Spurensuche zum Untergang der DDR – Hans Modrows „Deutschland einig Vaterland“ stellte faktisch die DDR zur Disposition

Hans Modrow (SED) Foto: ADN-ZB, Hartmut Reiche, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 13.11.1989

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Fast zeitgleich mit Gregor Gysis Italienreise unterbreitete Regierungschef Hans Modrow (seit November 1989 bis April 1990) nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 in Moskau sein Konzept „Deutschland einig Vaterland“,1 mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde. Vor seiner Abreise nach Moskau musste Modrow ein Artikel von Eduard Schewardnadse in der „Iswestija“ vom 18. Januar bekannt gewesen sein: „Europa – von der Spaltung zur Einheit“. Darin ordnete der sowjetische Außenminister die „deutsche Frage“ und die „Reformprozesse in Osteuropa“ in den Zusammenhang eines sich einigenden Europa ein. Aus den Berichten über Modrows Gespräche ging mit keinem Wort hervor, ob die darin aufgeworfenen Fragen erörtert wurden, die zur Aufkündigung der mit der DDR abgesprochenen Vertragsgemeinschaft durch Kohl führten. 2 Aus den Ausführungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau, Gerd König, 3 ging hervor, dass er damit wohl der Linie Gorbatschows folgte, die Politbüro-Mitglied Jakowlew so formuliert hatte: „Es wäre gut, wenn Modrow mit einem Programm der Wiedervereinigung auftreten würde“. 4 Modrow selbst äußerte dazu später: „Kohl behauptet, er habe den Schlüssel zur Einheit aus Moskaus geholt. Wenn das so sein soll, dann habe ich den Schlüssel gefeilt!“.5

Hier ist einzublenden, dass sicher Folgendes feststand: Nachdem die DDR von Gorbatschow fallengelassen wurde und damit der wichtigste außen- und militärpolitische Faktor ihrer Existenzsicherung entfiel, war sie nicht mehr zur retten. Doch ihr Anschluss an die BRD hätte nicht in jene kampf- und bedingungslose Kapitulation münden müssen, die von der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maiziére von der ostdeutschen CDU vollzogen wurde, aber bereits unter der Regierung Modrow und der PDS unter Gregor Gysi mit zu verantworten war. 6 Doch Modrow war nicht nur zu dieser Zeit, sondern auch ein Jahr danach nicht in der Lage, den verräterischen Kurs Gorbatschows einzuschätzen. In seinem Buch „Aufbruch und Ende“ 7 schwärmte er, dass „ein herzliches persönliches, aber auch ein konstruktives Arbeitsklima“ herrschte und Gorbatschow für ihn „ein Mensch, der wirklich in großen Maßstäben denkt, der ein sehr komplexes Denken hat“, war und ist (S. 120). Noch 2000 sah er in ihm lediglich „Unaufrichtigkeit“, hatte aber inzwischen immerhin erkannt, dass sich darin seine „wachsende Unfähigkeit, die Prozesse im wohlverstandenen Interesse der UdSSR und der DDR zu beherrschen“ gezeigt habe. 8 Wie immer kein Wort. wie er sich da getäuscht hatte. Gerd König erkannte dagegen schon, dass Gorbatschows Besorgnis, wie es mit der DDR weitergehe, geheuchelt war, während in Wirklichkeit der Vereinigungsprozess „bereits im vollen Gange und die Vereinigung faktisch entschieden war“ (S. 408).

