Olympische Winterspiele in Pyeongchang: Medaillensoll übertroffen – Kein Grund zum Meckern?

Der Bokwang-Snow-Park in Südkorea.
Der Bokwang-Snow-Park in Südkorea. © PyeongChang2018

Berlin, Deutschland; Pyeongchang, Südkorea (Weltexpress). Nie gab es mehr Podiumsplätze und Medaillen für eine deutsche Mannschaft bei Olympischen Winterspielen als nun in Südkorea.

Dabei hatte das Abschneiden vor vier Jahren in Sotschi einen nahezu entgegengesetzten Stellenwert: Mit Rang sechs im Medaillenspiegel und lediglich 19 Medaillen war dort die Bilanz fast katastrophal schlecht. Nun also die Steigerung auf 31 Plaketten (14x Gold!) und Platz zwei hinter Norwegen (39/ ebenfalls 14x Gold). Das verdient Respekt und Anerkennung! Nur einmal reisten die Deutschen mit mehr Medaillen (2002/ 36) von Winterspielen heim.

Nach 2014 eine Mahnung des Bundesinnenministers

Den Impuls zu verstärkten Anstrengungen dürfte das Bundesinnenministerium (BMI) unter Leitung von Thomas de Maizière ausgelöst haben, das nach der Pleite in Sotschi angemahnt hatte, „Bitt` schön“ ein paar Medaillen für Schwarz-Rot-Gold möchten es in Südkorea schon sein für die zur Verfügung gestellten Millionen an Steuergeldern.

Und so flutschte es fast wie auf Knopfdruck bei der Medaillenhatz. Das Startsignal dazu dürfte wohl von der goldenen Ouvertüre durch die Biathletin Laura Dahlmeier am ersten Wettkampftag ausgegangen sein.

Angespornt durch ihr Beispiel folgten vor allem die Vertreter in vier Sparten diesem Erfolgskurs. Im Biathlon, in der Nordischen Kombination, im Rennschlitten- und Bobsport zeigten die deutschen Asse eine teilweise übermächtige Dominanz. Jeweils drei Olympiasiege und weiteren Medaillen waren die Basis für das Abschneiden und den Sprung auf die kaum erwartete zweite Position im Medaillenspiegel. Die Teilnahme in den vier Sportarten hätte ausgereicht, um die enttäuschende Bilanz von Sotschi zu überbieten und vor den drittplatzierten Kanadiern in der Nationenwertung zu bleiben.

Emotional allerdings dürften die Schussfahrten im Schnee oder Eiskanal nicht so viel Empathie ausgelöst haben wie beispielsweise die Goldkür des international deutschen Eislaufpaares Aljona Sawtschenko, eine gebürtige Ukrainerin, mit Bruno Massot, einem gebürtigen Franzosen. „Deutschland hat uns die Bedingungen geboten für unsere sportliche Entwicklung und deshalb gebührt Deutschland auch die Anerkennung in der Medaillenwertung“, erklärte die 34-jährige Sawtschenko.

Und dann die Auftritte bar jeglicher Vorstellungskraft des Eishockeyteams. In der Vorrunde zwei Niederlagen gegen die Finnen und Schweden kassiert. Dann die nicht Weltmeister würdige Formation der Tre Kronors im zweiten Aufeinandertreffen nieder gerungen. Und schließlich den Rekord-Olympiasieger Kanada – oder was unter dieser Firmierung antrat – im Halbfinale mit einer großartigen kämpferischen Leistung aus allen Träumen gerissen.

Deutschland erstmals in einem olympischen Finale

Die Nichtfreigabe der Profis aus der nordamerikanischen Liga NHL, die die weltbesten Puckjäger mit Millionen-Gehältern lockt, hat den normalerweise zweitklassigen Deutschen diese große Chance eröffnet. Und die haben die Männer um den mit reichhaltiger NHL-Erfahrung ausgestatteten Verteidiger Christian Ehrhoff resolut und spektakulär genutzt.

Vielleicht ist es ganz gut so, dass die 3:4-Niederlage nach Verlängerung im Endspiel gegen Rekord-Weltmeister Russland, der zuletzt 1992 zu olympischen Goldehren kam, nicht den Blick für die Realitäten verkleisterte. In diesem denkwürdigen Turnier wetteiferten die deutschen Cracks auf Augenhöhe mit den weltbesten Eishockey-Nationen. Inwieweit sie tatsächlich im Leistungsvermögen aufgeschlossen haben, wird sich eher bei der ausstehenden Weltmeisterschaft vom 4. bis 20. Mai in Dänemark zeigen. Falls die Großmächte mit Superstar Crosby und Co. In die Arena steigen.

Deutschlands Aufgebot hat die Medaillen-Erwartungen übertroffen – als typisches Wintersportland allerdings dürfte es kaum gesehen werden. Erfolgreich war es dort, wo technologisches Know how und Strukturen maßgeblich mitentscheiden. So im Rodeln und Bobfahren. Vier Kunsteisbahnen, deren Betrieb jährlich ca. fünf Millionen Euro kostet, leistet sich kein anderer Verband der Welt. Auch nicht die in Deutschland vom normalen Dienst befreite Hundertschaft in Bundeswehr- und Polizei sowie Zoll – siehe insgesamt 114 Olympiateilnehmer . In die Entwicklung eines optimalen Zweierbobs für Frauen hat das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin mehr als 400 000 Euro investiert. Unter Zuhilfenahme der Dienste von VW und BMW durch deren Strömungskanäle. Noch höher dürften die Aufwendungen für die maßgeschneiderten Männer-Bobschlitten, inklusive des Vierers, gewesen sein.

