Musikalische Leckerbissen und Ohrenschmaus – Die Berliner Orchester bieten vielerlei Kunstgenüsse für’s jüngste Publikum

Wie zu erwarten, war das FamilienWEIHNACHTSkonzert Stringle Bells in der Berliner Philharmonie restlos ausverkauft. Vom etwas kühn geklöppelten Titel wollte sich niemand abhalten lassen, einen Blick in die Trickkiste der Streicher des weltberühmten Orchesters zu werfen. Souverän und charmant wie immer stellte Sarah Willis, die mit einem fröhlichen Hornsolo das Konzert eröffnet hatte, ihre Kollegen und deren Instrumente vor: die Geigen, die Bratschen und die Kontrabässe. Die Celli durften – leider – nicht mitmachen, weil bereits eines der vorhergehenden Kinderkonzerte ganz ihnen vorbehalten war. Nacheinander führte jede Gruppe vor, dass sie den Bogen raus und jedes Instrument seinen ganz eigenen Klang hat. Sie spielten Adagio und Allegro aus dem Konzert D-Dur von Georg Philipp Telemann. Und jeder im Saal hörte wohl immer dieselbe Musik, aber auch, dass diese jeweils anders klang. Konzertmeister Daniel Stabrawa erläuterte Fachbegriffe wie Staccato oder Pizzicato, erklärte, was Pferdehaare für einen Geigenbogen bedeuten, und demonstrierte, dass ein Geiger mit seinem Instrument jedes Gefühl auszudrücken vermag. Die Violine kann fröhlich oder traurig singen, wütend oder verliebt sein. Und die Zuhörer verstanden auch das. Gesteigerten Beifall gab`s für die Stücke, die von allen Musikern gemeinsam gespielt  wurden und in die auch die Kollegen Schlagzeuger mit  Röhrenglocken, Kuhglocken, Glöckchen, Schellen und sogar einer Fahrradklingel einstimmten. Nur die mächtigen »Berliozglocken«, die so heißen, weil sie extra zur Aufführung der Symphonie fantastique von Hector Berlioz gegossen wurden, standen stumm auf der Bühne rum. Dafür sang bei »Jingle Bells« fast jeder im Publikum mit. Damit hatten Andrea Tober und ihre Mitarbeiter vom Educations-Team wahrscheinlich gerechnet. Fest eingeplant hatten sie den Auftritt einer Schülergruppe der Charlie-Chaplin-Schule Berlin-Reinickendorf , die von den Rängen herabtanzte (Choreografie: Volker Eisenach/ Anja Meser) und als quirlige Schneeflöckchenwolke fürs passende Ambiente sorgte. Ein nachhaltiges Erlebnis für alle, die mitmachen und für die, die dabei sein durften.

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Im Berliner Konzerthaus gab es ein Wiedersehen mit dem Bummelpeter. Das musikalische Theater mit Menschen und Puppen nach einem Buch von Albert Wendt bereicherte bereits im vorigen Jahr das Programm des Hauses. Wendt, ein Dichter, der sich nicht nur mit fantasievollen Hörspielen und Theaterstücken längst einen Namen gemacht hat, sondern sich besonders gern auch stille und trotzdem aufregende Geschichten für Kinder ausdenkt, erzählt in »Bummelpeters Weihnachtsfest« von einem Kindheitserlebnis: von seinem schönsten und für immer unvergessenen Weihnachtsabend – der allerdings wenig erfreulich begonnen hatte. Der Junge war am Weihnachtsabend in den Dorfteich gefallen und hatte, obwohl tropfnass, Unterschlupf nur in einem Schafstall gefunden. Die Erwachsenen, mit  Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, hatten lediglich den guten Rat gehabt: »Geh nach Hause, sonst holst du dir den Tod!« Die Wolltiere  hingegen rückten zusammen und wärmten, der Schäfer rubbelte ihn wie ein neugeborenes Lamm mit einem Strohbüschel trocken und brachte den Fiebernden ins Krankenhaus. Dort hat die resolute Oberschwester Hypolita (Ute Kahmann) das Sagen: »Auf meiner Station stirbt mir Weihnachten kein Kind!« Sie singt ein Wiegenlied, packt den Kleinen ins Bett und hält ihn gemeinsam mit dem Doktor (Thomas Mette) und fröhlichem Puppenspiel munter. Ihre liebevolle Zuwendung wärmt den Jungen und stärkt seine Lebensgeister. Der Tod verliert die Geduld und macht sich davon. Peter schläft sich gesund. Und jeder im Saal kapiert: In einer kalten, ungemütlichen Welt braucht es Herzenswärme, damit ein Mensch überleben kann. Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit und Liebe sind die beste und sogar eine kostenlose Medizin. Das ist die alte und auch heute noch gültige Weihnachtsbotschaft.

