung, welche jenseits der Produktion existieren. Die These von der relativen Autonomie des Finanzsektors gegenüber der Produktion und die Vorstellung, dass die Finanzmärkte bzw. die Finanzinvestoren die Unternehmen erpressen und zur kapitalistischen Handlungsweise antreiben würden, sind nur eine Konsequenz der – vorsichtig ausgedrückt –  unzureichenden Behandlung des kapitalistischen Charakters der Produktion. Die zur Effizienzsteigerung notwendige Vernetzung der Produktionszweige an einem  Wirtschaftsstandort, oder das, was Marx „gesellschaftliche Arbeitsteilung” oder im Rahmen seiner Analyse des „gesellschaftlichen Gesamtkapitals” als „Verschlingung der Einzelkapitale” bezeichnete, spielten in der Analyse keine Rolle. Damit blendete man exakt die Prozesse aus, die Trumps Wirtschaftsnationalismus antreiben. Daher die Hilflosigkeit, mit der Globalisierungstheoretiker die Politik von Trump beobachten. Sie können sich die Dinge nur noch dadurch erklären, indem sie für den Trumpschen Wirtschaftsnationalismus Umstände heranziehen, die dem Kapital äußerlich sind, darunter einen Nationalismus, der von abstiegsgefährdeten Mittelschichten und enttäuschten Arbeitern kommen soll.

Zu den wenigen Protagonisten der Globalisierungsdebatte, die über den Stellenwert der Nationalökonomie nachdachten, gehörte Robert Kurz. In seiner Schrift „Schwarzbuch Kapitalismus” meinte er, das „Ende der Nationalökonomie” entstehe durch die „industrielle betriebswirtschaftliche Globalisierung”. Darüber lege sich eine „zweite Ebene der finanzkapitalistischen Globalisierung”, die das „eigentliche Kommando vorgibt”.[9] Erst die mikroelektronische Revolution habe eine „Zerlegung der betriebswirtschaftlichen Elemente über nationale und kontinentale Grenzen hinweg” ermöglicht. Ein und dasselbe Unternehmen könnte dank der neuen Technologie seine Betriebswirtschaft global aufspalten: „Der offizielle Firmensitz ist vielleicht Frankfurt, die Finanzgeschäfte laufen über London, die Betriebsabrechnung wird von einem billigen EDV-Team in Indien erledigt, die Vorprodukte durch billige `Lohnveredelung‘ in Ungarn hergestellt.” Auf diese Weise zeige sich, dass ein großer und rasch wachsender Teil des Weltmarkts „kein Austausch zwischen in sich kohärenten Nationalökonomien mehr ist, sondern Bestandteil einer internen Funktionsteilung von unmittelbar global agierenden Konzernen.” Solche  Unternehmens-Agglomerationen wären nicht mehr multinational strukturiert, sondern gehörten einer „bisher unbekannten ‚transnationalen‘ Dimension” an. „Die Betriebswirtschaft, bislang eingebettet in einen nationalökonomischen Regulationsraum, durchbricht diesen und agiert unmittelbar auf dem regulationslosen Terrain des Weltmarkts, also eben jenseits der Nationalökonomie (transnational).”[10]

Kurz argumentiert betriebswirtschaftlich. Er verengt den Blick auf die technisch-ökonomische Seite, auf die Art und Weise der Arbeitsteilung, wenn er die „Zerlegung der betriebswirtschaftlichen Elemente über nationale und kontinentale Grenzen hinweg” hervorhebt. Jedoch begleiten Änderungen in der Arbeitsteilung so gut wie jeden technischen Fortschritt, so dass sie gar nicht etwas Besonderes der mikroelektronischen Revolution sein können. Zudem bleibt in dieser Argumentation die spezifisch-kapitalistische Bestimmung unerwähnt. Der Verwertungsprozess, die kommerziell-kapitalistische Seite des Produktionsprozesses spielt gerade dort keine Rolle, wo Kurz die „bisher unbekannte ‚transnationale‘ Dimension” herauszuarbeiten meint, die zum Ende der Nationalökonomie und zum Beginn einer qualitativ geänderten Globalökonomie geführt haben soll. Diese neue Kapitalismusqualität geht also gerade nicht aus dem Kapital selbst hervor, sofern man mit Marx darunter kein Ding sondern ein spezifisch gesellschaftliches Verhältnis versteht. Indem Kurz von dieser Seite absieht, d. h. den kapitalistischen Produktionsprozess auf den bloßen betriebswirtschaftlichen Arbeitsprozess reduziert, behandelt er Kapital faktisch als ein Ding, als einen Komplex produzierter Produktionsmittel, der im Zuge der mikroelektronischen Revolution zerlegt werde. Solch eine naturalistische Betrachtung des Kapitals ist schon ziemlich merkwürdig für einen Autor, der die kapitalismusspezifischen Formbestimmungen besonders betonte und gemeint hat, dass selbst die Nation „eine kapitalistische Formebene der Gesellschaft” sei und deshalb von Grund auf verworfen werden müsste.[11]

