Italien – Großes Zweckbündnis – Die »Wende von Salerno«. Vor 80 Jahren traten die italienischen Kommunisten in die Regierung des früheren Mussolini-Marschalls Badoglio ein

Gedenktafel am Haus von Grazzano Pietro Badoglio. Foto: Frukko, CC BY-SA 3.0

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Nach dem Sturz Benito Mussolinis durch eine Palastrevolte am 25. Juli 1943 hatte Marschall Pietro Badoglio im Auftrag des beteiligten Königs Vittorio Emanuele III. eine Militärregierung gebildet. Sie brach mit der faschistischen Achse, schloss am 8. September einen Waffenstillstand mit den Alliierten und wechselte mit der Kriegserklärung an Hitlerdeutschland am 13. Oktober auf die Seite der Antihitlerkoalition. Am 8. September 1943 hatte die Wehrmacht Nord- und Mittelitalien besetzt. Ein auf Initiative der Kommunistischen Partei (PCI) mit Sozialisten, Aktionisten, Christdemokraten, Republikanern und Liberalen gebildetes Nationales Befreiungskomitee (CLN) hatte zum antifaschistischen nationalen Befreiungskrieg gegen das deutsche Besatzungsregime aufgerufen. Erste Partisaneneinheiten entstanden, aus denen sich eine Partisanenarmee formierte. Im Inneren blieb das Ziel der Verschwörer jedoch, die faschistische Diktatur in eine autoritär-reaktionäre, auf Monarchie, Militär und Klerus gestützte Herrschaft umzuwandeln. Die US-Zeitschrift Life schrieb am 14. Dezember 1943, dass es ihnen darum ging, »sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, das System aber zu erhalten«, kurz gesagt, »einen Wandel vom prodeutschen zum proalliierten Faschismus« herbeizuführen.

Diplomatische Beziehungen

Kommunisten und Sozialisten standen in dieser Situation vor der Frage, wie man sich gegenüber Badoglio verhalten sollte. Wie aus den Tagebüchern Georgi Dimitroffs hervorgeht, beriet Josef Stalin diese Frage in der Nacht vom 4. zum 5. März 1944 mit dem PCI-Generalsekretär Palmiro ­Togliatti. In Moskau war man sich darüber im klaren, dass man die Badoglio-Regierung berücksichtigen musste. Der hochrangige Offizier war ein rücksichtsloser Vertreter der faschistischen Expansionspolitik gewesen und für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich, unter anderem hatte er als Befehlshaber der Kolonialarmee bei der Eroberung Äthiopiens 1935/36 das Giftgas Yperit eingesetzt. 1940 erkannte Badoglio jedoch die Risiken eines Kriegseintritts Italiens, sprach sich dagegen aus und trat als Generalstabschef zurück. Noch vor der Niederlage der Wehrmacht an der Wolga war Badoglio im November 1942 in Mailand mit führenden Großindustriellen zusammengetroffen, um ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg zu erörtern. Trotz der verfolgten reaktionären Ziele leisteten die Palastverschwörer dann als Vertreter realistisch denkender Kreise der Großbourgeoisie objektiv einen Beitrag zur Schwächung Hitlerdeutschlands und trugen zu einem früheren Ende des Krieges bei.

Für den angestrebten Eintritt der italienischen Kommunisten in die Badoglio-Regierung hatte Stalin bereits im voraus entsprechende Entscheidungen getroffen. Mit Blick auf Bündnisse der Kommunisten mit großbourgeoisen Kräften im Kampf gegen den Faschismus und einer zu schaffenden Antihitlerkoalition galt es nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion, keinen revolutionären, sondern einen »vaterländischen Krieg« zu führen. Die Parteien der Komintern wurden angewiesen, die Frage der sozialistischen Revolution im Krieg nicht aufzuwerfen. Der nächste Schritt war der am 21. Mai 1943 vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) unter Vorsitz Dimitroffs gefasste Beschluss, die Komintern aufzulösen. Damit wurde gegenüber den westlichen Partnern unterstrichen, dass die KPdSU im Kampf gegen den Faschismus nicht die sozialistische Revolution voranbringen wollte.

