Warum und wie er das tat – berichtet und erklärt die Ausstellung, die bis zum 11. November gezeigt wird. Sie ist dem 100. Geburtstag Wallenbergs am 4. August 2012 gewidmet und motivisch unter sein Bekenntnis gestellt: »Für mich gibt es keine andere Wahl. Ich habe diese Aufgabe übernommen, und ich könnte nicht nach Stockholm zurückkehren, wenn ich nicht die Gewissheit hätte, dass ich alles in menschlicher Macht Stehende getan habe, um so viele Jude wie möglich zu retten.«
Die kleine, auf einen Saal beschränkte Exposition beschreibt im wesentlichen drei Komplexe: die Rettungsaktion im Herbst /Winter 1944/45, die Kräfte, die hinter Wallenberg standen und seinen familiären Hintergrund, der ihn zu dem Charakter machte, der solche Verantwortung tragen konnte.
Raoul Wallenberg entstammte einer reichen Familie schwedischer Bankiers und Industrieller, durch die er eine gute Bildung genoss und sich früh in der Welt umsehen konnte. Betont wird seine Erziehung zum Kosmopoliten. Wallenberg war ein gutherziger, humanistisch denkender junger Mann. Er lernte Sprachen, reiste viel mit seinem Großvater, dem Diplomaten und Geschäftsmann Gustaf Wallenberg, und studierte in den USA Architektur (1931 bis 1935). Durch seine Arbeit in einer Bank in Haifa lernte er 1935 das Schicksal von Juden kennen, die von den Nazis verfolgt worden waren. Auch die Vorführung eines Films über die Rettung verfolgter Nazigegner in der Britischen Botschaft sensibilisierte ihn. Später übernahm Wallenberg die Vertretung einer jüdischen Firma für Lebensmittelhandel in Budapest und war mit den Verhältnissen unter dem faschistischen Horthyregime, eines Verbündeten Hitlers gegen die Sowjetunion, vertraut.
Weniger bekannt sind die politischen Hintergründe der Rettungsaktion. Auf politisches Drängen von Amerikanern hin bildete Präsident Roosevelt 1944 das War Refugee Board zur Verhinderung der Deportation und Ermordung von Juden. Das Amt bat die schwedische Regierung, die relativ gute Beziehungen zu Deutschland unterhielt, um Unterstützung und um die Entsendung eines Beauftragten nach Ungarn. Das Land war am 19. März 1944 von Nazideutschland okkupiert worden, und die SS begann unter persönlichem Kommando von Adolf Eichmann, die 800 000 ungarischen Juden in die Vernichtungslager zu deportieren. Raoul Wallenberg als in Ungarn tätigem Geschäftsmann wurde das Amt angetragen, und er nahm an. Am 9. Juli 1944 begann er – damals 32 Jahre alt – seine Arbeit als Sondergesandter in der schwedischen Gesandtschaft in Budapest. Wallenberg verfügte faktisch über unbegrenzte Mittel in US-Dollar und konnte sich auf die Zusammenarbeit mit der Schweizer Botschaft und dem Internationalen Roten Kreuz stützen. Die zweite große Gewalt, die unsichtbar hinter Wallenberg stand, war die Rote Armee, die – wie die Ausstellung dokumentiert – von Osten heranrückte und schon bald ungarisches Territorium erreicht hatte. Seltsamerweise bleibt der politische und moralische Schub unerwähnt, den die Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 und die Befreiung von Paris im August auslösten. Die Nazis gerieten in Ungarn in die Klemme, verfolgten aber ihre mörderischen Ziele desto verbissener. Insbesondere Eichmann, der selbst in Budapest die Deportationen leitete. Nach Stalingrad hatten sich auch die politischen Widersprüche in Ungarn zugespitzt. Während Horthy aus dem Bündnis mit Nazideutschland austreten wollte und zeitweise die Deportationen verhinderte, unterstützten die Pfeilkreuzler die Nazis und übten selbst faschistischen Terror gegen Juden und Antifaschisten.
In dieser Situation ging Wallenberg energisch an die Rettung der Juden, auch gegen anfängliche Widerstände von Diplomatenkollegen. Die Lage verlangte unkonventionelles Handeln. Wallenberg erfand den schwedischen »Schutzpass«, der Tausenden Juden die quasi-Staatsbürgerschaft Schwedens verschaffte. Gemeinsam mit der Schweizer Botschaft mietete er dutzende exterritoriale »Schwedenhäuser«, die Tausenden Zuflucht boten. Wallenberg arbeitete umsichtig und organisiert, aber er scheute keine abenteuerlichen Aktionen, Juden in letzter Minute vor der Ermordung oder dem Abtransport durch die SS und die Pfeilkreuzler zu retten. Wallenberg konnte, nachdem die Rote Armee im Dezember 1944 das Pester Ufer der Donau erreicht hatte, den Wehrmachtsgeneral Gerhard Schmidhuber einschüchtern, so dass das Leben von 60 000 Juden im Ghetto unangetastet blieb. Es wurde am 16. Januar 1945 befreit. Wallenberg organisierte Hilfe auch für jüdische Zwangsarbeiter in Österreich. Über all das gibt die Ausstellung Auskunft.
