Spurensuche zum Untergang der DDR – Wie Geheimdienstchef Markus Wolf sein Scherflein dazu beitrug

Markus Wolf redet aauf einer Demonstration in der Hauptstadt der DDR. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-040, Foto: Hurbert Link, CC-BY-SA 3.0, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 4.11.1989

Berlin, Bundesrepublik Deutschland (Weltexpress). Im Fahrwasser von Hans Modrow segelte auch der legendäre langjährige Chef der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, Markus Wolf. 1 Seinem Buch „Spionagechef im geheimen Krieg“ (deutsche Ausgabe München 1997) war zu entnehmen, dass er allen Ernstes bereits 1990 mit dem Gedanken spielte, ein Angebot der CIA anzunehmen und für diese „eine Aufgabe“ bei der Enttarnung eines „Maulwurf“ im KGB zu übernehmen.2 Wolf wollte daraus auch ein gutes Geschäft für sich machen und bestand auf einer „verdeckten Form der Zusammenarbeit“, um „nicht mein Gesicht zu verlieren“. Ein Verlag oder eine Filmgesellschaft sollten ihn zur Vermarktung seines Buches in die USA einladen. Die CIA war jedoch in Zeitnot, und wollte Wolfs sofortige Bereitschaft, „zu beraten“ und „zu helfen“. Daran scheiterte das Vorhaben dann.

Bei der Vermarktung seines Buches ließ Wolf dann linke Verlage außen vor 3 und unterwarf sich, ganz offensichtlich aus Gründen der Honorarhöhe, den Bedingungen des New Yorker Random House. Dem Verlag, der heute zu Bertelsmann gehört, überließ er die Weltrechte und die Filmrechte dazu. Das Buch erschien, von Ghostwritern auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten, in Lizenzausgaben in vierzehn Ländern in elf Sprachen. Für die englischsprachige Ausgabe, die unter dem Titel „The man without a face“ (Der Mann ohne Gesicht) erschien, engagierte Wolf als Ko-Autor nicht etwa einen renommierten linken Publizisten, von denen es in den USA oder Großbritannien nicht wenige gab, sondern die frühere stellvertretende Chefredakteurin des konservativen „Spectator“Anne McElvoy, die von 1988 bis 1992 Korrespondentin der Londoner „Times“ in der DDR bzw. Berlin war.4

Bei ihr wie anderen Helfern, darunter dem langjährigen „Stern“Journalisten Kai Herrmann, bedankte er sich „für Rat, Unterstützung und die … bezeigte Solidarität und Hilfe“ bei der Vorbereitung der Ausgabe. Die damals 31jährige McElvoy, „dankte“ es ihm, indem sie ihn in der „FAZ“ im Juni 1997 durch den Kakao zog, sich als sein “moralischer Fitnisstrainer“ brüstete, ihm „merkwürdig unterentwickelte moralische Maßstäbe“ nachsagte und als „Monstrum“ charakterisierte. Wolf konnte sich trösten, denn mit dem Buch soll er zweistellige Millionenbeträge eingefahren haben.

Als die „Welt am Sonntag“ (WaS), zu deren Themen sonst die Schürung der „Stasi“-Hysterie gehörte, ihm auf ganzen zwei Seiten 5 einen recht wohlwollenden, mit viel, wenn auch verstecktem, Lob geschmückten Beitrag widmete, bescheinigte er ihr dafür, dass der Sozialismus „ein deformiertes System war“ und die Jahre nach dem Untergang der DDR zwar die „vielleicht schwersten“ aber auch „die schönsten“ seines Lebens waren. Er versuchte zwar, das an der Ehe-Idylle mit seiner über zwei Jahrzehnte jüngeren dritten Frau festzumachen, zu der er von sich gab, „ich wusste nicht, dass es ein so erfülltes Leben geben kann.“ Damit das Ganze nicht nach offenem Renegatentum aussieht, bescheinigte ihm die „WaS“ dass „er Kommunist blieb“ und von ihm Verrat „nicht zu haben war. Wirklich nicht?

