Kongress für teure Genossen – Der Genossenschaftskongress gab Ratschläge zur Disziplinierung der Mitglieder

Der »Genossenschaftskongress« aber ist nichts anderes als eine Schulung und ein Erfahrungsaustausch von Vorständen, Aufsichtsräten und leitenden Angestellten. Es wird geredet, aber nichts beschlossen. Es kann auch nicht jeder hingehen, denn der Eintritt kostet 468 Euro normal und 390 Euro für Mitglieder (für einen Tag). Mitglieder sind Genossenschaften und Unternehmen, die im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) oder im Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung organisiert sind. Selbstverständlich  buchen die für ihre Funktionäre; einfache Baugenossen müssten selbst bezahlen. Die werden auch nicht als Partner akzeptiert, denn wenn ein einfaches Mitglied vom BBU eine Auskunft oder einen Rat will, wird es abgewiesen: Auskunft nur für Vorstände. Es gibt also Mitglieder und Mitglieder. Die Vorstände der Genossenschaften haben ihre Organisation, die Mitglieder haben keine.

Der 11. Genossenschaftskongress tagte in der vergangenen Woche in Berlin unter dem Motto »Sozial, innovativ und zukunftsorientiert«. Zu seinem Glück nicht patentgeschützt, denn diesen Anspruch reklamieren viele für sich, von der Deutschen Bank bis zur CDU oder zur Linkspartei.

Gute Ratschläge gab es für das Wohnen im Alter, für gemeinsame Wohnformen, für die Durchmischung der Generationen, für die Zusammenarbeit mit den Kommunen, praktiziert in Göttingen, Bonn, Ludwigshafen, Kassel, Singen, Gera und Gotha. Interessante Lösungen fand man in Gera-Birkenpark. Die Lage ist gekennzeichnet durch Bevölkerungsschwund, Leerstand und wachsenden Bedarf an alten- und behindertengerechten Wohnungen. Fünf Wohnungsgenossenschaften und zwei städtische Wohnungsgesellschaften errichteten gemeinsam bei gleichzeitigem Abriss dreier Wohngebäude einen Neubau für Ältere, weil der rentabler ist als der Umbau bestehender Häuser. Über die Miethöhe wurde nichts gesagt.

Auch die Wohnbau-Genossenschaft Lemgo in Nordrhein-Westfalen (4600 Mitglieder, 2342 Wohnungen) reagiert auf den ungedeckten Bedarf an alters- und behindertengerechten Wohnungen. Drei nicht mehr anpassungsfähige Häuser mit 14 Wohnungen wurden durch zwei Gebäude mit 12 barrierefreien Neubauwohnungen und zwei Doppelhaushälften ersetzt. Im Bau sind weitere 33 barrierefreie Wohnungen. Der Bedarf ist viel größer, weil alte Menschen in die Stadt ziehen wollen, denn die Dörfer sterben, wie der Vorstand Thorsten Kleinbekel sagt. Die Nettokaltmieten betragen im Neubau 6,50 bis 7,50 Euro/m2 bei einer Durchschnittsmiete von 4,58 Euro/m2. Für 8 öffentlich geförderte Wohnungen sind 4,75 Euro/m2 zu zahlen. In modernisierten Häusern stieg die Miete von 3,50 auf 4,20 bis 4,50 Euro/m2. In Härtefällen erlässt die Lemgoer Genossenschaft den Modernisierungszuschlag – was zum Beispiel der Vorstand der Ersten Wohnungsgenossenschaft Berlin-Pankow strikt ablehnt. Die Genossenschaft als Solidargemeinschaft wird von den Vorständen sehr unterschiedlich aufgefasst.

Zum Programm der Tagung gehörte auch die Aufrüstung der Vorstände gegen unbequeme Mitglieder. Der als Spezialist für Genossenschaftsrecht firmierende Professor Jürgen Keßler räumt Mitgliedern und Vertretern grundsätzlich ein breites Auskunftsrecht ein, wahrzunehmen ausschließlich in der General- oder in der Vertreterversammlung, bestimmt  sowohl für die sachgemäße Beurteilung der Führung der Genossenschaft als auch für ihre Willensbildung. Das hört aber auf bei den Gehältern der Vorstandsmitglieder und der Mitarbeiter – ganz so, wie es der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW in seiner Mustersatzung vorschreibt. Auch Sabine Degen, Justiziarin des BBU, erklärte den Vorständen, dass sie zur Offenlegung ihrer Gehälter nicht verpflichtet sind. Die Mitglieder können also gar nicht beurteilen, ob die Leistung des Vorstands das Geld wert ist, das er bezieht. Der Marburger Professor Volker Beuthin ist entgegengesetzter Meinung: »Es besteht kein Schutzbedürfnis, denn der Vorstand hat das Amt treuhänderisch von den Mitgliedern erhalten. Gegenüber dem eigenen Arbeitgeber gibt es keine Verschwiegenheit.«

In der Praxis häufen sich die Fälle, in denen die Vermieter vergleichbaren Wohnraum innerhalb kurzer Zeit zu höheren Preisen vermieten. Mieter- und Sozialverbände brandmarken das als Mietpreistreiberei. Degen hingegen stellt befriedigt fest, dass die Gerichte immer häufiger den Vermietern recht geben. »Das Recht ist da ganz auf Ihrer Seite«, versicherte sie den Kongressteilnehmern. Den vermieterfreundlichen Urteilen folgen die vermieterfreundlichen Kommentare.

Degen hat auch andere praktische Ratschläge. Eine beliebte Keule gegen kritische Mitglieder ist der Vorwurf einer Verletzung der sogenannten genossenschaftlichen Treuepflicht – eine sehr dehnbare Formel. In der Interpretation Degens ist vom Mitglied »alles zu unterlassen, was der Genossenschaft schadet.« Was zum Beispiel ist dann eine Mietminderung? Die senkt doch die Einnahmen. Leitfaden für die Vorstände: im Einzelfall ist sie keine Verletzung der Treuepflicht, bei wiederholten Vergehen aber kann dem Mitglied als Mieter gekündigt und es kann sogar ausgeschlossen werden. Ein guter Hebel ist die Mustersatzung des GdW, die »empfiehlt«, das Nutzungsrecht an der Genossenschaftswohnung ausschließlich oder in erster Linie Mitgliedern vorzubehalten. Das steht zwar nicht im Gesetz, aber die Vertreterversammlungen folgen getreulich der Empfehlung des GdW, ohne zu erkennen, dass sie, die »von Amts wegen« Kritiker der Vorstände sein müssen, sehr schnell unter dieses Verdikt fallen können. Bist du ausgeschlossen, verlierst du das Nutzungsrecht und dann die Wohnung. Auf welcher Seite der BBU steht, wurde wieder einmal klargestellt.

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