Verheerend wirkte sich aus, dass Modrow im November 1989 die Auflösung des in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannten MfS anordnete und tatenlos dem für 15. Januar 1990 angekündigten Sturm von Oppositionellen auf den MfS-Komplex in Berlin-Lichtenberg zuschaute, während BRD-Geheimdienste gezielt die Hauptabteilung der Spionageabwehr inspizierten. Zur Auflösung des AfNS hatte er auch noch den Bürgerrechtlern des „Runden Tisch“ , also der überwiegend antikommunistischen Opposition, ein entscheidendes Mitspracherecht eingeräumt. Diese hatte die Auflösung des Amtes gefordert und Modrow war ihr nachgekommen. Der „Runde Tisch“ war ein Gremium, das nicht einmal nach bürgerlich-parlamentarischen Regeln geschweige denn von der Verfassung der DDR legitimiert war. Damit war die DDR, wie der von Modrow mit der Auflösung des AfNS beauftragte General, Heinz Engelhard, einschätzte, „offen, wie ein Scheunentor, und westliche Dienste, vor allem die der BRD und der USA, schalteten und walteten nach Belieben“. 9 So wurden zur Volkskammerwahl am 18. März 1990, die als erste freie Wahl gepriesen wurde, von den Parteien der BRD rund 40 Millionen DM für den Machtwechsel investiert, 100.000 Schallplatten und Kassetten mit drei Reden Kohls verteilt, Wahlkämpfer in Bussen in die DDR gekarrt, Plakate geklebt zum Beispiel in Erfurt 80.000 allein in einer Nacht durch hessische CDU-Mitglieder. Yana Milev, Soziologin, habilitierte Dozentin an der Universität von St. Gallen, Verfasser (u. a.) der Zweibändigen Studie Entkoppelte Gesellschaft, Ostdeutschland 1989/90, Bd. 1 Anschluss, Bd. 2 Umbau (Verlag Peter Lang, Bern/Berlin 1989/90), hielt fest: „Das waren in die DDR exportierte West-Wahlen.“10

Die „Frankfurter Rundschau“ gab am 12. April 2002 den früheren Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer, wieder, der erklärt habe, dass Modrow ihn nach dem Sturm aufs „große Haus“ am 3. Dezember 1989 nach Berlin zu einer Beratung im Haus des Ministerrates mit Gregor Gysi, Markus Wolf und dem Rest der SED-Mannschaft gerufen habe. Nachdem er (Berghofer) abgelehnt habe ,die Führung der SED zu übernehmen, habe Gregor Gysi das dann übernommen. Modrow habe gesagt: Genossen, wenn wir die Partei retten wollen, brauchen wir Schuldige! Das müssten, habe Modrow erläutert, Verantwortliche sein, zu denen es in der Gesellschaft schnell einen Konsens gibt und die Massen sagen, jawohl, das sind die Schuldigen. Dazu habe Modrow dann das Ministerium für Staatssicherheit genannt. Wolf 11 habe Einspruch erhoben, aber Modrow habe ihn beruhigt, die Aufklärung des MfS halten wir selbstverständlich aus dieser Einschätzung heraus. Danach sei Wolf einverstanden gewesen. Laut „Tagespiegel“ vom13. April 2007 habe Gysi das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2007 über seine Anwälte ultimativ aufgefordert, eine Passage in dem Buch nicht mehr zu verbreiten, die besagte, dass er an dem Treffen auf Einladung von Ministerpräsident Hans Modrow am 3. Dezember 1989, teilgenommen habe. Er bestreite„,eingeladen oder gar dabei gewesen zu sein. Auch habe er keine Kenntnis über den Inhalt des angeblichen Treffens gehabt“. Hier ist anzumerken, dass unabhängig davon, ob die betreffenden Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder nicht, diese Haltung gegenüber dem MfS von Modrow und seiner Regierung so praktiziert wurde.

Nach dem Ende seiner Regierung blieb Modrow Ehrenvorsitzender der PDS und wurde nach deren Umwandlung in die Partei Die Linke Vorsitzender ihres Ältestenrates. Von 1990 bis 1994 war er Mitglied des Bundestages, von 1999 bis 2004 EU-Abgeordneter. 12 Gegen das Unheil, das er gegenüber den Bürgern der DDR widerstandslos mit heraufbeschworen hatte, erhob er gelegentlich Einspruch. So wenn er in einem Schreiben an den Bundesverteidigungsminister Volker Rühe im Juli 1997 ersuchte (!), dass „der Verfolgung von Soldaten und Offizieren der Nationalen Volksarmee wie auch anderen Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die nach Verfassung und Gesetzen dieses Staates gehandelt haben, ein Ende gesetzt wird. 13 Eine Reaktion gab es nicht. Und Modrow ließ es dabei bewenden.