Gabriele Gast, eine der erfolgreichsten Kundschafterinnen der HVA, sah das anders. 6 Die hochintelligente Wissenschaftlerin arbeitete seit 1973 in der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), wo sie bis zur Regierungsdirektorin aufstieg. Sie war über eineinhalb Jahrzehnte die wichtigste Quelle der HVA in Pullach und Wolf leitete ihre Tätigkeit viele Jahre selbst. Ihre Enttarnung gelang, weil der Oberst der HVA Karl-Christoph Großmann (nicht verwandt mit dem letzten HVA-Chef Werner Großmann) sie an den BND verriet. Sie wurde zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. 15 Monate wurde sie einer Isolationshaft unterworfen. Vor Gericht musste Gast erleben, dass Wolf sich nicht solidarisch an die Seite seiner Kundschafter stellte, sondern „sich in eine politische Oppositionsrolle innerhalb der DDR zu argumentieren“ und „als Parteigänger Gorbatschows politisch zu profilieren“ suchte. Gast und der frühere MfS-Oberst Eichner enthüllten in diesem Zusammenhang, dass Gysi und auch Modrow hinnahmen, dass die früheren Mitarbeiter der HVA strafrechtlich verfolgt wurden, was gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes verstieß, während die ostdeutschen Mitarbeiter des BND straffrei ausgingen, weil sie, wie der Bundesgerichtshof urteilte, in Übereinstimmung mit den Gesetzen gehandelt hätten. Ministerpräsident Modrow ließ, so Gast, auf ihre Bitte um Unterstützung mitteilen, sie möge sich doch „an die Kirche als karitative Organisation wenden“. Gregor Gysi hatte die Stirn, ihr zu sagen, „was sie denn eigentlich wolle“, schließlich „hätte ich gegen die Strafrechtsbestimmungen meines Staates verstoßen!“ Kein Wunder, dass es die von Gysi geführte PDS auch hinnahm, dass der Bundestag 1992 rückwirkend alle in Ostdeutschland seit 1945 „wegen politischer Verfolgung“ verurteilten Westagenten rehabilitierte. Damit wurde, so Gast, „der DDR das Recht eines souveränen Staates abgesprochen, sich strafrechtlich gegen Spionage zu schützen“. Außerdem erhielt die Organisation des Hitlergenerals Gehlen „damit sozusagen den nachträglichen Persilschein: Sie ist seit dem 8. Mai 1945 laut diesem ‚SED-Unrechtsbereinigungsgesetz‘ demokratisch völlig legitimiert.“

In den Grauzonen des Verrats bewegte sich Wolf in diesem Buch, als er sich beispielsweise dem „Geist der Wendezeit“ folgend, zu dem wegen Hochverrats zum Tode verurteilten hochrangigen MfS-Mitarbeiter Werner Teske, der zum BND überlaufen und mit seinem Wissen Dutzende in der BRD arbeitende Kundschafter ans Messer liefern wollte, äußerte, das Urteil sei „juristisch nicht zu rechtfertigen“ und seine Vollstreckung 1981 als „unverständlich“ bezeichnete. Seine Wertung wurde 1998 im Prozess der bundesdeutschen Justiz vor dem Berliner Landgericht gegen den Militärrichter Karl-Heinz Knoche und den Militärstaatsanwalt Heinz Kadien, die das Urteil beantragt bzw. gefällt hatten, zur Beweisführung herangezogen. Gegen die DDR-Juristen wurden vierjährige Haftstrafen verhängt. 7

Einen Höhepunkt seiner Medienstarkarriere, während der er von einer Talkshow zur anderen tingelte, Interviews von „Stern“ bis „Spiegel“ verkaufte und selbst den „Playboy“ nicht aussparte, in einem Dutzend Fernsehsendungen posierte, erlebte er in dem Film „Die Wolfs“, den die ARD in ihrem Hauptprogramm ausstrahlte. Vorgeblich widmete sich der subtilen Antikommunismus ausstrahlende Streifen der Familie des bekannten Schriftstellers und Kommunisten Friedrich Wolf, dem Vater des früheren HVA-Chefs. Auch Markus Wolfs Bruder Konrad, der Filmemacher und einstige Präsident der Akademie der Künste der DDR, fehlte nicht. Vornehmlich diente das Ganze jedoch wieder einmal vor allem dazu, Markus Wolf, der durch die Handlung führte, als „honorigen Kommunisten“ vorzuführen. Dieser wusste längst, dass er in den Medien der Bourgeoisie für eine gute Gage auch etwas bieten musste. Gleich zu Beginn trat er als Freund des bekannten antikommunistischen „Kommunismus-Experten“ Professor Wolfgang Leonhard 8 auf und gab sich am Ende des Films bei einem Familientreffen als Zeuge für die Aussage her, dass die Träger des großen Namens ihre Ideale auf immer verloren hätten und „ganz gewöhnliche Bundesbürger“ geworden seien. Wie „gewöhnlich“, soll hier dahingestellt bleiben.

