
Berlin, Deutschland (Weltexpress). Professor Lothar Bisky ist ein Beispiel dafür, wie Funktionsträger der SED bedenkenlos frühere Überzeugungen über Bord warfen und statt ihre Partei zu verteidigen opportunistische Positionen bezogen. Bisky war bei einem breiten Publikum der DDR durch die Ausgabe „The show must go on“ aus der Serie nl-konkret des Verlags Neues Leben beliebt. Es ging um „Unterhaltung am Konzernkabel“ und die Sendung war ein Renner und Bisky galt, nicht nur mit ihr, als ein brillanter Medienwissenschaftler. Zweifellos hätten viele auf ihn gehört, das Erreichte nicht einfach aufzugeben. Auch sein im gleichen Verlag erschienenes Buch „Geheime Verführer“ war ein Erfolg. In der Studie über „Massenkommunikation und Jugend“ 1 war er von „Was tun“2 ausgegangen und hatte herausgearbeitet, dass Lenin sich „ausführlich mit der Entstehung und Verbreitung der sozialistischen Ideologie, mit dem Problem der spontanen Bewußtseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse sowie mit dem Charakter sozialistischer Agitation und Propaganda“ beschäftigte. „Wie sozialistisches Bewußtsein“, so hatte Bisky verkündete „nicht etwas aus dem Klassenkampf urwüchsig Entstandenes ist, weil der Sozialismus als Lehre nur das Ergebnis angestrengter wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, weil in der kapitalistischen Gesellschaft die bürgerliche Ideologie die herrschende Ideologie ist, kann sich die sozialistische Ideologie nur durchsetzen, indem sie bewußt in den Klassenkampf des Proletariats hineingetragen wird“. Das hatte der Mann tatsächlich geschrieben. Und er hatte betont, dass in der „Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus“ dem Nachweis „des Klassencharakters der Massenkommunikation besondere Bedeutung“ zukomme. Und weiter, die „führende Kraft“ des sozialistischen Aufbaus die Arbeiterklasse ist, die ihre führende Rolle nur durch ihre marxistisch-leninistische Partei erfüllen kann“.
Sicher, wenn man den Text heute nochmal liest, empfindet man ihn zwar etwas hölzern, aber in der Sache war er richtig, wie es die politischen Auseinandersetzungen 1989/90 verdeutlichten. Und wenn man ihn mit heute verbreiteten Phrasen vergleicht, steht er besser da.
Mit solchen Nachweisen theoretischer Kenntnisse des Marxismus-Leninismus stieg Bisky zum Kulturspezialisten an der Akademie für Gesellschaftswissenschaft des ZK der SED auf. Nach der „Wende“ warf dieser waschechte Opportunist einstige Anschauungen prinzipienlos über Bord und startete eine steile Karriere, wurde 1991 bis 1993 Landesvorsitzender der PDS in Brandenburg, stieg im selben Jahr bis 2000 und nochmals von 2003 bis 2007 zu ihrem Bundesvorsitzenden auf. Unter seiner Führung fusionierten die PDS und die westdeutsche WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative) zur Partei Die Linke. Zusammen mit Oskar Lafontaine war Bisky von 2007 bis 2010 ihr Vorsitzender. 2009 zog er als Spitzenkandidat in das EU-Parlament ein. Von 2007 bis 2010 war er Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken.
Anmerkungen:
1 Massenkommunikation und Jugend. Zur Theorie und Praxis der Massenkommunikation und ihren Einflüssen auf die sozialistische Persönlichkeitsbildung und Bewusstseinsentwicklung Jugendlicher. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1971.
2 W. I. Lenin Was tun. Brennende Fragen unserer Bewegung, Werke, Bd. 5, Berlin/DDR 1958.
Es folgt demnächst: Verantwortlich dafür, dass die „friedliche Revolution“ Tausende in den Tod trieb.
Siehe die Beiträge
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- Auf Spurensuche – Wer war/ist Gregor Gysi und welche Rolle spielte er in den 1989/90 einsetzenden Ereignissen, die letzten Endes zum Untergang der DDR führten von Gerhard Feldbauer
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im WELTEXPRESS.
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