Der plumpe Bourgeois Trump versteht mehr von Nationalökonomie als der feinsinnige Marxist Robert Kurz. Seine wirtschaftsnationalistischen Rezepte offenbaren am Beispiel der US-Wirtschaft, worin die wesentlichen Merkmale der Nationalökonomie liegen und wie deren Effizienz gesteigert werden kann. Die Betriebe multinationaler Konzerne löst er nicht, wie Kurz es tat, in „betriebswirtschaftliche Elemente auf”, als würden sie nun „jenseits der Nationalökonomie” im „regulationslosen Terrain des Weltmarktes” agieren. Solche weltfremden Vorstellungen liegen dem Praktiker Trump fern. Für ihn gliedert sich der Weltmarkt ganz pragmatisch in verschiedene Nationalökonomien. Trump interessiert sich für das Wohlergehen der US-Ökonomie und er weiß ganz genau, dass dazu nur die Betriebe von Unternehmen gehören, die auf dem Boden der USA tatsächlich operieren, unabhängig davon, ob sie General Electric oder Siemens heißen mögen.

Die vergleichsweise homogene Verwertungsstruktur eines Landes bildet die allgemeine politökonomische Voraussetzung für die Existenz einer Nationalökonomie,[12] wodurch zugleich die Bedingungen, die Gegensätze und die Interessen der Bourgeoisie bestimmt werden.

II. Korrekturen in der Klassentheorie

Kann es unter den Bedingungen gegeneinander konkurrierender Nationalökonomien, die jeweils eigenständige Interessen hervorbringen, eine globale Bourgeoisie geben?

Der französische Autor Alain Badiou meinte vor kurzem noch, „die Kapitalisten” hätten in der globalisierten Welt schon lange aufgehört, z. B. Franzosen zu sein. „Sie sind uns einen Schritt voraus”, warnte er. „Sie sind in Shanghai zu Hause, in San Francisco, in Marokko, im Kongo, in São Paulo. Während wir, die kleinen Franzosen der Mittelschicht, uns gemütlich in ihrem Frankreich verkriechen. Da sind wir weit ins Hintertreffen geraten.” Der Raum, der sich z.B. „als Frankreich und die gespenstischen Franzosen” definiere, existiere nur noch in der Vorstellungswelt „der kleinen Franzosen”. [13] Nation und Nationalismus einschließlich der darin enthaltenen Feindseligkeiten sollen mit der längst globalisierten Bourgeoisie gar nichts mehr zu tun haben. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer machte kürzlich[14] für die vor unseren Augen stattfindenden „Normalitätsverschiebungen” in Richtung menschenfeindlicher Ausgrenzungen „ein schon lange existierendes rechtspopulistisches Potenzial in der Bevölkerung” verantwortlich, das durch verschiedene Mechanismen, vor allem durch „rechtspopulistische Akteure” aktiviert und ausgeweitet werde. Trumps „America first” wird nur hinsichtlich der ideologischen Auswirkungen erwähnt. Die Bourgeoisie steht auch in diesem Konzept jenseits der nationalistischen Verschiebungsagenda.

Gibt es eine globale Bourgeoisie?