Am 8. Januar 1944 traf der sowjetische Vertreter im Alliierten Advisory Council of Italy, Andre Wasilinsky, mit Badoglios Außenminister Vittorio Brunas zusammen, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sondieren. Einen Tag später erkannte die UdSSR die Regierung Badoglios an. Washington und London nahmen danach keine diplomatischen Beziehungen auf, sahen sich aber gezwungen, Hohe Kommissare für Italien einzusetzen. Moskaus Schritt machte Badoglio für einen geplanten Beitritt der CLN-Parteien in seine Regierung zugänglich.

Antifaschistische Ordnung

So vorbereitet kehrte Togliatti am 27. März 1944 nach 18jähriger Emigration in den Süden des von den Alliierten besetzten Italien zurück. Vier Tage danach sprach er vor dem Nationalrat der Partei über die Stärkung der Einheit der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit, eine neue Regierung zu bilden. Sie sollte den Charakter eines Übergangskabinetts haben und durch den Beitritt der CLN-Parteien die Massen zum Krieg gegen Hitlerdeutschland mobilisieren. Togliatti ging von Antonio Gramscis antifaschistischer Bündniskonzeption aus, hielt sich aber an Stalins Weisung und ging nicht auf das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft ein. Er argumentierte, das würde die großbürgerlichen Verbündeten ausschließen und eine Konfrontation mit Badoglio und dem König bedeuteten. Geschickt bezog er sich jedoch auf den Aufruf der Partei vom 8. September 1943, in dem es hieß: Die Arbeiterklasse werde die Hauptkraft sein, die das italienische Volk zum Kampf führt, um für immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind, zu brechen. Deshalb dürfe die Demokratie den rechten Kräften nicht noch einmal erlauben, sich auszubreiten. Das war eine klare antiimperialistische Orientierung, die nicht den Sozialismus, sondern eine demokratische antifaschistische Ordnung zur Tagesaufgabe erklärte. Auch wenn das sozialistische Ziel nicht genannt wurde, schloss dieser Aufruf diese Zielsetzung nicht aus.

Togliatti stieß zunächst auf Widerspruch sowohl bei Sozialisten und Aktionisten als auch in Teilen seiner Partei. Gefordert wurde statt dessen der Kampf für den Sozialismus und der Rücktritt des Königs, der Mussolini 1922 mit zur Macht verholfen und danach mehr als 20 Jahre zu den Trägern der Diktatur gehört hatte. Entscheidend trug der Kommunist Luigi Longo, einer der beiden Oberbefehlshaber der Partisanenarmee, dazu bei, den Regierungseintritt verständlich zu machen. »Wir sehen nur die politischen Unannehmlichkeiten einer Regierung mit Badoglio, nicht aber die Schwäche eines nationalen Befreiungskrieges, ohne die von ihm kontrollierten und beeinflussten Kräfte«, argumentierte er. Longo erhielt die Unterstützung der Partisanenkommandeure, in deren Einheiten Antifaschisten aller Parteien Schulter an Schulter mit monarchistischen Soldaten und Offizieren kämpften. Die Kommandeure, auch der PCI, stimmten zu, dass nicht die Beseitigung der Monarchie das sofortige Ziel sein könne, sondern die gemeinsame Front gegen die deutschen Okkupanten und deren italienische Helfershelfer.

Kommunistische Minister

Am 22. April 1944 traten auf einer Kabinettssitzung in Salerno die antifaschistischen Oppositionsparteien in die Regierung Badoglio ein. Ausgenommen die Republikaner, die eine Regierung der Monarchie ablehnten, sie jedoch unterstützten und auch am nationalen Befreiungskrieg mit mehreren Brigaden teilnahmen. Kommunisten, Sozialisten und Aktionisten besetzten je zwei, die Christdemokraten drei, Liberale zwei Ressorts. Der Kriegsminister, der Marine- und der Luftwaffenminister waren jeweils Militärs. Badoglio war als Premier gleichzeitig Außenminister. Togliatti wurde Minister ohne Ressort, später Justizminister, der Kommunist Fausto Gullo übernahm das Ressort für Land- und Forstwirtschaft.

Togliatti verzichtete auf den Volksfrontbegriff der Komintern und hob den Charakter einer »Regierung der nationalen Einheit« hervor, die ein Bekenntnis zum Antifaschismus ablegte. Die »National-demokratische Kriegsregierung« amtierte bis zur Befreiung Roms, dann zwangen die CLN-Parteien Bagdolio zum Rücktritt und bildeten ein neues Kabinett unter dem Sozialisten Ivanoe Bonomi, das ausschließlich aus Antifaschisten bestand.

Anmerkung:

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