Kontrastprogramm Bahnhofsviertelnacht Frankfurt – Veranstalter versprechen eine „heiße Nacht“

Das allerdings war von heute aus gesehen Edelprostitution. Das Bahnhofsviertel aber verkam in den Jahren darauf zur berüchtigtsten Szene der Bundsrepublik, die nicht nur die Besucherströme zu bestimmten Messen sexuell zu versorgen hatte, sondern zusätzlich täglich den Umschlagplatz Hauptbahnhof – der am häufigste frequentierte Deutschlands. Wobei man den stadtnahen Frankfurter Flughafen  nicht vergessen darf. Der war auch ausschlaggebend für die Drogenszene, die sich im Bahnhofsviertel doppelt bemerkbar machte. Als reiner Profithandel, aber auch als Endstation für diejenigen, die, abhängig, ihre Sucht nicht mehr unter Kontrolle hatten, sondern als Junkies vor den Türen der erst gutbürgerlichen, dann immer mehr im sozialen Niveau sinkenden Bewohner lagen, einschließlich überproportionaler Ausländeransiedelung.

Wenn wir so von der Vergangenheit sprechen, heißt das, daß das große Elend vorbei ist, auch wenn kleinere bleiben. Das Bahnhofsviertel wird wohl nie wieder eine ’heile Welt’ werden, als die es in der Gründerzeit rund um den Hauptbahnhof erbaut wurde. Nämlich für die besseren Leute. Im Stil der Zeit, der dann in den Jugendstil überging und beiderseits der breiten und mit Bäumen bestückten Straßen zu großstädtische Häuserfluchten führte. Nicht ganz so pompös wie der Boulevard Haussmann in Paris, aber doch in seiner Anlage mit der zentralen Prachtstraße zum Bahnhof hin, der Kaiserstraße, von der ringförmig aus diese westliche Stadtwelt baulich eine Einheit wurde.

Wenn wir also so von der Vergangenheit sprechen, heißt das auch, daß die Stadt Frankfurt schon vor vielen Jahren behutsam eine Umnutzung des Bahnhofsviertels in Gang setzte, die in mehrere Richtungen ging. Zum einen wurden verkommene Häuser aufgekauft oder an neue Besitzer vermittelt, die sie ordentlich renovierten, ohne daß alle zu Luxusschuppen wurden. Stattdessen zogen in diese Häuser Freiberufliche genauso ein, wie z.B. einige Verlage schon lange dort angesiedelt sind. Traditionell hatte das Bahnhofsviertel immer eine Mischnutzung. Unten im Erdgeschoß waren und sind gewerbliche Räume, in der Münchner Straße beispielsweise besonders viele Lebensmittelläden und besonders viele türkische, inzwischen auch asiatische Angebote. Darüber sind die Stockwerke als Wohnungen oder Büroräume saniert.

Entscheidend jedoch für das neue Gefühl im Bahnhofsviertel ist die Akzeptanz der Situation durch die Bewohner selbst: Arm und Reich, Gestrandete und Erfolgreiche, Frankfurter aller Kontinente und Hautfarben. Sie haben ein Einverständnis, daß hier das Leben bunter ist als anderswo, manchmal auch mit leichtem Abscheu betrachtet, immer aber interessant, eine internationale Szene, wo sich die Leute nicht abschotten voreinander, sondern aufeinanderzubewegen. Ausdruck dieser Bewegung ist eben diese Bahnhofsviertelnacht am 20.August, wo in diesem Jahr dreißig Stationen den Besuchern eine offene Tür bieten und zur Betrachtung, zum Mitmachen oder zu Speis und Trank einladen. Bei einigen konnten wir schon vorbeischauen und hoffen, daß sich die diesjährigen Besucher wie schon die 10 000 vom letzten Jahr gut auf alle verteilen, denn da gibt es kleinere, intimere Geschäftslokale und dann auch große.

Klein, aber immerhin für vier Behandlungen ausgerüstet, ist das Kosmetikstudio  Bonito in der Münchener Straße 45 im Hinterhof. Frau Moreno Murillo aus Kolumbien hat zusammen mit ihrer Tochter mit Fachausbildung eine warmfarbene Oase geschaffen, wo es meist Kundinnen sind, die in der Hauptsache Maniküre und Pediküre erwarten. In der Hauptsache. Denn sowohl wollen so etwas auch die Männer, wie auch alle anderen Angebote wie Epilation, Massagen, Abnehmprogramme etc.. Schauen Sie sich auf jeden Fall die wunderschönen Engelstrompeten, Datura genannt, im Hof an!