1998 erschien sein bereits erwähntes Buch „Ich wollte ein Neues Deutschland“. Gab es Erkenntnisse, Einsichten, dass es nicht so gelaufen war, wie man es sich vorgestellt hatte, kritische Reflexionen? Zunächst fiel auf, dass sich Hans Modrow der Widersprüchlichkeit seiner Darlegungen und des ihnen zugrundeliegenden Subjektivismus wohl bewusst war und er versuchte, vorzubauen. Er bekannte „ein offenbar gestörtes Wahrnehmungsvermögen“. Verständnis heischend bemühte er die vertrackte „Härte des Lebens“, die darin bestehe, dass „man Erfahrungen sammelt, Irrtümer durchmacht und aus den Erfahrungen und Irrtümern gut herauskommen will. Da gebe man halt nicht gern zu“, dass „man frühere Auseinandersetzungen nur halb oder gar nicht führte. Vor allem, wenn sich im Nachhinein auch jene Gefahr verringert, deren scheinbare Größe einen einst abhielt, wirklich mutig zu sein.“ Modrow bemühte sich denn auch redlich, aus seinen „Erfahrungen und Irrtümern“ gut herauszukommen. Sein „Wahrnehmungsvermögen“ zu entstören, gelang ihm dabei allerdings nur sehr bedingt, und das auch nur, wenn er seinen Werdegang in der DDR reflektierte. Sicher, da gehörte er nicht zu denjenigen in seiner Partei, die sich für ihr in der DDR gelebtes Leben und für die Politik, die sie mitgetragen hatten, ständig entschuldigten. Er bekannte sich, wenn auch mit manchem Wenn und Aber, zur DDR und stellte viele ihrer Errungenschaften heraus. So war ihm die „große Aufbruchsstimmung“ Anfang der fünfziger Jahre, „der eingreifende Enthusiasmus jener Tage“, als „eine der entscheidenden Empfindungen meines Lebens im Gedächtnis geblieben“, schrieb er und fügte hinzu: „Wir sahen uns damals keineswegs als Instrumente einer fremden Politik, sondern als kräftige Subjekte, die von der ganz neuartigen Beherrschbarkeit der gesellschaftlichen Sphäre träumten“, die vorhatten, „eine ganz neue, ausbeutungsfreie, kriegsfreie und faschismusabstinente Realität zu schaffen.“

Waren es nur Träume? Waren die erreichten Ergebnisse gering zu schätzen? Waren die Bodenreform, die Beseitigung der Herrschaft des Kapitals und damit der Ausbeutung, die antifaschistischen Umwälzungen in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht tiefgreifende revolutionäre Veränderungen? Nein, korrigierte Modrow, dessen Sicht jetzt von den reformistischen Positionen der PDS bestimmt wurde. Denn der DDR revolutionäre Umwälzungen zuzugestehen, hätte sie nicht nur vor der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung einschließlich ihrer unter diesem Gesichtspunkt unvermeidlichen Missstände und Gebrechen rehabilitiert, sondern auch ihre Errungenschaften zum Maßstab der Einschätzung und des Handelns der Partei Modrows gemacht. „Was wir Revolution nannten, waren zu wesentlichen Teilen nur die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, die im Osten konsequent verwirklicht wurden“, hieß es, womit der Autor so das vorher herausgestellte „kräftige Subjekt“ der DDR-Geschichte ganz kräftig abwertete.

Wer den Platz der DDR in der Geschichte der jahrhundertelangen Klassenkämpfe zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Unterdrückern und Unterdrückten von revolutionären Positionen aus einschätzen will, wird zwangsläufig nicht um die Erkenntnis herumkommen, dass sie trotz aller Defizite die größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes war. Die historische Bedeutung der DDR wird bei all ihren Deformationen und Missbildungen, von denen die bürgerlichen Revolutionen der Vergangenheit in weit schlimmeren Maße heimgesucht wurden, gerade im Nachhinein, nach ihrer Zerschlagung, an den Versuchen deutlich, alles, was sie hervorgebracht hatte, auszurotten und aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen.