Abstrakt betrachtet, d. h. unter Vernachlässigung ihrer nationalökonomischen Bestimmungen und der darin existierenden Besonderheiten könnte man sich tatsächlich eine Bourgeoisie vorstellen, die überall auf der Welt vergleichbare ökonomische Bedingungen und in gewissen Fragen ähnliche Interessen besitzen. In dieser bloßen Gedankenbestimmung ließe sie sich als besitzende Klasse definieren, die entweder im Prozess der Warenproduktion und der Warenzirkulation als Industrie-, Dienstleistungs- oder Handelskapitalist leitend tätig ist oder die als Eigentümerin von Geldkapital oder von größerem Grundbesitz an dem produzierten Reichtum teilhat, indem sie für die Bereitstellung ihres Eigentums Zinsen, Dividenden, Pacht, Mieteinkommen etc. bezieht. Unternehmer, Eigentümer des Geldkapitals und Grundeigentümer würden die drei Teile dieser globalen Bourgeoisie ausmachen. Das gemeinsame Interesse bestünde zum einen in der Erhaltung des Kapitals, einschließlich der Erhaltung der damit verbundenen Vermögensarten – also in dem Interesse an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise. Zum anderen hätte die Bourgeoisie das gemeinsame Interesse, ihr Vermögen als Kapital möglichst hoch zu verwerten, d. h. dass es nicht nur erhalten bliebe sondern auch einen möglichst großen Überschuss abwirft. Sie hätte das gleiche Interesse und den gleichen Gegensatz gegenüber der Klasse auszufechten, die ihren Reichtum reproduziert und vor allem durch Mehrarbeit erweitert. In der Marxschen Mehrwerttheorie wäre das die lohnabhängige Klasse – das „Proletariat”.

Wenn wir aus dem Reich der Abstraktionen in die wirkliche Welt zurückkehren, fällt es schwer, einen solchen Klassenkampf zwischen einer Weltbourgeoisie und einem Weltproletariat auszumachen. Gleiche Interessen und der gleiche Gegensatz treten zwar hervor, allerdings nur in nationaler Form. Das eigentliche Terrain des Kampfes ist immer noch das jeweilige Staatsgebiet, nicht aber die Weltarena. Schon die Souveränität des Staates verhindert, dass die Bourgeoisie als wirklich global handelndes Subjekt auftritt. Auf ihrem Staatsgebiet verrichtet die hier agierende Bourgeoisie all die Zwangsmaßnahmen, die sie als notwendig in ihrem Klassenkampf ansieht. Die auswärtigen Bourgeoisien dürfen in diesen Kampf – von Ausnahmen abgesehen – gerade nicht intervenieren, so dass ein gemeinsamer Kampf gar nicht stattfinden kann.

Es bleibt zu konstatieren, dass die Bourgeoisie nicht global agiert, wenn es um den ökonomischen Kampf ihrer Interessen geht. Sie kämpft im nationalen Rahmen und besitzt im Nationalstaat ihre gemeinsame politische Organisation. Durch sie erhält der Klassenkampf seine typisch nationale Form, unter der das Proletariat ebenfalls kämpfen muss, auch wenn der Inhalt seines Kampfes schon globalen Charakter besitzt. Da sich bis heute die Nationalökonomien nicht in eine Weltökonomie aufgelöst haben, wie schon Trumps  „America-First”-Politik belegt, existieren die nationalen Formen des Klassenkampfes fort, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts als typisch angesehen worden waren. [15]

Die Analyse der Trumpschen Politik zeigte, dass der Wirtschaftsnationalismus nur förderlich ist für die Interessen der Kapitale, die auf dem Territorium der USA durch eigene Standorte tätig sind. Demgegenüber will die Politik auswärtige Interessen benachteiligen. Die Existenz von Nationalökonomien verhindert eine einheitliche, transnationale Interessenpolitik. Als Konsequenz ergibt sich, dass die ökonomischen Interessen der Bourgeoisie national nach besonderen Interessen hin aufgesplittert werden, die sie in Gegensatz zueinander bringen. Zerrissen in nationalen Standortkämpfen sind die besitzenden Klassen unfähig, eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Ihre nationalökonomisch ausgelegten Interessen zwingen sie, nicht nur gegen das Proletariat ihres Landes, sondern stets auch gegen die Bourgeoisien anderer Länder zu kämpfen. Die gelegentlich aufkeimende Hoffnung, auf kapitalistischer Grundlage könnte sich ein Weltstaat allmählich herausbilden und den ewigen Frieden bringen, hat sich als bürgerliche Utopie herausgestellt. Es verhält sich auch in diesem Punkt bis heute immer noch so, wie schon Marx und Engels Mitte des 19. Jahrhunderts im Manifest der Kommunistischen Partei konstatierten, dass sich die Bourgeoisie in einem „fortwährenden Kampfe” befindet und „stets gegen die Bourgeoisie aller auswärtigen Länder” kämpfen muss.[16]

