Wohnungen werden in Berlin und in allen Ballungszentren knapp. Die Mieten steigen, und die Vermieter sind außer Rand und Band. »Der Berliner Wohnungsmarkt ist wieder in!«, stellt die Berlin-Brandenburgische Akademie der Immobilienwirtschaft fest. »Die Preise steigen und gleichzeitig zieht der Neubau an.« Den Chancen eines dynamischen Wohnungsmarktes in der Hauptstadt widmete sie im April eine Fachtagung in Berlin.
Michael Schlatterer von der CBRE Germany vermerkte ein Zurückbleiben des Wohnungsangebots in Berlin im Vergleich zu München, Hamburg, Köln und Frankfurt am Main, obwohl in Berlin die Einwohnerzahl von 2000 bis 2011 nur um 3,5 Prozent gestiegen ist im Vergleich zu 13,9 Prozent in München und 7 Prozent in Frankfurt/Main. Angesichts des Anstiegs der Zahl der Haushalte in Berlin um 35 000 im Zeitraum von 2000 bis 2011 war der Neubau an Wohnungen von durchschnittlich 3 800 um mindestens 3 000 pro Jahr viel zu gering.
Da sich der Neubau hauptsächlich in Eigentumswohnungen materialisierte, wuchs das Angebot an Mietwohnungen nur um 850 pro Jahr. Die Folge war die Verschärfung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt. Die Angebotsmiete stieg von 5,85 Euro/Quadratmeter kalt im Jahre 2009 auf 7,50 Euro/m2 in 2011, um 28,2 Prozent. Die Folge war die Verdrängung von Mietern, zum Beispiel von Moabit und Wedding in Richtung Spandau oder von Lichtenberg in Richtung Marzahn und Hellersdorf. Gleichzeitig gingen die Umzüge von zehn auf 8 bis 9 Prozent zurück. Die Leute opfern einen grösseren Teil ihres Einkommens oder ihres Arbeitslosengeldes für die Miete, weil sie sonst mit einer schlechteren Wohnung zu einer höheren Miete rechnen müssen. Innerhalb des S-Bahnrings prognostizierte der Referent eine weitere Verknappung vor allem in der »mittleren« Preislage, wodurch die Mieten auf 6,50 bis 10 Euro/m2 kalt steigen werden (bei einem Durchschnitt des aktuellen Mietspiegels von 5,21 Euro/m2 im Jahre 2011).
Das Fazit Schlatteres artikuliert den typischen Vermieterstandpunkt: die »Mietrestriktionen«, zum Beispiel die Nichtausschöpfung der zulässigen Mieterhöhung um 20 Prozent in 3 Jahren, anstatt der Entwicklung »innovativer Ideen« für den Mietwohnungsbau führten zu einer weiteren Angebotsverknappung. Sollte es jedoch eine Kappung der Mieten bei Neuvermietung geben (wie die Mieterverbände fordern), werde der Neubau für die Bauträger uninteressant. Der Gentrifizierungsdruck werde bleiben, denn: »Ein Recht auf Wohnen im Prenzlauer Berg gibt es nicht!« Der Prenzlauer Berg steht symbolisch für Friedrichshain oder Moabit.