Ein Riesenaufwand und konkurrenzlos weltweit. Für Wettbewerbe, die für den Breitensport praktisch bedeutungslos sind. Was gleichermaßen für die beiden anderen deutschen Erfolgssparten Nordische Kombination und dem TV-Publikumsrenner Biathlon gilt.
Die klassischen Kernsportarten des olympischen Wintersports – Skilanglaufen und Eisschnelllaufen/Shorttrack – sind im Erfolgspaket der Deutschen so gut wie nicht vertreten.

Ganz im Gegensatz zum norwegischen Erfolgsrezept. Die Wikinger mit ihren gerade mal 5,3 Millionen Einwohnern kamen verdientermaßen auf Platz eins des Medaillenspiegels. Sie räumten in ihren Volkssport Skilanglauf ab. Sie waren in den alpinen Rennen sowie im Eisschnelllaufen im Gegensatz zu den Deutschen bemerkenswert zahlreich auf dem Siegertreppchen. Und zeigten bei lediglich 109 Olympiakämpfern – Deutschland 154 – auch in den neuen Trendsportarten, im Skispringen und Biathlon ihre Bandbreite eindrucksvoll. Am Ende wurde es ein 39-faches Medaillen-Festival.

Auch ohne Ambitionen und Millionen-Subventionen für Bob- und Rodelsport. Auch ohne soziale Abfederung ihrer Akteure bei Polizei und Heer. Auch ohne staatliche Medaillen-Prämien wie bei den Deutschen (20 000 Euro beispielsweise für Gold) und nicht annähernd ähnliche Zuschüsse wie von der Deutschen Sporthilfe.

Natürlich nagen die Sportstars im reichen und sportverrückten Norwegen nicht am Hungertuch. Sie lernen früh, sich auf eigene Faust, mit Hilfe von Verwandten oder Managern zu vermarkten. Verlieren dabei aber kaum ihren ausgeprägten sportlichen Ehrgeiz aus den Augen.

Das Paradebeispiel dafür ist die 37-jährige Skilauf-Millionärin Marit Björgen. Die auf einem Bauernhof groß gewordene Rekord-Weltmeisterin und Rekord-Weltcupgewinnerin hatte vor Pyeongchang alles gewonnen, was es für sie zu gewinnen gab. Dennoch stellte sie sich nach Geburt ihres Sohnes wieder der monotonen Mühle des täglichen Trainings. Und schaffte nun mit dem Triumph im 30-km-Skimarathon am Schlusstag ein weiteres Superlativ ihrer Kariere: Mit jetzt acht Mal Goldplaketten und insgesamt 15 olympischen Medaillen ist sie die erfolgreichste Winter-Olympionikin aller Zeiten. Das war bisher Landsmann und Biathlet Ole Einar Bjoerndalen.

Marit Björgen weiß, wie es geht

Björgen steht allerdings zugleich für fragwürdige Praktiken im olympischen Wettstreit. Sie darf aufgrund eines ärztlichen Attests bis zu einem Grad ein Asthmaspray benutzen. Das enthält u.a. das Medikament Salbutamol, was auf Dopingliste steht. Mediziner sind von der leistungssteigernden Wirkung überzeugt.

Die Norweger haben bei ihrer Einreise angegeben, für ihre asthmageplagten Ausdauersportler (Skilanglauf, Eisschnelllauf, Biathlon) 6000 Spraydosen im Gepäck zu haben.

Kritiker sehen die Verwendung von Anti-Asthma-Präparaten mittels Attest als Einladung zum Doping-Missbrauch. Radsport-Profi und Tour-Gewinner Chris Froome wurde bei einer Dopingkontrolle ein über den Grenzwert befindlicher Salbutamol-Spiegel nachgewiesen. Bis zu seiner Anhörung darf er weiter Rennen fahren.

Alfons Hörmann, Chef des für die Olympiamannschaft verantwortlichen Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erklärte auf Anfrage, ihm seien keine deutschen Olympiastarter mit Attesten und Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme eigentlich verbotener Wirkstoffe bekannt. Und ja, die Russen hätten für die Dopingmachenschaften 2014 eher einen Komplettausschluss verdient.

Hosen wie in der Backstube und Pudelmützen vom Wühltisch

Ricco Groß, deutscher Vierfach-Olympiasieger im Biathlon und seit 2015 Trainer der russischen Männer, hat da so seine Zweifel. Der Umgang mit Russland in der Dopingproblematik sehe so aus, als ob dies nicht fair geschehe und vor allem politisch motiviert sei. Dem besten Biathleten Russlands, Anton Shipulin, den Start nun zu verwehren, ohne einen positiven Dopingbefund, sei eher Willkür…

Ähnlich darf manch deutscher Olympia-Protagonist die scheußlich-gräuliche Mannschaftskleidung empfunden haben. Zerbeulte Hosen wie in der Backstube, Jacken mit Stopfwurst-Charakter und Pudelmützen, in Farbe und Designe wie vom Wühltisch eines Supermarkts – Deutschland, Kleidung und Schick war noch nie deine Stärke!

Genervt hat auch die Dauerberieselung im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das wieder einmal – weil es so Tradition ist – doppelt mit ARD und ZDF sowie jeder mit eigenen Experten vertreten war. Ein längst nicht mehr zeitgemäßes Doppelspiel zu Lasten des Zwangsgebühren-Zahlers.

Auch wenn Funktionäre und Sportstars eher in ihrem eigenen Kokon von übersteigerter Selbstdarstellung und Bedeutung leben – das Schampussprühen bar jeder Vernunft im Deutschen Haus passt nicht zu einem Land mit vielen Tausend Essentafeln und Obdachlosen, die in der Kälte bibbern. Auch da sollte eine andere Feierkultur zu finden sein.

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