Legende von der Existenz globaler Wirtschaftseliten

Der Soziologe Michael Hartmann beschäftigte sich immer wieder mit der Frage, inwieweit die Bourgeoisie eine globale oder nationale Klasse ist. In seinem neuesten Buch hat er die Globalisierungsthese im Prozess der Klassenbildung heftig kritisiert und sie aus theoretischen, vor allem aber aus empirischen Gründen als „Legende” bezeichnet.[17] In verschiedenen Globalisierungsschriften, darunter denen von Ulrich Beck, Ralf Dahrendorf, Leslie Sklair vermisst er „eine tiefer greifende Analyse der Prozesse realer Eliten- oder Klassenbildung”.[18]

In seinen empirischen Studien konzentriert sich Hartmann auf den Aspekt der grenzüberschreitenden räumlichen Mobilität von Eliten. Dabei stellt er fest, dass von einer wirklich globalen Bourgeoisie nichts zu sehen ist. Eine transnationale Klassenlage gebe es nicht. Die grenzüberschreitende räumliche Mobilität sowohl der Milliardäre als auch der Lenker großer Unternehmen (er nimmt einmal die 1000 größten der Welt und dann die jeweils 100 größten Unternehmen der Länder) reiche einfach nicht aus, um eine gemeinsame Identität und einen gemeinsamen Habitus – verstanden als „inkorporierte Klassenlage” – auszubilden, der sich von dem der auf nationaler Ebene verbliebenen Elitemitgliedern deutlich unterscheide. (vgl. S. 201) Die tausend reichsten Menschen der Welt praktizierten, anders als etwa Ulrich Beck vermutete, keine Polygamie des Ortes, sondern lebten „ganz überwiegend” in ihren Heimatländern. „Gerade einmal 90 von jenen insgesamt 1041 Milliardären, die in der Forbes Liste die 1000 ersten Plätze belegen, wohnen und leben im Ausland”. (S. 197) Ähnliche Relationen stellt Hartmann für die Topmanager fest. Statt transnational zu sein, verbleibe die Bourgeoisie weitgehend in den Grenzen ihrer nationalen Identität und sei weiterhin eng mit ihrer jeweiligen Nation verbunden.

Dieser empirische Befund bestätigt die These von der immer noch großen Bedeutung der Nationalökonomie für die Klassenbildung. Die Klassenlage der Bourgeoisie bleibt nationalökonomisch definiert, mit all den kulturellen Besonderheiten, die damit verbunden sind. Als bestimmende nationale Klasse hat sie ein Proletariat hervorgebracht, das sich in dieser nationalen Form reproduziert und das unter solchen nationalen Bedingungen auch kämpfen muss.

Hartmann verweist auf die „stark zunehmenden Widersprüche und Gegensätze zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen der Welt” (S. 207), z. B. zwischen China und den USA bzw. Japan, oder zwischen Russland und den USA. Ausgehend von dieser Beobachtung, die durch Trumps wirtschaftsnationalistischen Kurs noch an Bedeutung gewonnen haben sollte, ist seine Schlussfolgerung nur konsequent: „Gemeinsame Interessen und Einstellungen zu entwickeln oder zu stabilisieren, dürfte unter diesen Bedingungen, vorsichtig formuliert, eher schwierig sein” (S. 210).