Solche Er- und Bekenntnisse suchte man bei Modrow lange vergebens. Bei vielen richtigen und kritischen Anmerkungen zu Demokratiedefiziten und Entartungen der ersten staatlichen Sozialismusgestaltung auf deutschem Boden, auch als Frühsozialismus eingeschätzt, fehlte eine Antwort auf die oft gestellte Frage, wie viel anders diese DDR denn unter den Bedingungen der erbitterten kalten Kriegsauseinandersetzung, der Abhängigkeit von der ökonomisch schwachen UdSSR und angesichts des übermächtigen westdeutschen Gegners hätte aussehen können?

Anzufügen wäre dem noch, dass Modrow nun nicht etwa korrigierte, den konterrevolutionären Ambitionen von „Runden Tisch“-Vertretern nicht Einhalt geboten zu haben, sondern „selbstkritisch“, festhielt, sich dem „Druck des Runden Tisches“ erst „relativ spät“ gebeugt zu haben. Ein früheres Nachgeben hätte ihm, so spekulierte er, „von bestimmter oppositioneller Seite“, wenn auch nur kurzzeitig, wie er einräumt, „Kredit an Vertrauen“ eingebracht.

Wenn Modrow dann das „Ausmaß an Verrat“ beklagte, den Führungsoffiziere der HVA begingen, dann fehlte jedes Eingehen darauf, wie er sein Verhalten, dass die DDR schutzlos den Geheimdiensten der BRD und USA auslieferte, einschätzte. Stattdessen feierte er den Bericht des „Runden Tisches“ über die von diesem durchgesetzte, von ihm danach angeordnete Auflösung des MfS als „eine Einmaligkeit“.

Im Mai 1999 verurteilte Modrow, wie Gysi und die PDS, dass die BRD sich in den Fußstapfen der Hitlerwehrmacht am Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligte. Er konstatierte, dass die Bundeskonferenz der Grünen bei „beachtlichem“ Widerspruch das „Kriegskabinett“ unterstützte. Dass sich ihnen auch frühere „Bürgerrechtler“ aus der DDR, die doch vorgegeben hatten, einen „besseren Sozialismus“ zu wollen, angeschlossen hatten, kam ihm nicht in den Sinn. Stattdessen verteidigte er die „Vision“ der PDS „für Europa“ und ihr „Ja zur europäischen Integration“ und vergaß dabei völlig, dass dieses Europa gerade den Aggressionskrieg führte, den er vorher verurteilt hatte. Dann schwafelte Modrow munter, diese PDS wolle, dass diese EU ein „sozial gerechtes, demokratisches und umweltbewahrendes Europa“ wird. „Wir wollen einen Kontinent freundlich verbundener Völker und gleichberechtigter Staaten“, schwadronierte er munter weiter. Kein Wort zur Verurteilung, dass Jugoslawien, wo die Völker Jahrzehnte friedlich in einem Bundesstaat zusammenlebten, mit Bomben zerschlagen, der Nationalismus geschürt und diese Völker nach dem alten imperialistischen „Teile- und herrsche“- Grundsatz aufeinandergehetzt wurden.14