Bei den Referenten der Tagung stand die Frage im Vordergrund, wie die Verknappung des Wohnungsangebots in Berlin für das Geschäft der Immobilienwirtschaft genutzt werden kann. Wie sich der Mietpreis in sogenannten Trendvierteln hochschaukelt, schilderte sehr anschaulich Roman Heidrich von der Jones Lang La Salle GmbH, ausgestattet mit dem imposanten Titel Team Leader Residential Valuation and Transaction Advisory. In Rixdorf/Neukölln stiegen die Neuvertragsmieten von 2004 bis 2012 um 58 Prozent und betrugen 7,25 Euro/m2 kalt (139 Prozent des Mietspiegeldurchschnitts), in der Voltastrasse /Gesundbrunnen um 48 Prozent (Neuvertragsmiete 6,35 Euro/m2 kalt), im Stephankiez in Moabit um 59 Prozent (7.40 €/m2) und in der Lichtenberger Weitlingstrasse um 51 Prozent (7,40 €/m2). Letztere ist bereits ein »urbanes Ausweichquartier« für Friedrichshain, mit guter Infrastruktur und guter Anbindung an die Innenstadt. Die Wanderung geht von Friedrichshain nach Lichtenberg und verdrängt die schwächer bemittelten Lichtenberger nach Hellersdorf. Sogar »jwd«, in Adlershof, liegen Neuvertragsmieten bereits bei 6,65 €/m2 (25 Prozent über Mietspiegeldurchschnitt). Das Technologiezentrum Adlershof und der Flughafen BER werden für weiteren Auftrieb sorgen. Auch die Angebotskaufpreise für Eigentumswohnungen stiegen seit 2004 in Gesundbrunnen, Moabit und Rixdorf um 60, 91 und 127 Prozent.
Solche »Potenziale« bieten Viertel, die laut Hentrich noch nicht einmal »hip« sind. Aber klare Ansage: Gut aufpassen, Investoren, dass ihr den Trend nicht verpasst und das »Potenzial« nutzt! So weit die Tendenz in Vierteln mit vorwiegender Modernisierung der Bestände.
Wie steht es beim Neubau? Neubau wird für unverzichtbar gehalten, und zwar in Größenordnungen von mindestens 10 000 Wohnungen pro Jahr. Wolfgang Nagel, ehemaliger Berliner Bausenator, hält die Pläne der regierenden Koalition von SPD und CDU, in 5 Jahren 30 000 Wohnungen zu bauen, für »eine niedliche Herausforderung.« »Eine typische Idee von Politikern aus der Tasche«, spottet Nagel. Es sei abwegig, nur 30 000 kommunale Wohnungen zu planen. Andererseits könnten viele Bürger die Neubaumieten nicht bezahlen, denn Berlin sei mit 500 000 Hartz-IV-Empfängern »die ärmste deutsche Großstadt«. Ohne Subventionen sei Neubau unter 9 €/m2 kalt nicht möglich. Es seien Mixprojekte notwendig, wovon ein Teil mit Subventionen gestützt werden sollte. Doch die Vertreter der Immobilienwirtschaft hielten auch das für zu wenig, um sich zu engagieren zu können.
Nun suchen viele die Rettung in den Genossenschaften. Nach Ermittlungen des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) bauten die Berliner Genossenschaften von 1994 bis 2009 3 864 Wohnungen. Bei 185 000 Genossenschaftswohnungen sind das 2,2 Prozent. Die Ziffern der einzelnen Jahre: 2007 180 Wohnungen (0,09 Prozent), 2008 29, 2009 81 und 2010 231 Wohnungen – alles im Promillebereich. Der Senat schrieb 2012 einen genossenschaftlichen Neubauwettbewerb aus. Es beteiligten sich 18 Genossenschaften, die insgesamt 1681 Wohnungen planen. In welchem Zeitraum, ist nicht bekannt. Oberste Bedingung waren »bezahlbare Mieten«: 6,50 Euro/m2 kalt. Tatsächlich wurden von den beteiligten Genossenschaften Durchschnittsmieten von 7,50 bis 10,40 Euro/m2 kalt ausgewiesen. Durchschnittswerte! Nach Recherchen des Autors liegen die Neubaumieten in der Wohnungsgenossenschaft Berolina zwischen 7,50 und 13 Euro kalt, in der Ersten Wohnungsgenossenschaft Pankow bei 9 bis 10 Euro kalt und im Möckernkiez bei 8,50 €/m2.
Zwei genossenschaftliche Projekte aus dem Wettbewerb wurden vorgestellt. Die WBG Treptow Nord wird am Heidekampweg in Baumschulenweg bis 2014 100 Wohnungen bauen. Die Nettokaltmiete ist geplant mit 8,03 bis 9,84 €/m2, Durchschnitt 8,70 €/m2. Die Angebotsneubaumieten von 7,87 €/m2 im Umkreis von 2 km werden deutlich überboten. Nachfrage sei in der Genossenschaft genügend vorhanden.