Die Gründe für die „stark zunehmenden Widersprüche und Gegensätze” zwischen den Ländern hat Hartmann nur ganz am Rande thematisiert. Seiner Meinung nach würde die Globalisierung von „immer größeren Bevölkerungskreisen” skeptisch oder ablehnend betrachtet; nationalistische Stimmungen würden hervortreten. Die Bourgeoisie würde darauf mit Anpassung reagieren. „Für die Wirtschaftseliten hat das Konsequenzen. Auch sie müssen wieder stärker nationale Belange und Stimmungen berücksichtigen, wollen sie nicht riskieren, dass die in vielerlei Hinsicht wichtigen engen Kontakte zur Politik spürbar gestört werden” (S. 212). Hier wird die Bourgeoisie als passive Klasse gesehen, die mit der Entwicklung der nationalen Gegensätze nicht zu tun zu haben scheint. Aktiver Träger von nationalistischen Stimmungen sollen die „immer größeren Bevölkerungskreise” sein, nicht aber die Bourgeoisie selbst. Dass es sich andersherum verhält, dass die Bourgeoisie selbst im Zentrum des Wirtschaftsnationalismus steht, gehört zu den unbequemen Wahrheiten, die in Trumps „America-First”-Politik stecken.

III.  Konsequenzen für linke Politik

In der linksorientierten Kapitalismusdiskussion wird die Bedeutung nationalökonomischer Räume für die Verwertung des Kapitals und die daraus hervorgehende Notwendigkeit, durch Industriepolitik die Effizienz eines nationalen Standorts zu stärken und die Zahlungsfähigkeit des Landes zu sichern, kaum thematisiert. Die Nationalökonomie als Gebilde eigener Art, als eine aus dem Kapital selbst hervorgetriebene notwendige Ebene zwischen den Einzelkapitalen und dem Weltmarkt ist meist ein Rätsel geblieben. Wenn man gelegentlich über den Wirtschaftsnationalismus stolpert, der schon in früherer Zeit eine Rolle spielte, tut man diesen als eine bloße Störung des allgemein gültigen Globalisierungstrends ab und meint, Nationalisten mit ihren rückwärtsgewandten Ideen  steckten dahinter.

Der Kampf gegen Nationalismus, Rechtspopulismus und faschistische Gefahr bleibt oberflächlich, da er nicht gegen das kapitalistische System selbst geführt wird, aus dessen Schoß solche dekadenten Tendenzen hervorgehen, sondern gegen ideologisch verwirrte Opfer, die mit der Parole: „Faschisten raus aus Deutschland, aus Neukölln etc.” bloß vertrieben oder mundtot gemacht werden sollen. Man bekämpft die Wirkungen, nicht die Ursachen. Das Kapitalverhältnis bleibt außen vor.

Zudem wird unter dem Motto „Demokratie stärken” eine Rückverlagerung von Souveränitätsrechten hin zum Nationalstaat gefordert. Innerhalb der EU sind solche Überlegungen auch in der Linken weit verbreitet. Sie stützen sich auf die Vorstellung, die Globalisierung habe die nationalen Bezüge der Bourgeoisie beseitigt und diese in eine globale Klasse verwandelt, die tendenziell im Gegensatz zur eigenen Nation stehe. Von diesem Standpunkt aus kann der Kampf gegen Rechtspopulismus, Nationalismus und Faschismus kein antikapitalistischer Kampf mehr sein, der in der Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse die Lösung sieht.

Demgegenüber definiert Trumps „America First” die Kapitalisten nicht als globale, sondern als eine nationale Klasse mit entsprechenden nationalen Wirtschaftsinteressen: Die Regierung muss das Interesse des US-Kapitals fördern und stärken gegenüber der auswärtigen Konkurrenz. Zur Durchsetzung dieser US-Interessen führt sie den Kampf als einen nationalen Kampf, ausgestattet mit entsprechender nationaler Ideologie. „America First” steht für diesen Kampf und für die nationalen Formen, unter denen der Kampf gegen die auswärtige Konkurrenz geführt wird. Nationalistische Ideologien, darunter rechtspopulistische und möglicherweise auch faschistische Vorstellungen gehören dazu. Das Kraftzentrum dafür ist das Kapital selbst. Schon deshalb sollte die Wahl von Trump nicht als „sozialer Aufstand der kleinen Leute und der Abgehängten gegen das Establishment” gefeiert werden.

Max Horkheimers Satz: “Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte vom Faschismus schweigen”, gilt weiterhin und wäre nur zu erweitern auf all die nationalistischen und rechtspopulistischen Formen, die dem Faschismus vorgelagert sind und deren materielle Quellen das kapitalistische System ist.

