Nichts ist gut in Afghanistan – Der Dokumentarfilm »Der Junge Mir« erzählt vom Alltag einer Familie in Afghanistan

Dem britischen Dokumentarfilmer Phil Grabsky lief im Jahre 2001 bei den Ruinen der historischen Buddhafiguren in Bamian, die die Taliban gesprengt hatten, der achtjährige Junge Mir quasi vor die Kamera. Mir war ein zutrauliches, fröhliches Kind. Grabsky beschloß, das Heranwachsen des Jungen mit der Kamera zu begleiten. Bis zum Juni 2010 filmte er ihn regelmäßig, befragte ihn, ließ ihn erzählen.

Die Geschichte des Jungen ist die Geschichte seiner Familie. Aus dem umkämpften Norden sind sie nach Bamian geflohen und hausen dort in einer Höhle. Sie haben kein Geld und keine Arbeit. Sie hoffen auf eines der Häuser, die eine Hilfsorganisation baut. 200 Familien warten, aber nur 100 Häuser werden gebaut. Die Familie kehrt zurück in ihr Dorf, wo sie wieder in einer Höhle lebt, weil alles zerstört ist. Zum Wiederaufbau ihres Hauses hat sie kein Geld. Sie sind landlose Bauern, die kaum Arbeit finden und Schulden machen müssen. Mir geht zur Schule, so oft es möglich ist, aber mit 13 muss er in einer Kohlenmine den Lebensunterhalt der Familie verdienen. Arbeitsschutz ist unbekannt. Fast alle Gespräche, die Grabsky aufnimmt, drehen sich um die Schule: Mal soll der Junge damit aufhören und arbeiten, mal wird er gescholten, wenn er nicht hingeht. Für die Armee lässt er sich nicht werben. Er will nicht verwundet werden oder sterben. Manchmal kommen Hilfsorganisationen und verteilen etwas, manchmal kommen NATO-Soldaten und machen leere Versprechungen. Die haben Angst und verschwinden bald wieder. Vor der Kamera sagen die Dorfleute, sie werden nie Freunde der Amerikaner oder der Engländer sein. Die brachten nichts, keine Sicherheit. Es wäre ihnen lieber, wenn sie weggingen.

10 Jahre sind für Mir und seine Leute verstrichen. Der Hunger, die Wohnungsnot und das Elend sind geblieben. Das Tagelöhnerleben geht weiter. Als nun Erwachsener hat Mir begriffen, dass er darum kämpfen muss, arbeiten und lernen zu können. Die Kinderträume sind zerronnen.

Grabsky hatte nicht den Plan, die Lage im Lande zu analysieren. Allein der Blick auf Mir und seine Familie erschüttert durch die Hoffnungslosigkeit dieses Lebens. Man sieht ein geschundenes Land ohne Frieden und sozialen Fortschritt. Bilder von einer kernigen Rede des Lehrers und von lächelnden Kindern wirken angeklebt. Woher Grabsky am Ende des Films die Kunde nimmt, der Truppenabzug habe begonnen, bleibt unerklärlich. Die Bundeswehr zum Beispiel klammert sich zäh an das Land. Nichtsdestoweniger gibt der Film realistische Einblicke, deren Verbreitung durch die späte Sendezeit geschmälert werden dürfte.

Der Junge Mir. 10 Jahre in Afghanistan, Dokumentarfilm von Phil Grabsky, Großbritannien/Deutschland 2011, 90 Minuten, Erstausstrahlung heute auf ARTE,22.40 Uhr

Vorheriger ArtikelDer Schuh von „meiner“ Kuh – Meindl beschreitet neue Wege zur Identität am Fuß – Ein langer Weg vom Rohstoff zum Endprodukt
Nächster ArtikelAir Berlin: Steigt Qatar Airways bei Air Berlin ein?