Die Baugenossenschaft IDEAL will am Kormoranweg in Britz 109 Wohnungen bauen zu 11,80 Euro bruttowarm, wie der Vorstand Michael Abraham erklärte. Die Pläne stoßen allerdings in der Genossenschaft auf starken Widerstand, weil viele Mitglieder die »Nachverdichtung« des Wohngebiets als Minderung ihrer Wohnqualität empfinden. Deshalb musste bereits eine Tiefgarage gestrichen werden. Die vom Senat vorgegebene Miete von 6,50 €/m2 (+ 25 Prozent zum Mietspiegelwert) wird bei diesen beiden Projekten um bis zu 5,50 Euro überschritten. Zu teuer? Den Vorständen fällt es nicht schwer, genügend zahlungskräftige Neumitglieder aus einer »breiten Mittelschicht« zu finden. Aber die angebotenen Mieten übersteigen zum Beispiel in der Ersten Wohnungsgenossenschaft Pankow die durchschnittliche Nettokaltmiete um mehr als 100 Prozent. In den Genossenschaften bilden sich zwei Klassen von Mitgliedern heraus – hier die bescheidenen Bestands-Mitglieder und da gutbetuchte Neue – auch aus den alten Bundesländern –, die sich 1 600 Euro Miete leisten können. Die Spaltung entsteht auch durch den erforderlichen Kapitalvorschuss in Form von Geschäftsanteilen. Wo traditionell 1 300 bis 2 500 Euro Eigenanteile einzubringen sind, sind es in der Genossenschaft Möckernkiez 600 Euro pro Quadratmeter – je nach Wohnungsgrösse 24 000 bis 84 000 Euro. Nicht für Geringverdiener.
Diese Tendenzen einer Mietspirale nähren die Auffassung der Experten der BBA-Tagung, dass die in Berlin marktüblichen, von der Bevölkerung geforderten und vom Senat halbherzig geplanten »Restriktionen« in Form von Kappungsgrenzen unterschiedlicher Art gebrochen werden müssen. Jene stellen Berlin im Vergleich zu München, Frankfurt, Köln und Hamburg als zurückgebliebene Metropole hin, die sich endlich dem »Markt« anpassen müsse.
Aber wo steht das eigentlich geschrieben? Wer gibt da den Ton an? Gibt es eine Politik der planmäßigen Stadtentwicklung? Berlin ist traditionelle Mieterstadt, Berlin ist Arbeiterstadt, Berlin ist Einwanderungsstadt mit Hunderttausenden Migranten ohne Schweizer Konten. Berlin braucht eine soziale Wohnungspolitik, braucht sozialen Wohnungsbau, braucht staatliche Förderung des Wohnungsneubaus und eben auch gesetzliche Höchstmieten und Begrenzungen für Mieterhöhungen sowie eine Reform des Mietspiegels, der die echte Mietstruktur zur Grundlage hat und nicht allein auf Neuvermietungen beruht.
Wie Nagel berichtete, wurden in seiner Amtszeit 1800 Standorte in Berlin auf den Zustand ihrer Infrastruktur beziehungsweise auf die Erfordernisse ihrer Gestaltung untersucht. Die Studien liegen im Archiv und werden nicht genutzt. Gerade die Infrastruktur sei es, so Nagel, die das Wohnen in der Hauptstadt lebenswert mache. Damit ist freilich noch nicht gesagt, wer diese Lasten zu tragen hat – die Stadt (und in ihrer Gestalt die Steuerzahler), die Investoren oder am Ende die Mieter, die einen, die es sich leisten können, oder die anderen, die wegziehen müssen. Die Frage blieb offen. Die Stadt kann darauf eine soziale Antwort suchen – wo nicht, regelt es »der Markt« auf Kosten der Schwachen.