Die bringt Albert Wendts Text (Erzähler: Martin Seifert) gradlinig und selbst für die kleinsten Besucher verständlich rüber. Die Musik von Jens Naumilkat erweitert die Gedankenwelt des Dichters, lässt bekannte Melodien aufscheinen, driftet aber niemals in landläufigen Weihnachtskitsch ab. Leider ist die Umsetzung durch Regie (Antje Siebers) und Dramaturgie (Gabriele Nellessen) weniger adäquat. Die bereits im Vorjahr deutlich erkennbaren Schwachstellen wurden nicht beseitigt. Die lebensgroße, naturalistische Peterchenfigur (Puppenbau Maarit Kreuzinger), die durch die Szene geschoben wird, ist nach wie vor seltsam unbeteiligt und spielt nur im Krankenbett als Adressat der lebensrettenden Maßnahmen von Oberschwester und Doktor eine Rolle. Auch Stefan Fichert bleibt mit seinen Schattenspielen – eine ideale Möglichkeit, die Erzählung zu bebildern – in Ansätzen (Schafstallszene) stecken und insgesamt weit unter dem Machbaren. Die Symbolisierung des Todeskampfes, ein wildes Arrangement aus des Sensenmanns Knochenarm, dürren Zweigen, schwarzen Walle-walle-Tüchern und überdimensionierten Rabenflügeln lösten Unruhe im Saal aus. Einige fürsorgliche Mütter führten ihre Sprösslinge hinaus. Noch immer ist die Inszenierung nicht homogen, sondern unentschlossen. Dennoch gab’s letztlich herzlichen Beifall. Das mag ermuntern. Auf ein Neues also: Aller guten Dinge sind drei. Und im Prinzip steht Weihnachten ja schon wieder vor der Tür.

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Mit dem klassischen Kulturerbe kann man nichts falsch machen. Alte Dramaturgenweisheit. Besonders zur Weihnachtszeit, wo Tradition groß geschrieben wird. »Hänsel und Gretel« von Humperdinck sind ein Dauerbrenner. Es folgt »Peter und der Wolf« von Prokowjew. Und mit einem Ballett von Tschaikowski läßt sich jedes Vergnügen auf die Spitze treiben. Kulturradio des RBB und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin setzten  auf »Schwanensee« – um mit einer erwartungsfrohen Kinderschar und vielen Eltern ein ganz besonderes Jubiläum zu feiern: Das 50. Kinderkonzert im Großen Sendesaal in der Masurenallee als solches und insbesondere die kontinuierliche Begleitung durch das DSO. Seit sieben Jahren bemühen sich die beiden Institutionen gemeinsam, ihren Bildungsauftrag umzusetzen und die jüngste Generation an die klassische Musik heranzuführen. Denn alle wissen: Musik ist unsterblich, das Publikum ist  es nicht. Man muss sich kümmern. Vom ersten Kinderkonzert an mit dabei: Christian Schruff. Er stellt auch die Programme zusammen, in denen immer eine Werk im Mittelpunkt steht. Der Radiomoderator genießt sichtlich den direkten Kontakt mit den Zuhörern. In einfachen Sätzen erzählt er das Märchen von den guten und den bösen Schwänen im Zauberwald und ist auch akustisch gut zu verstehen. Nicht in allen Häusern eine Selbstverständlichkeit. Die Instrumente geben  dem liebestrunkenen Prinzen, dem intriganten Zauberer, Odette und Odile eine Stimme. Die Musiker spielen mit sichtlichem Vergnügen. Das können sie, denn sie haben mit ihrem neuen Chefdirigenten Tugan Sochiew ein erfolgreiches Jahr zurückgelegt. Begeistert dabei auch die Schüler der Klassen 4a und 4b der deutsch-portugiesischen Grundschule am Neuen Tor in Berlin-Mitte. Sie zeigen, wie  man von Tschaikowskis zauberhafter Musik mitgerissen sein kann, und  probieren mit schönem Selbstbewußtsein tollkühne Schrittkombinationen. Choreographie: Sarah del Lago. Lancelot Fuhry dirigierte.