Auch ein halbes Jahr später – die Ereignisse von 1989 lagen zehn Jahre zurück – waren keine selbstkritischen Reflexionen zu erkennen. Im Gegenteil, er sah sich „nicht als gescheitert“. In seiner durch Vertreter des „Runden Tisches“ erweiterten „Regierung der Nationalen Verantwortung“ hätten sich alle Minister redlich darum bemüht, „die Demokratie von unten mit der Demokratie von oben zu verbinden“. Er verstieg sich zu der Aussage „in der ganzen Geschichte der DDR hat es keine Phase gegeben, in der so viele demokratische Gesetze beschlossen wurden“. Da kann man nur den Kopf schütteln. Auch wenn Modrow mit der Frage, dass die Zeit vielleicht nicht genügend genutzt wurde, „um den Ungerechtigkeiten der staatlichen Vereinigung 15 vorzubeugen“, versuchte, das einzuschränken, blieb das eine an jeder Realität vorbeigehende Selbstüberschätzung. Dann machte er sich noch zum Fürsprecher der Osterweiterung der EU, bei der es „um den künftigen politischen Einfluss in einem größer werdenden Europa“ gehe. Dass dieses Europa kommt war „für ihn ausgemacht“ und er nahm es ebenso an wie er 1990 die „deutsche Einheit“ hingenommen hatte. Er hatte folglich auch nicht vor, etwas dagegen zu unternehmen. Es blieb bei seinem frommen Wunsch, zu helfen, dass diese Vereinigung in erster Linie im Interesse der Völker und nicht der Profite einer immer kleineren Zahl von nur auf „sharholder value“ fixierten „global players“ ist. 16 Es war das typische Lavieren eines Sozialdemokraten mit linkem Outfit, der auf diesen Positionen die Interessen des Kapitals vertritt, was Modrow sicher so nicht wollte, es aber so war.

30 Jahre nach dem Untergang der DDR, der unter seiner Regierung einsetzte, reflektierte Hans Modrow Fragen seiner Sicht auf die zurückliegende Entwicklung und korrigierte Aspekte seiner bisherigen Positionen. Interessant ist dass das mit Blick auf Kuba geschah. 17 Da widerspiegelte sich nun, dass er unter nicht wenigen Gesichtspunkten doch in der DDR verwurzelt blieb und davon manches hängen geblieben ist. Zu Kuba hatte er in DDR-Zeiten schon ein enges Verhältnis und bezog, davon ausgehend, auch nach 1989/90 immer antiimperialistische Positionen und bezeugte ihm Solidarität. 18 Die PDS hatte 1991 die Arbeitsgemeinschaft „Cuba Si gegründet“, die u. a. die Spendenkampagne „Milch für Kubas Kinder“ startete. „Manches von dem, was wir in der DDR – natürlich mit ganz anderen Möglichkeiten – an praktischer Solidarität mit den Menschen und dem revolutionären Prozess in Kuba begonnen haben, wird heute von engagierten Aktivisten (des Netzwerkes Kuba) weitergeführt“, so Modrow, Sein persönliches Engagement in der Fortsetzung dieser Solidarität würdigte Kuba im Februar 2019 mit der Verleihung des „Orden der Solidarität der Republik Kuba“.

Herauszustellen ist, dass Modrow nun frühere Einschätzungen zu Gorbatschows Perestroika-Kurs und -Reformen korrigierte und erklärte: „Nach dem, was mir heute bekannt ist, bin ich mit nichts von dem einverstanden, was Gorbatschow in die Wege geleitet hat. denn alles war von Anfang an auf Täuschung angelegt. Er selbst hat Ende der 1990er Jahre erklärt, dass es immer sein Ziel gewesen sei, mit der Perestroika den Sozialismus zu vernichten. Dies zeigt die Absicht des Verrats und die Charakterlosigkeit Gorbatschows.“ Und er hielt fest, dass Castro (im Gegensatz zur DDR und auch in seiner Regierung, was nicht erwähnt wird) diese Zielstellung Gorbatschows frühzeitig erkannte, und schon im Juli 1988 die Perestroika als „gefährlich“ und den „Prinzipien des Sozialismus entgegengesetzt“ einschätzte und seine „Analyse ihn und die kubanische Partei davor bewahrt haben, Schritte zu unternehmen, die für Kuba hätten gefährlich werden können“.