Anmerkungen:

[1] „Das wohlhabendste Kabinett Amerikas”, in: FAZ vom 21.1.2017. „Milliardäre und Militärs”, in: junge Welt vom 22.12.2016  (Thema)

[2] Jörg Lau: „America first, in: Die Zeit vom 26.01.2017

[3] Diese Ideologisierung von Spezialinteressen durch Umwandlung in ein allgemeines Interesse kennzeichnet die gesamte Politik des Kapitals, wie ich in einer empirischen Studie für die Zeit der großen Krise nachzuweisen versuchte. (Guenther Sandleben, Politik des Kapitals in der Krise. Eine empirische Studie, Hamburg 2011)

[4] „Trump beschwört den Protektionismus”, in: FAZ vom 21.01.2017.

[5] „Trump setzt auf Nationalstolz und Protektionismus”, in: FAZ vom 2.3.2017

[6] Interview in: Der Spiegel 10/2009

[7] „Wer stoppt den Präsidenten?” von: Lisa Nienhaus und Mark Schieritz, in: Die Zeit vom 2.2.2017

[8] Friedrich List, Das nationale System der politischen Ökonomie, Berlin 1982, S. 168f. Näheres dazu: Guenther, Sandleben, Nationalökonomie & Staat. Zur Kritik der Theorie des Finanzkapitals, Hamburg 2003.

[9] Kurz, Robert: Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a. M. 1999, S. 752

[10] Kurz, a.a.O., S. 751f

[11] Kurz, a.a.O., S. 767

[12] Näheres zur Konstitution des Gesamtkapitals und dessen Mystifikation als Volkswirtschaft und Nationalökonomie findet man in: Guenther Sandleben, Nationalökonomie & Staat, VSA Verlag 2003, S. 66 ff und auf der Homepage unter: http://guenther-sandleben.de/gesamtkapital.html

[13] Alain Badiou: Wider den globalen Kapitalismus, Berlin 2016, S. 59

[14] Wilhelm Heitmeyer: Wenn Normalität bedrohlich wird, in: Tagesspiegel vom 29.1.2017

[15] „Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.” (Marx/Engels, Kommunistisches Manifest, in: MEW 4, S. 473)

[16] In: MEW 4, S. 471. An anderer Stelle heißt es: “Der Bourgeois hat, so sehr der einzelne Bourgeois gegen die anderen kämpft, als Klasse ein gemeinschaftliches Interesse, und diese Gemeinschaftlichkeit, wie sie nach innen hin gegen das Proletariat gekehrt ist, ist nach außen hin gegen die Bourgeoisie anderer Nationen gekehrt. Das nennt der Bourgeois seine Nationalität.” Karl Marx über Friedrich Lists Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie”, in: Friedrich List: Das nationale System der politischen Ökonomie, Herausgegeben von Günter Fabiunke, Berlin 1982, S. 462

[17] Michael Hartmann: Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende, Campus 2016

[18] Hartmann, a.a.O., S. 14. Die Wirtschaftselite hat Hartmann als „Kern” der Bourgeoisie bezeichnet. Denn die Inhaber der Machtpositionen in den großen Konzernen wären entweder zugleich die Eigentümer dieser Unternehmen oder sie müssten aufgrund der enorm hohen Einkommen der Spitzenmanager ebenfalls in die Kategorie der Kapitalbesitzer eingruppiert werden. „Sie zählen also im einen wie im anderen Fall zu derselben Klasse. Deshalb spielt … die Differenz zwischen Elite und Klasse im Fall der Wirtschaftselite faktisch keine nennenswerte Rolle” (S. 21). Die nachfolgenden Seitenangeben beziehen sich auf dieses Buch.

Der Beitrag von Günther Sandleben wurde in Proletarische Briefe am 6. Juni 2017 erstveröffentlicht.

Vorheriger Artikel„Anne Will“ zum Gipfel der G20 in Hamburg – Niccolò Machiavelli lässt grüßen
Nächster ArtikelAbgebrochen und abgedriftet – Ein Eisberg entsteht und vergeht

1 Kommentar