Verblasst ist die Erinnerung an Fusionspläne mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, mit dem Willi Steul, der Intendant des Deutschlandradios, das DSO in Existenznot brachte. Damals war es dem empörten Publikum gelungen, dieses Vorhaben zu vereiteln. Aber derartige Pläne werden auch in Stuttgart, Halle oder in Radebeul umgesetzt. Widerstand sei angesagt.

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Weniger Glück hatten seinerzeit die Berliner Symphoniker: Dem Senat war es 2004 gelungen, sie aus den Haushaltsplänen zu streichen. Die Musiker behaupten sich tapfer. Geschätzt in Japan, China, Südamerika und in zahlreichen europäischen Ländern bringen ihnen die Auslandstourneen das Geld, mit denen sie Säle für ihre Abonnementskonzerte anmieten können. Die  Förderung durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin  ermöglicht ihnen zur Zeit eine Erweiterung ihres Programms um  »integrationsfokussierte Konzerte«. Das Berliner Publikum bekommt Gelegenheit, die nationalen Musikkulturen ihrer Nachbarn kennen zu lernen, die sich in der Stadt angesiedelt haben: Türken, Afrikaner, Araber, Lateinamerikaner, Russen, Vietnamesen und andere. Zum Einheitspreis von 8 € kann die ganze Familie sonntags um 16 Uhr in der Philharmonie ganz neue musikalische Eindrücke gewinnen. Am 4. Advent spielten die Symphoniker Musik aus dem großen Russland: Den Anfang machte Volksmusik aus der Tatarischen Autonomen Republik. Dietmar Wunder erzählte das  Märchen vom Kobold Schurale, der in seiner Heimat so bekannt ist, dass er sogar die Münzen des Landes ziert. Sein Landsmann Farid Jarullin hat ihm eine Ballettmusik gewidmet. Die ungewohnten Klänge bereiteten den Symphonikern, die unter der Leitung von Ilmar Lapinsch aus Irkutsk spielten – wie üblich keinerlei Schwierigkeiten. Sie gefielen auch den Zuhörern – unter ihnen zahlreiche Erwachsene und Kinder, die damit heimatliche Erinnerungen verbinden konnten. Besonders herzlichen Beifall bekam die Sopranistin Iliusa Khuzina für ihre Lieder. Das Konzert erfreute sich der Unterstützung des russischen Botschafters Wladimir M. Grinin, der unter den Gästen saß. Es herrschte eine freundliche, fröhliche Atmosphäre, wohltuend angesichts der gegenwärtig medial geschürten antirussischen Hysterie. Nach der Pause spielten die  Symphoniker die Nussknackersuite von Tschaikowski. Deren vorderer Platz unter dem meistgespielten Ballettmusiken ist gesichert.

Erwähnt werden soll noch, dass Philharmoniker, Symphoniker und die Musiker des DSO vor jedem Kinder- bzw. Familienkonzert den Jüngsten die gern genutzte Gelegenheit bieten, ihre Scheu vor Geige, Flöte, Klarinette, Posaune oder Pauke zu überwinden und selbst zu versuchen, den Instrumenten Töne zu entlocken. So wird die Lust zum musizieren geweckt. Die wird allerdings manchem Kind aufgrund der immer länger werdenden Wartelisten für den Musikunterricht – weil Musiklehrstellen gestrichen werden – schnell wieder abhanden kommen.

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