Modrow geht auf viele Faktoren ein, die Grundlage des Überlebens Kubas in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus nicht erst nach dem Untergang der UdSSR und des Ostblocks waren. Dabei klammert er in seinem Gespräch mit Hermsdorf zwei entscheidenden Fragen aus: Die Sicherung der führenden Rolle der kommunistischen Partei, und wie diese mit Castro beginnend, immer dem Volk die Wahrheit über alle Probleme, aufgezwungene soziale Härten und drohende Gefahren und wie man ihnen begegnen musste, sagte. Beide Fragen berühren, dass Modrow sich dann auch dazu hätte äußern müssen, wie er dazu in der „Wende“-Zeit als Ehrenvorsitzender seiner Partei (der PDS) und Regierungschef handelte. Der DDR-Bevölkerung wurde in dieser Zeit eine „revolutionäre Umgestaltung“ vorgegaukelt, sie über die beim Anschluss an die BRD drohenden sozialen Auswirkungen im Grunde genommen im Unklaren gelassen, die Macht mit dem Oppositionsgremium des Runden Tisches geteilt, die SED in eine sozialdemokratisch orientierte – wie von Gregor Gysi offen erklärt – nichtkommunistische Linkspartei umgewandelt, jede Zusammenarbeit mit der DKP abgelehnt, das MfS den Medien „zum Fraß vorgeworfen, die bewaffneten Kräfte jeder Aktionsfähigkeit beraubt wurden.

Damit sollen positive Gesichtspunkte der Darlegungen Modrows nicht übersehen werden. Er greift die Einschätzung des westdeutschen Publizisten Paul Serhe von 1965 auf, dass Pressefreiheit in den kapitalistischen Ländern „die Freiheit von 200 reichen Leuten ist“, fügt hinzu, dass das heute „viel schlimmer“ ist und verweist auf die mediale Legitimierung der NATO-Kriege gegen Jugoslawien. Fühlt sich dabei aber dennoch bemüßigt, wieder einzublenden, dass es „Angepaßtheit und Uniformiertheit in der Berichterstattung“ auch in der DDR lange Zeit gab. Sicher, das ist richtig, aber da diente es nun nicht der „Vorbereitung und Rechtfertigung militärischer Einsätze und Kriege“.

Er vermerkt kritisch, dass der Beitritt der DDR zur BRD auf der Grundlage des GG als eines „Provisoriums“, das keine Verfassung war, erfolgte, während in der DDR 1964 eine Verfassung, die vorher „in tausenden Versammlungen“ diskutiert wurde, angenommen wurde. E soll dahin gestellt bleiben, ob es illusorisch ist, anzunehmen, in der BRD könnte heute, wie Modrow andenkt, „eine Verfassungsdebatte“ angestoßen werden, und in einem solchen Prozess, sich zeigen würde „wie demokratisch diese Bundesrepublik wirklich ist“. Eine Seite später kommt er der Sache schon näher, wenn er festhält, dass, es in dieser Bundesrepublik „unvorstellbar“ (ist), dass „die Belegschaften der Betriebe sich an gesellschaftlichen Debatten beteiligen dürfen, obwohl sie davon betroffen sind“. Er vergisst, hinzufügen, dass das in den Volkseigenen Betrieben (VEB) der DDR gang und gebe war, enthüllt aber, dass es nach der „Wende´“ eine hemmungslose Zunahme sozialer Ausbeutung und Unterdrückung in Westdeutschland gab, es diese Erscheinungen, solange die DDR bestand, „nicht gab“, die Gewerkschaften im Westen in ihren Auseinandersetzungen mit den Unternehmern verdeckt oder offen auf soziale Standards in der DDR verweisen“ konnten, was „häufig nicht ohne Wirkung geblieben“ sei und die DDR mit ihren „sozialen Leistungen“ auch „in das Bundesgebiet“ wirkte. „Welche Urteile es auch immer über den realen Sozialismus gibt, er hat den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung grenzen gesetzt – und das gilt nicht nur für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten“, so Modrow weiter, der fortfährt: „Die schon von Marx gestellte Frage nach Platz und Rolle des Eigentums war und bleibt die Kernfrage gesellschaftlicher Entwicklung. Eine soziale und gerechte Gesellschaft braucht ein gesellschaftliches Eigentum, auf dessen Grundlage soziale Gerechtigkeit gestaltbar ist“. Und er kontert auch, „notwendig ist zunächst eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und dann steht die Frage ihrer Kontrolle an“. Das ist schon eine grundsätzliche Abkehr von opportunistischen Positionen, wie sie Gysi und seine Anhänger vertreten.

