Gürzenich-Orchesterkonzert in der Kölner Philharmonie Francois-Xavier Roth brilliert mit Richard Strauß

Francois-Xavier Roth © Foto: Francois Sechet

Gerade ist die sinfonische Dichtung „Also sprach Zarathustra“ fast unhörbar in leisem Kontrabass-Pizzicato verklungen. Jene Komposition von Richard Strauß, die in Anlehnung an Friedrich Nietzsches dichterisch-philosophisches Werk gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Beginnend mit tief vibrierendem Orgelpunkt bei aufsteigender Trompetenfanfare bis hin zum donnernden Paukeneinsatz. Schöner und eindrucksvoller ist wohl nie zuvor ein Sonnenaufgang musikalisch ausgedeutet worden. Ein Umstand, den sich schon Stanley Kubrick in seinem Filmklassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ zunutze machte

Konkurrierende Stimmungen

War es neben der von dem jungen Komponisten  geschätzten Genialität Nietzsches die Musikalität seiner Sprache, die Strauß dazu brachte, diesen Text tonmalerisch auszudeuten? Oder war es auch die dem Zeitgeist entsprechende Lehre vom Übermenschen, die im deutschsprachigen Raum lange Zeit auf fruchtbaren Boden fiel? An der musikalischen Dramatik, die dieser Tondichtung noch im 150. Geburtsjubiläum des Komponisten innewohnt, hat sich jedenfalls bis heute nichts geändert.

Denn das gesamte Werk ist geprägt von unterschiedlichen, teilweise miteinander konkurrierenden Stimmungen, die das Gürzenich-Orchester  deutlich nachvollziehbar herausarbeitet. Von dem Überdruss Zarathustras am Menschen in seiner Mittelmäßigkeit, dem Spott über die religiöse Befangenheit der Hinterwäldler, der ironischen Kritik am kleinkarierten Akademismus bis hin zu den Freuden und Leidenschaften, die sich mit Wucht entladen und den Gefühlen freien Lauf lassen.

Natur und Geist im Zwiespalt

Eine Schlüsselstellung nimmt dabei das „Tanzlied“ ein, das im Walzertakt schmissig daher kommt. Wirkungsvoll eingeführt von den Streichern und sodann komplettiert von den Holz- und Blechbläsern. Ist dies die von Nietzsche angedeutete Rekonvaleszens Zarathustras nach dessen Verzweiflung angesichts der Unvollkommenheit des Menschen?

Denn der von Anfang an in dem Werk angelegte Zwiespalt zwischen Natur und Geist hält sich lautmalerisch durch bis zum abschließenden „Nachtwandlerlied“, das mit dem ersten Glockenschlag von insgesamt zwölf Mitternachtsschlägen beginnt. Während Violinen und hohe Holzbläser als Instrumente des Geistes auf einen friedlichen Schluss des Werkes abzielen, halten Celli und Bässe als Natur-Instrumente dagegen. Die von Strauß musikalisch auf den Punkt gebrachten Widersprüche der Welt, an denen Nietzsche einst verzweifelte?
 
Musikalisch verdichtetes Lamento

Verzweiflung liegt auch in der Luft bei dem Eingangsstück des Gürzenich-Konzerts, den „Metamorphosen“ für 23 Solostreicher von Richard Strauß aus den Jahren 1944/45. Ein musikalisch verdichtetes Lamento angesichts der menschlichen und kulturellen Verwüstungen einer in Ruinen liegenden Umwelt. Und hatte der Komponist als Präsident der Reichsmusikkammer dabei nicht selbst ein gehöriges Maß an Mitschuld auf sich geladen?

Angesiedelt zwischen Kammermusik und sinfonischem Werk breitet Strauß hier in sieben Themen einen Streicher-Klangteppich mit verschiedenartigen Mustern aus. Eindringlich pochend einerseits und dann wieder innig-sensibel in schmerzvoller Wehmut bis hin zu lyrisch-lieblichen Passagen, endend in einem anrührend verhaltenen Pianissimo. Fast so, als ließe sich diesen weinenden Tönen ein im Rückblick empfundenes tiefes Bedauern des Komponisten entnehmen.

Unterschiedliche Orchester

Ganz anders die sich anschließenden „Echo-Fragmente“ des Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann aus dem Jahr 2006 für Klarinette und Orchestergruppen, wobei der Komponist den Klarinettenpart selbst übernimmt. Angelegt als Nachklang auf Mozarts Klarinettenkonzert, stellt er in seiner Komposition zwei unterschiedliche Orchester gegenüber, wobei eines davon mit Instrumenten aus der Mozart-Zeit ausgestattet ist.

Widmann selbst bewegt sich, anpassungsfähig wie ein Chamäleon, mit seinem Instrument zwischen diesen beiden Orchesterwelten. Nicht zuletzt in der Absicht, keine Konkurrenzsituation zwischen den in ihren Instrumenten unterschiedlich gestimmten Klangkörpern aufkommen zu lassen. Als Resultat entsteht ein Kaleidoskop von bruchstückhaften Fragmenten, wobei sich der Solist und einzelne Orchesterinstrumente wie Hörner, Harfen und Streicher die Motive gegenseitig zuwerfen. Allen voran die Solo-Klarinette, die teils vibrierend, krähend, röhrend oder schnaufend ein unerwartet breites Register musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten bereit hält.

Mitreißender Dirigierstil

Der lang anhaltende Schlussapplaus gebührt einmal der in ihrer Vielseitigkeit durchdachten Programmgestaltung des zukünftigen Kölner General-Musikdirektors Roth. Und vor allem der Fähigkeit des künftigen Gürzenich-Kapellmeisters,  sein Orchester zu bewundernswerten musikalischen Leistungen zu animieren.

Vorheriger ArtikelSchottland am Euphrat
Nächster Artikel„So schmeckt MV“