Bei dem Frauenverehrer Verdi wundert man sich immer wieder, wieso die Bösewichter und Frauenschänder die schönste Musik singen dürfen, geradezu Wohllaute und Engelsgesang. Das gilt besonders für den Herzog von Mantua (Oliver Kook). Und wir gehen seinen sanften hingebungsvollen Worten auf den Leim, wenn er davon singt, daß dieses Mädchen Gilda die erste sei, die in seinem Herzen Liebe erweckt und er so wunderschön hilfloses Liebesgestammel vom Lager läßt, wie man sich einfach fühlt, wenn Liebe ins Herz eingezogen ist. Glaubwürdig singt er im selben Kontext im zweiten Akt, wenn der Raub seiner Geliebten bekannt wird, von seinem Schmerz und seiner Liebe, um einige Minuten später, wenn er mitbekommt, daß diese die Tochter seines Hofnarren Rigoletto ist und von seiner eigenen Hofgesellschaft geraubt wurde, sie zu schänden und danach links liegen zu lassen? Mit Verlaub Herr Textlieferant Francesco Maria Piave, von der Liebe, von der hier der Duca singt, haben Sie keine Ahnung. Und was Victor Hugo, der Urheber der Geschichte dazu gesagt hat, wissen wir auch nicht.
Aber diese textimmanenten Brüche kann man nicht der Inszenierung zum Vorwurf machen, zumal Verdi für alle Mitwirkenden einen Reigen inniger, schwülstiger, dramatischer, brünstiger, arroganter, lieblicher Melodien auf die Leiber schrieb, daß einen die Oper schon beim Hören willfährig macht, auch Ungereimtheiten der Handlung zu verzeihen. Es geht also mit einer Szene zur Ouvertüre los, die so ungewöhnlich ist, daß sie beschrieben gehört. In einem Eckausschnitt eines Zimmers sieht man auf einem Bett eine junge Frau im Unterrock liegen, deren Profession man sofort konnotiert, wenn daneben ein Älterer seinen Gürtel schließt und ihr vorm Herausgehen Geldscheine in die Hand drückt, die sie im Nachtkastl verwahrt. Dramatisch wird es, als ein gedrungener Unhold eintritt, die Tür verschließt und sich auf sie schmeißt. Daß sie durchaus eine Domina ist, zeigt sich daran, daß er erst vor ihr zurückweicht, sie dann aber an der Tür stellt und absticht und auch auf dem Bett, auf das sie sich retten will, weiter mit dem Messer attackiert, bis sie blutüberströmt zusammenbricht. Tot.
Starker Tobak, aber eine wirkungsvolle Überleitung zur Hofgesellschaft des Duca, mit der der erste Akt beginnt, indem die Türen des Boudoirs aufgerissen werden, der eben noch Leblosen zugejubelt wird, die sich erhebt und die Ovationen annimmt, genauso wie ihr tödlicher Liebhaber, der Herzog persönlich ist, denn es handelt sich um das Liebespaar aus der Oper: die Gräfin von Ceprano, die schamlos vor allen ihren Grafen mit dem Herzog betrügt, die hier aber eine Szene in der Verfilmung „La Maledizione“ spielen, was sich später weiter entschlüsselt und denen etwas sagt, die wissen, daß Verdi seine Oper ursprünglich den „Fluch“ nennen wollte, dessen Erfüllung dann für den Hofnarren Rigoletto tödlich ausgeht.
Der Herzog vergangener Jahrhunderte ist hier also zum Filmstar mutiert, den eine Meute von Schmeichlern umgibt, die von seinem Glanz und seinem Geld partizipieren wollen und hin und wieder eine abgelegte Geliebte des Filmstars abbekommen. Ein Filmhofstaat, mit dem kein Staat zu machen ist und bei denen es überflüssig erscheint, daß sie in der Raubszene und auch später dann auch noch Masken tragen, denn gemeine Maskenträger sind sie auch so. Des Filmstar Garderobier ist Rigoletto (Jacek Strauch), der darum auch keinen Buckel braucht, weil er als Hinkender Außenseiter genug ist, der sich durch übertriebenes Anpassen an die schmählichen Herrschaftssitten zum gemeinen Handlager macht und den um seine Tochter fürchtenden Grafen Monterone auch noch verspottet.
Es ist der Graf von Monterone (Peter Wimberger), der den Rigoletto verflucht, womit das Unheil seinen Lauf nimmt. Und als Gilda nach dem Mißbrauch am Filmset vom Vater im Männerhemd gefunden und gerettet wird, da schwebt über ihrer Beichte, wie es sich mit den Kirchenbesuchen und dem Treffen mit dem in sie verliebten Studenten verhält, dem Rigoletto immer noch die Kleider richtete für seine Abenteuer, schwebt über ihnen als Leinwandbild das Konterfei des Studenten/Filmstars, der ja tatsächlich die einzig handelnde Figur im ganzen Stück bleibt, der sich wie ein Schwein benimmt, aber als Mensch ungehindert überlebt. Oliver Kook hat es da nicht leicht, seine Stimme trägt ihn und darauf verläßt er sich auch, aber aus der kruden Handlung kann ihm weder ein hinreißender Liebhaber, noch ein sexsüchtiger Filmstar erwachsen. So singt er halt und das ist dann gut und genug.
Gilda, diese Mädchenfrau, die erst kindlich verliebt, dann als tragisch Liebende den eigenen Tod lieber erfahren möchte, als das Leben des Geliebten verlöschen zu sehen, wird von Jennifer O’Loughlin vollendet gesungen. Sie ist das Zentrum der Aufführung, was schon deshalb bemerkenswert ist, weil sie am Filmset und also in der Welt der Reichen und Mächtigen keinen Platz hat. Sie spielt absolut unprätentiös, was zu ihrer Nicht-Filmrolle gut paßt. Nachdem noch im zweiten Akt eher ein Nicht-Bühnenbild (Richard Hudson) die Szene beherrschte, weil man draußen vor dem Tor stand, erscheint nun im dritten Akt eine elegante Rundarchitektur der dreißiger Jahre als Spelunke des Sparafucile (Marek Gasztecki), die sofort Edward Hopper und seine einsamen Nachtschwärmer assoziieren läßt. Schwester Maddalena (Zoryana Kushpier), die hier schon mal als Filmsternchen übt, hat sich ein wenig in den Hausgast verguckt, den der Wirt gegen gutes Geld doch ermorden soll. Es kommt, wie das Drehbuch es vorschreibt: Statt seiner gibt sich die als Mann verkleidete Gilda dem Messer des Wirtganoven hin und umarmt ihn vorher noch.
Der Film und die Inszenierung sind längst nicht mehr wichtig, denn mit den nun angehenden Zweigesängen von Vater und sterbender Tochter wird alles zugedeckt und geheiligt, was an Unstimmigem noch da war. Die Gilda bleibt ergreifend und gesanglich auf hohem Niveau und Jacek Strauch, der uns zuerst als dicklicher Hansdampf weniger gefiel, füllt nun diese Lesart der Rolle hervorragend aus, wird der zärtliche und sich seiner Missetaten schämende Vater, dem das Schlimmste passiert, was Eltern passieren kann: daß die Kinder vor einem sterben und dann auch noch durch eigene Schuld. La Maledizione.
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Nächste Vorstellung: 26.10.2009
Internet: www.volksoper.at