Trotz aller gewaltigen Anstrengungen konnte Wallenberg nicht verhindern, dass Eichmann Tausende Juden auf Todesmärsche schickte, auf denen viele starben, und dass die Pfeilkreuzler Schwedenhäuser überfielen und Juden ermordeten. Wallenberg musste schließlich selbst untertauchen, weil die Faschisten ihn bedrohten. Wie ihn der Tod der Juden, die er nicht retten konnte, seelisch belastete, ist nicht überliefert. Einzig das oben zitierte Bekenntnis ist von einem Kollegen dokumentiert worden.
Tragisch ist Wallenbergs Ende. Am 17. Januar 1945 fuhr er in das sowjetische Hauptquartier, um über eine Zusammenarbeit zu verhandeln. Er war schließlich schwedischer Diplomat. Dort wurde er festgenommen und nach Moskau gebracht. Alle Bemühungen der schwedischen Regierung und der Familie um Aufklärung der Verschleppung und des Todes Raoul Wallenbergs verliefen im Sande. Die Autoren der Ausstellung stützen sich auf eine offizielle Auskunft der Sowjetregierung, wonach Wallenberg am 17. Juli 1947 im KGB-Gefängnis an Herzversagen verstarb. Einige ehemalige deutsche und russische Gefangene wollen ihn auch nach diesem Tage in verschiedenen Lagern gesehen haben. In den neunziger Jahren wurde in der Presse über einen Spionageverdacht spekuliert. Dass ein Diplomat in dieser komplizierten Rettungsaktion mit Geheimdiensten in Berührung kam, dürfte nicht verwundern. Bei allem Wenn und Aber ist an Wallenbergs einzigartiger humanitärer Tat nicht zu rütteln. Nichts kann das Schweigen entschuldigen. Die Ausstellung würdigt ihn zu Recht. Wallenberg ist in aller Welt hoch geachtet, ist Ehrenbürger Israels, der USA und Kanadas. Sein Name ist in der Gedenkstätte Yad Vashem verewigt als eines Gerechten unter den Völkern. Vielleicht bringt das Symposium »Schweden, Wallenberg und der Holocaust« am 25. Oktober in der Humboldt-Universität mehr Aufklärung.
Die von Stina Mansfeld und Bengt Jangfeldt gestaltete Ausstellung wurde bisher in Budapest, in New York, Washington, Moskau, Genf, Karlsruhe und Tel Aviv gezeigt und soll nach Berlin weiter nach Ottawa, Toronto, Santiago de Chile und Brüssel wandern. In Berlin soll sie besonders Kindern und Jugendlichen nahe gebracht werden. Dafür ist ihre Begrenzung auf einen Raum günstig. Sehr nachteilig ist hingegen die Gestaltung der bedruckten Schals in englischer Sprache und das Halbdunkel des Raums, in dem man von Scheinwerfern geblendet wird, aber nichts notieren kann. Zwar sind auf dem Boden deutsche Texte eingelassen, über deren Rahmen jedoch fast jeder Besucher stolpert. Wo Kinder lernen sollen, muss es hell und übersichtlich sein.
Fragwürdig ist die unterschwellige These in der Tafel »Der zweite Weltkrieg«, der Holocaust sei Bestandteil und Folge des Zweiten Weltkriegs gewesen. Zweifellos werden in allen imperialistischen Kriegen nationale und Rassenresentiments als Stimulatoren des Hasses auf den »Feind« weidlich genutzt. Die Vernichtung eines ganzen Volkes ist jedoch kein »normales« Kriegsziel. »Normalerweise« geht es um Bodenschätze, Land, Wasser, Energiequellen,Verkehrswege, industrielle und agrarische Potentiale und um billige Arbeitskräfte. Die spezifisch nazistisch-rassistische Ideologie hatte die Unterdrückung und Vernichtung der Juden, Sinti und Roma, Slawen und anderer »Untermenschen« von Anfang an zum Ziel. Sofern die unterdrückten Völker überflüssige Esser waren, wollte man sie verhungern lassen, wie in Himmlers Generalplan Ost geplant. Die Entrechtung und Vernichtung der Juden war das Ziel der Rassenpolitik der Nazis, unabhängig von den Kriegszielen. Begünstigt wurden sie sicherlich vom Krieg, durch die Brutalisierung der Armee und des Volkes und durch die Abwälzung der Not auf die »minderwertigen« Nachbarn. Auch die Euthanasiemorde wurden vorbereitet und organisiert vor Beginn des Krieges, nach dessen Beginn sie sogar abgebrochen wurden. Imperialistische Kriege als Mittel der Politik können sich jederzeit wiederholen, der Holocaust sicherlich nicht. Die Verknüpfung beider Erscheinungen verführt zu der Täuschung, die häufig benannte Einmaligkeit des Holocaust mache auch den Weltkrieg einmalig. Die Rolle Eichmanns wird deutlich dargestellt. Unerwähnt bleiben die Hintermänner und Profiteure wie die IG Farben, ganz zu schweigen von den geistigen Brandstiftern wie Adenauers Staatssekretär Hans Globke. Diplomatische Zurückhaltung ist hier nicht dienlich.
Ausstellung »Mir bleibt keine andere Wahl«, Centrum Judaicum, Oranienburger Strasse 28-30, 10117 Berlin, bis 11. November, 10-18 Uhr, Freitag 10-14 Uhr, Eintritt frei.