Im Besitz neuer Erkenntnisse über Markus Wolf habe ich mir noch einmal die „Troika“ vorgenommen, jenes Buch, das 1989, als die Konterrevolution zum Angriff rüstete, im Aufbauverlag der DDR erschien. Angeblich um dieses Buch, aber auch um seine Memoiren zu schreiben, die dann nach dem Sieg der Konterrevolution unter dem bereits erwähnten Titel „Spionagechef…“ erschienen, quittierte er 1986 den Dienst als HVA-Chef. Lagen die Motive nicht tiefer? War er nicht schon zu dieser Zeit, wie er schreibt, dabei, über die „Krankheit des Systems nachzudenken, das wir für Sozialismus hielten“? Stand er nicht schon damals im Sog von Gorbatschows „Perestroika“, die, wie dieser opportunistische Agent des Imperialismus inzwischen bekannte, die Liquidierung der UdSSR, den Verkauf der DDR an die BRD eingeschlossen, zum Ziel hatte. Führte ihn das an die Seite von Gregor Gysi und der Anführer des SED-Parteiputsches von 1989, mit dem der Konterrevolution in die Hände gearbeitet und der reformistische Kurs des Ankommens in der BRD eingeleitet wurde? Fest dürfte bereits heute stehen: Wolf gehört zu denen, die am besten, vor allem am bestdotierten, im imperialistischen System ankamen.

Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass Überläufermentalität selbst hohe Chargen erfasste, was viele Quellen der Hauptverwaltung Aufklärung „teuer bezahlen“ mussten, schreibt der von Hans Modrow mit der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), des Nachfolgers des MfS, beauftragte General Heinz Engelhardt.9 Das sei so weit gegangen, dass „der eine oder andere General der Abwehr“ gedacht habe, er könne nach einem Seitenwechsel „beim Verfassungsschutz reüssieren“. Diese Denkweise sei nicht auf das MfS beschränkt gewesen. Auch bei der NVA, der Volkspolizei und der Zollverwaltung hätten sich einige führende Leute „schon in der Uniform eines neuen Dienstherren“ gesehen.

Sein „Ankommen“ in „Deutschland einig Vaterland“ 10 bewahrte Wolf wie auch Modrow dennoch nicht vor der bundesdeutschen Rachejustiz. 1993 wurde Wolf angeklagt und zu sechs Jahren Haft verurteilt, die später aufgehoben wurden. In einem zweiten Prozess erhielt er 1997 eine Bewährungsstrafe.

Anmerkungen:

1 Von 1952-1986.

2 Ich habe das Buch in „Marxistische Blätter“, 2/1998 rezensiert: „Markus Wolfs Memoiren“.

3 Ich habe damals einige Verlage kontaktiert und erfahren, dass keine Angebote/Anfragen eingingen.

4 Zur Geschichte der DDR und Impressionen aus ihrer Korrespondentenzeit erschien 1992 bei Faber and Faber London ihr Buch „The Saddled Cow“.

5 „Besuch bei Markus Wolf“ und „Bis morgen, Karl (Marx)“, Ausgaben vom 26. November, 3. Dezember 2000.

6 Klaus Eichner: Agentin in der BND-Zentrale. Gabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum, Edition Ost, Berlin 2015.

7 „ND“, 3. Juli 1998.

8 Von ihm erschien u. a: Eurokommunismus. Herausforderung für Ost und West, München 1978.

9 Heinz Engelhard mit Peter Böhm; Der letzte Mann. Coundown fürs MfS, Edition Ost, Berlin 2019.

10 Wie die Anbiederung an das der DDR von der BRD übergestülpte System von der Führung der PDS um Gysi gern genannt wurde.

Es folgt demnächst: Verantwortlich dafür, dass die „friedliche Revolution“ Tausende in den Tod trieb

Siehe die Beiträge

im WELTEXPRESS.

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Polit-, Bildungs- und Studienreisen durch die Bundesrepublik Deutschland –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Vorheriger ArtikelAusländerpartei SPD oder Eine Partei der Umvolker und Bellizisten immer noch über zehn Prozent
Nächster ArtikelUrlaub, Medien, Prominenz