Um die Ecke bietet das Diakoniezentrum Westerstraße 5 alle denen ein Essen, eine Tagesbleibe, auch Übernachtung sowie Freizeitbeschäftigungen einschließlich Emaileinrichtung und Internetnutzung, die zu den Verlierern dieser Gesellschaft gehören. Der stellvertretende Leiter, Herr Leonardi, freut sich, am Donnerstag auch die im Haus begrüßen zu können, die seine Hilfe nicht nötig haben, aber sich mit eignen Augen der ’niedrigschwelligen’ sozialen Einrichtung vergewissern können, die täglich rund 100 Besuchern Schutz bietet, vor 12 Jahren gegründet wurde und jährlich 20 000 Menschen hilft.

bb22  ist eine Bürogemeinschaft der besonderen Art in der Taunusstraße 21 und ein Beispiel für die Ansiedlung der Kreativen im Bahnhofsviertel. Die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft, die ihre Kunden bis Japan und die USA hat, öffnet ihre Bürotüren, aber bietet unten im Hof auch Speis und Trank, wobei für das eine die Stichworte: Whiskey Bar und Bacardi und für das andere: Grillen steht. Satt werden Sie sicher auch bei Hans Peter und Georg Schenck in der Münchenerstraße 28. An diesem Abend besitzt der Feinkostladen, der deutlich frischen Fisch anbietet, ein südfranzösisches Flair, was sich in der Speise- und Getränkekarte wiederfindet, die wirklich zivile Preise aufweist. Verpassen Sie aber nicht, die beiden Besitzer nach ihrer Familiengeschichte zu fragen. Da kann es allerdings passieren, daß Sie darüber mehrere Gläser brauchen. Nicht, weil die beiden so langatmig wären, sondern weil sie – Pi mal Daumen – in der 17. Generation den Frankfurtern einschenken. Darum heißen sie auch Schenk. Im Ernst.

Denn als die Vorfahren 1540 schon auf dem Main Fische fingen, kam der Tropfen zum Einschenken schnell dazu, der auch heute anderen Ortes das Geschäft blühen läßt. Und die berufliche Tätigkeit war nach dem Mittelalter eine der Möglichkeiten, einen Nachnamen zu erhalten, so wie Müller oder Schmidt/Schmied/Schmitt. Seit 1900 befinden sich die Schencks mit ihrem gastronomischen Betrieb in diesem Haus und ein andermal wollen wir wissen, was diese beiden über die Geschichte des Bahnhofsviertels zu erzählen haben, oder wir hören den Mauern zu, die wahrscheinlich, je mehr wir den französischen Wein probieren, desto lauter zu uns flüstern. Wie gut er ist, wissen wir noch nicht, denn obwohl eine von uns seit Jahrzehnten durch das Bahnhofsviertel flitzt, meist die Münchener Straße zur U-Bahn hin, aber auch die Kaiserstraße zur Stadt und fast nie die Taunusstraße entlang, hat diese eine noch nie Halt gemacht bei den Schencks. Das kann man ändern. Und für uns anderen war das alles neu, was wir bei unserem Rundgang sahen und erlebten.

Das waren jetzt erst vier der dreißig angezeigten Stationen, die ihre Tore und Türen den Besuchern öffnen. In der Riege der Aussteller hat sich im Vergleich zum Vorjahr einiges getan. Auch abseits des Programms gibt es für die Besucher in diesem kontrastreichen internationalen Viertel viel zu sehen. Zudem ist es ein beliebter Standort und Treffpunkt für Frankfurter Künstler, die mit dem Projekt „basis“ ein Unterstützungsprogramm für junge Künstler geschaffen haben und gleich zwei Häuser bewohnen, die Atelier-Häuser in der Gutleutstraße und in der Elbestraße, wo an die 120 Künstler tätig sind . Das alles finden Sie im Programmheft, das für einige Veranstaltungen auch als Eintrittskarte gilt. Dieses erhalten Sie kostenlos in der Bürgerberatung im Frankfurt Forum (Römerberg 32) und im Stadtteilbüro Bahnhofsviertel (Moselstraße 6A).

Zwischen 19 und 23 Uhr wird ein abwechslungsreiches Programm geboten. Für einige Führungen sind Anmeldungen erforderlich, weitere Informationen hierzu finden sie unter www.frankfurt.de oder per Telefon (069) 212-37809.

P.S. Stichwort Rotlichtviertel. Es ist ja so, daß es kaum einen Mann gibt, der seinen Besuch bei Prostituierten beiderlei Geschlechts zugibt. Irgendwoher aber müssen die rasanten Zahlen doch herrühren. Offiziell leben im Bahnhofsviertel 1200 Frauen, die diesem Gewerbe nachgehen, es gibt 500 Männer, in der Regel Zuhälter und das alles findet in 30 Laufhäusern statt, die wir als Bordelle bezeichnen. Die heiße Zeit ist dort nicht die Nacht, sondern die Mittagspause von Banken, Versicherungen, großen Firmen, die das Bahnhofsviertel Richtung Stadt oder Westend begrenzen.  

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