Ausführlich befasste sich Modrow mit der Frage, wird Kuba sich mit den vielfältigen Maßnahmen bis zum klug und rechtzeitig eingeleiteten Generationswechsel in der Führung gegen den Aggressionskurs der USA behaupten. Dabei fällt, wie schon erwähnt, auf, dass er mit keinem Wort darauf einging, dass der entscheidende Faktor ist und bleibt, die führende Rolle der kommunistischen Partei in diesem Prozess zu sichern. Dasselbe auch auf China wie auch Vietnam zutrifft.

Summa summarum kann man am Ende dieser Recherche zwar begrüßen, dass Hans Modrow diesen Weg des Nachdenkens und Korrigierens einschlug, er aber kaum etwas unternahm, dem in seiner Partei vorherrschenden Rechtskurs Einhalt zu gebieten, um den Linken Auftrieb zu verschaffen.

Anmerkungen:

1 Nach zu lesen in dem Buch, „Ich wollte ein Neues Deutschland“ (Dietz Verlag Berlin 1998), das Modrow zusammen mit Hans Dieter Schütt, dem früheren Chefredakteur der „jungen Welt“ und späteren langjährigem Ressortchef des „ND“, schrieb. Ich habe das Buch ausführlich in den „Weißenseer Blättern“ 1/1999 vorgestellt: Zu Hans Modrows Buch „Ich wollte ein Neues Deutschland“.

2 Eberhard Czichon/Heinz Marohn: „Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf“, PapyRossa, Köln 1999, S. 345.

3 Auch ihn kannte ich gut. Während meiner Zeit in Kinshasa, wo ich von 1983 bis 1987 Botschafter war, war er als Stellvertretender Minister mein zuständiger Ressort-Chef und kannte meine Einschätzung zu Gorbatschow. In der „Wende“-Zeit hatte ich Gelegenheit mich mit ihm darüber und u. a. auch über Modrow auszutauschen.

4 Gerd König: „Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Fiasko eines Bruderbundes“. Berlin 2010, S. 394.

5 „Keine Zeit für Illusionen“. Karl-Heinz Arnold: Mit Hans Modrow erlebt: das vorletzte Kapitel der DDR-Geschichte. Wochenpost, Nr. 38/1990.

6 König, S. 393 ff.

7 Konkret-Verlag, Hamburg 1991.

8 „Hans Modrow über verpasste Chancen und das Ende der DDR“. „ND“ zur Modrow-Initiative „Deutschland einig Vaterland“, 1. Februar 2000.

9 Heinz Engelhard mit Peter Böhm: Der letzte Mann. Coundown fürs MfS, Edition Ost, Berlin 2019.

10 Im Gespräch mit „junge Welt“ , 13. Juli 2019.

11 Bis zu seinem Rücktritt 1986 Chef der HVA (Auslandsaufklärung) des MfS.

12 Hans Modrow: Von Schwerin bis Strasbourg. Edition ost, Berlin 2001.

13 “Verfolgung von Angehörigen der NVA beenden“, ND, 23. Juli 1997.

14 „Unsere Zeit“, Volker Hermsdorf: Gespräch mit Hans Modrow, 28. Mai 1999.

15 Selbst in diesem Satz wird schon wieder die Wahrheit verdreht, denn es war, selbst nach dem Grundgesetzt, keine Vereinigung, sondern ein Anschluss (Beitritt).

16 Hans Modrow: „Demokratie von unten und oben verbinden“, Neues Deutschland, 17. November 1999.

17 Nachzulesen in dem bereits angeführten Buch Volker Hermsdorfs.

18 Ich will hier nicht beckmessern, aber es ist schon so, dass Positionen der Solidarität mit dem Volk Kubas, das seine sozialistische Ordnung gegen die Angriffe der USA verteidigt, kein Internationalismus sind und Modrow auch, wie ich das im Weiteren darlege, einem klaren Bekenntnis zur führenden Rolle der KP Kubas auswich. Das wurde auch in der Führung Kubas, für die die Solidarität Modrows eine wertvolle Hilfe war und ist, so gesehen.

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